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Ist uns tatsächlich der Spatz auf dem Berliner Konzerthaus lieber als ein bis vor kurzem weltweit bewundertes Kulturleben? Foto: Martin Hufner
Ist uns tatsächlich der Spatz auf dem Berliner Konzerthaus lieber als ein bis vor kurzem weltweit bewundertes Kulturleben? Foto: Martin Hufner
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Nichts wird uns mehr Zeit stehlen

Untertitel
Ein Essay über den längst nicht mehr schleichenden Kulturabbau
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Wir bauen ab. Die Gründe dafür sind vielfältig. Die Finanzkrise. Die Jahrhundertflut. Die Jahrtausendflut. Die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus. Es ist eigentlich ziemlich egal, was passiert, ob Außerirdische landen oder Hitlers Tagebücher noch einmal gefunden werden, unsere Antwort darauf wäre immer: „Es muss gespart werden.“ Und um zu sparen, müssen wir anderswo abbauen, das ist schonmal klar.

Eigentlich geht es uns gut. Wir sind eines der reichsten Länder der Welt, zum Teil auf Kosten anderer, aber egal, irgendeinem geht es immer besser, irgendeinem immer schlechter. Man beneidet uns weltweit: um unsere schönen Autobahnen, auf denen Löcher noch repariert werden, um unsere ehrlichen Bürger, die mieten und nur selten kaufen, und daher auch keine Kreditblasen erzeugen, um unsere relativ unkorrumpierbaren Beamten. Aber vor allem auch um unsere Kultur und unsere Bildung: unsere Opernhäuser, unsere Theater, unsere Museen, unsere Akademien, unsere Universitäten. All dies war unseren Altvorderen einmal wichtig gewesen, und sie haben Stein auf Stein gesetzt, um diesen ihnen wichtigen Dingen ein Haus zu geben: dem Humanismus, den Künsten, der Bildung. Oder auch: dem Wahren, Schönen, Guten. Was heute nur so abgedroschen klingt, weil vergessen wurde, was es eigentlich mal bedeutet hat. Weil dennoch Kriege geführt und schreckliche Verbrechen begangen wurden.

Vielleicht könnte einer sagen: Medizin ist doch auch nicht ohne Wert, nur weil sie nicht immer vor Krankheit schützt. Aber da hören wir nicht drauf. Wir haben nun neue Werte, und diese Werte sind nicht mehr ideell, sie sind materiell. Wertvoll ist etwas nur, wenn es finanziellen Wert erzeugt. Es muss sich rechnen. Und das ist unser Mantra: Es muss sich stets und unentwegt rechnen.

Wir führen lange und immer länger werdende Listen: Wo etwas fehlt, wo etwas eingespart werden könnte. Am Ende dieser langen Rechnungen steht eine Zahl, und diese Zahl ist unser Gott. Dieser Zahl müssen wir wie einem Götzen das opfern, was sich nicht in Zahlen messen und nicht in Zahlen bewerten lässt. Und das ist so ziemlich alles Andere. Alles, was das Leben ausmacht, das Leben lebenswert macht, das nicht in einen Profit umgerechnet werden kann.

Erfahrungen. Staunen. Erlebnisse. Unbenennbares. Einsichten. Entrückungen. Epiphanien – all dies gibt keinen Profit, ist nicht greifbar. Daher ist es uns nichts mehr wert.

Daher schicken wir Unternehmensberater zu den Orchestern, die dann – wenig überraschend – feststellen, dass Töne, Klänge und das Erleben derselben keinen direkten Profit bringen. Was dann bedeutet, dass wir dieses Orchester abbauen müssen.

Und wenn das Orchester dann abgebaut und abgewickelt ist, gehen wir zu den Hochschulen, die die Musiker ausgebildet haben, die in dem abgebauten Orchester gespielt haben. Dann sagen wir dieser Hochschule – nennen wir sie Trossingen, oder Mannheim, oder wie auch immer –, dass wir sie jetzt nicht mehr brauchen, da wir ja jetzt auch nicht mehr die ganzen Musiker brauchen, die früher in dem Orchester gespielt haben das es nun nicht mehr gibt. Weil wir es abgebaut haben. Diesen Vorgang kann man so lange wiederholen, bis es gar keine Hochschulen mehr gibt, und auch gar keine Orchester mehr, bis alles eingespart wurde.

Was wir mit all dem Eingesparten anstellen? Wir wissen es nicht. Wir denken nicht darüber nach, denn auch die Grauen Herren in „Momo“ wissen nicht so wirklich, was sie mit all der ersparten Zeit einmal machen wollen. Hauptsache sie haben sie eingespart.

Und so machen wir immer weiter, als Vorwand benutzen wir dann, dass es ja eigentlich um „Qualitätssteigerung“ ginge. Was ungefähr so sinnvoll ist wie die Behauptung, dass möglichst wenig Konkurrenz die Qualität unserer Fußballspieler steigern würde. Aber niemand merkt das, denn das Wort „Qualitätssteigerung“ klingt erst einmal irgendwie beeindruckend. Auf jeden Fall besser als der Begriff „Abholzen“, der eigentlich richtig wäre. Und niemand merkt, dass wir nicht nur Kultur abholzen, sondern auch die Qualität derselben. Und die Lebensqualität gleich mit.

Aber egal, denn es ist einfach unser Mantra: Es muss stets und unentwegt gespart werden. Immer weiter sparen. Wir könnten ja irgendwann einmal nicht mehr die Besten sein, nicht mehr der europäische Klassenprimus. Wir müssen vorsorgen, so wie das schlaue Schweinchen in der Geschichte, das sein Haus aus Steinen baut. Dieses Schweinchen ist ganz bestimmt ein gutes deutsches Schweinchen.

Wir müssen uns an der internationalen Konkurrenz messen. An den USA. An China. An Russland. In dieser Konkurrenz geht es vor allem darum, das meiste Geld von allen zu verdienen. Hierzu muss man gezielt abbauen, damit nicht etwa Geld verschwendet wird. Der Verkauf von Panzern, von Flugzeugen, von U-Booten – das bringt eine Menge Geld. Kultur dagegen kann man nicht verkaufen, man hat sie einfach nur. Wir verschweigen einfach mal die Tatsache, dass die jungen Menschen all dieser von uns beneideten Länder (und noch vieler weiteren) gerne zu uns kommen, um noch ein bisschen von dieser Kultur zu erhaschen,… die man bei ihnen schon größtenteils abgeschafft hat.

„Nicht jede Stadt braucht ein Theater.“ „Nicht jede Stadt braucht ein Opernhaus.“ So fangen wir es an, das sind unsere Sätze, wie Pfeile. „Dieses Theater ist einfach zu groß/zu viel für diese Stadt.“ Und das ist natürlich eine selbsterfüllende Prophezeiung, denn nachdem das Theater abgeschafft wurde, werden die wenigen Menschen, die es noch in der Stadt gab, auch weggehen. Und nicht wiederkommen. „Sehen Sie? Wir hatten recht!“, werden wir dann sagen. Und die, denen dann alles nur noch egal ist, werden uns wiederwählen.

Zusammen mit dem Theater schaffen wir dann auch gleich die Innenstadt mit ab: All diese Cafés, Bars, Hotels und Restaurants um das Theater herum haben ja dann folgerichtig keine Kunden mehr, und all die Kellner, Wirte und Hoteliers müssen sich einen anderen Job suchen. Wir bauen sie gleich mit ab. Und schließen auch die Museen, diese Geldvernichter. All den alten Kram, niemand braucht ihn mehr. Und dann schließen wir die Universitäten, an denen man all dieses sinnlose Zeug lernte, das einem half, das zu verstehen, was wir nun abgebaut haben. Es wird dann nur noch technische Universitäten geben. Und dort wird man vor allem lernen, Panzer und Kraftwerke und Autos zu bauen, denn all das bringt Geld.

Wir werden unsere Städte neu organisieren. Wir werden dorthin, wo früher das Theater und das Museum gestanden hat, ein Einkaufszentrum und ein Multiplexkino hinstellen. Dort werden wir unsere Bürger so lange versorgen, bis wir auch das Einkaufszentrum und das Multiplexkino nicht mehr brauchen, denn irgendwann wird man sich alles im Internet bestellen, jeden Film streamen und downloaden können. Dann bauen wir auch das Einkaufszentrum und das Multiplex ab. Unsere Städte werden dann alle zunehmend gleich aussehen. Wir werden Straßenzüge um Straßenzüge, Häuser um Häuser bauen. Und um zu sparen geben wir uns damit auch keine Mühe mehr, wir bauen billig und effizient.

Und irgendwann … endlich … wird alles überschaubarer, gleicher, geordneter sein als zuvor.
Nichts wird uns mehr Zeit stehlen, Zeit, die vom Geldverdienen ablenkt.  Wir sagen: Alles muss einen Zweck haben.

Wir sparen.
Wir bauen ab.

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