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Alternativ-Foto. © Hufner
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„Oder man hält es aus“

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Perspektiven der Macht an einer Kunsthochschule – Sicht von Studierenden
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Was es bedeutet, heute an einer Kunsthochschule zu studieren: Hier denken vier Studentinnen darüber nach. Sie reden über ihren Wunsch nach Veränderung, alte Machtgefälle und neue Strukturen, Transparenz, Mut.

Im Unterricht: Lassen sich die hochschulspezifischen Konfliktpotenziale lösen?

Esma Hamurcu: An unserer Hochschule ergeben sich einige Probleme im Umgang mit Macht aufgrund der Tatsache, dass es sich um eine Hochschule für Musik und Darstellende Künste handelt. Es sind Probleme, die an einer großen Uni gar nicht auftreten würden.

Stefanie Woelke: Absolut. Der Rahmen ist klein, intim, man kennt sich und ist nicht nur eine Matrikelnummer, was sehr schön sein kann. In Einzelunterrichten können jedoch Situationen entstehen, die man nicht einschätzen kann. Man denkt: Ich fühle mich unwohl, aber eigentlich ist ja nichts, alles ist in Ordnung. In vielen Bereichen haben wir außerdem Körperarbeit, teilweise also zwangsläufig auch Körperkontakt. Das Risiko, dass unangenehme oder noch schlimmere Situationen entstehen, ist dann größer als sonst. Bei mir war es mal so, dass ich dachte: Ich fühle mich gerade richtig, richtig furchtbar. Ich konnte nichts sagen, weil ich dachte, es klingt sonst, als wäre ich zu empfindlich und nicht für meinen Job geeignet.

Antonia Keßler: Teilweise wird von Dozierenden rückgemeldet, da müsse man eben durch, weil das Business nun mal so sei. Durch die enge Zusammenarbeit entwickelt man auch oft eine Art Verantwortlichkeit, man hat das Gefühl, ich kann meine Dozentin oder meinen Dozenten nicht wechseln, weil ihr oder ihm das weh tun würde. Es verschwimmen Grenzen zwischen Dozierenden und ihren Studierenden. Entscheidungen, die eigentlich fachliche Entscheidungen sein sollten, geraten auf eine persönliche Ebene.

Hamurcu: Dazu kommt ein starkes Abhängigkeitsverhältnis, weil man sich in seinem Fach verbessern möchte und dafür ein gutes Feedback braucht. Dozierende zu wechseln ist möglich, aber nicht einfach, und in einigen Fächern auch gar nicht möglich, wenn es beispielsweise nur eine Professur gibt. Man kann dann nur an eine andere Hochschule gehen. Oder man hält es aus und lebt irgendwie damit.

Woelke: Man muss immer abwägen, was man wann mit wem besprechen kann, ohne sich Chancen zu verspielen. Dadurch hört man gar nicht mehr auf sich selbst, sondern ist ständig damit beschäftigt, auf die Bedürfnisse des anderen einzugehen.

Hamurcu: Dieses Spannungsverhältnis ist extrem schwierig. Einerseits wünscht man sich eine persönliche Ebene, andererseits kann alles schnell kippen. Im schlimmsten Fall wird man von jemandem unterrichtet, der einen nicht mag.

Keßler: Es gibt performative Strategien an der Hochschule. Dinge wie Richtlinien, Statements, Leitbilder haben eine Außenwirkung, die zeigen will: Wir tun etwas. Zum Beispiel gibt es ein Dokument, das Lehrende, die hier anfangen, unterschreiben müssen. Der Effekt? Veranstaltungen zu Empowerment für Studierende oder verpflichtende Weiterbildungen für Lehrende, etwa dazu, wie man diskriminierungssensibel unterrichtet: Wenn ich danach frage, kommt nichts.

Woelke: Die meisten Lehrenden wollen ja nicht systematisch diskriminieren. Es fehlt ein aktives Bewusstsein dafür, welche Handlungen oder Worte diskriminierend sein können oder sind. Oft wird erklärt: Schließt euch als Studierende zusammen, wenn etwas falsch läuft, sagt was. Dabei sollte es gar nicht erst soweit kommen.

Hannah Pommerening: Wie intensiv wir uns im Hochschulalltag tatsächlich mit Machtthemen beschäftigen, ist etwas, mit dem sich alle selbstkritisch auseinandersetzen müssen.

Keßler: Es ist ein grundsätzliches Problem der Hochschullehre, dass fachliche Expertise höher gewichtet wird als pädagogische Kompetenz – ich jedoch sehe Lehrpersonen in der Pflicht, sich pädagogisch weiterzubilden. Das fehlt mir total, genauso wie transparentere Strukturen: Wie funktioniert eine Prüfung? Was muss ich leisten, was sind meine Rechte? Häufig ist es so, dass man als studierende Person hier ankommt und alles toll findet – bis die ersten Situationen kommen, in denen man unsicher ist, ob hier nicht gerade Grenzen überschritten werden.

Hamurcu: Diesen Wunsch nach Transparenz kenne ich auch aus dem Einzelunterricht, der ja normalerweise hinter verschlossenen Türen stattfindet, aber so müsste es nicht sein. Hospitationen bei anderen wären beispielsweise eine Möglichkeit, um zu sehen, wie Einzelunterricht noch sein kann. So etwas findet aber viel zu selten und oft nur auf Eigeninitiative von Studierenden statt. Helfen könnten auch Evaluationen – sie wären ein niederschwelliges Instrument, um anonym offenzulegen, wie der Unterricht wahrgenommen wird, und würden ein Gesamtbild liefern. Vom Präsidium hörten wir, dass sich für uns in dieser Hinsicht bald etwas bewegen soll, aber das Problem fehlender Evaluationen kennen wir auch von anderen Musikhochschulen.

In den Gremien: Wer hat das Sagen, wer entscheidet?

Keßler: Der Arbeitskreis Awareness ist entstanden, um Dinge, die für uns problematisch sind, an der Hochschule zu verbessern, und natürlich geht es dabei immer auch um Macht. Als selbst-organisierte, nicht gewählte studentische Gruppe können wir ziemlich frei auf verschiedene Gremien wie die Fachbereichsräte oder den Senat zugehen. Das versuchen wir auf Augenhöhe, was aber oft schwierig ist, weil wir alle studierende Personen sind.

Hamurcu: Bei StuPa und AStA ist das ein bisschen anders. Wir sind gewählt, arbeiten eng zusammen und versuchen natürlich, die Interessen aller abzudecken – was, weil es unterschiedliche Studierendengruppen gibt, manchmal zu Konflikten führt. Wir müssen also Kompromisse finden. Durch unsere Teilhabe haben wir engen Kontakt zum Präsidium, es gibt einen monatlichen Jour-fixe und teilweise Mitgliedschaften im Senat. Dort spüren auch wir dieses Machtgefälle, das du gerade angesprochen hast. Als Studentin fühle ich mich in solchen Gremien irgendwie auf „unterster“ Stufe und frage mich manchmal, wie groß meine Macht tatsächlich ist, etwas zu bewirken.

Pommerening: Das geht mir genauso. Strukturell haben wir dadurch, dass wir von der Mehrheit gewählt wurden, zwar eine gewisse Macht, aber konkret hat man doch immer wieder das Gefühl, weniger Einfluss zu haben als andere Akteure.

Woelke: Ich habe häufig das Gefühl, dass man überlegen muss, was man sagen kann und darf. Wir müssen in Gremien sehr diplomatisch sein und Kompromisse machen, während auf der anderen Seite kein hohes Risiko damit einhergeht, wenn man sich mal undiplomatisch äußert.

Keßler: Zumal wir in 99 Prozent der Fälle in der Unterzahl sind.

Pommerening: Stimmt! Man hofft dann zum Beispiel, dass sich ein Professor der eigenen Argumentation anschließt – so sehr ist man von anderen Statusgruppen abhängig. Das ist natürlich schwierig, wenn man sieht, wie viele Studierende die Hochschule hat.

Woelke: Ich glaube, wir sind uns relativ einig. Es frustriert zu sehen, dass man kaum etwas verändern kann, beziehungsweise scheint auf der anderen Seite nicht wirklich der Wille da zu sein, etwas zu ändern, und zwar wirklich etwas Strukturelles.

Im Kulturbetrieb: Welche Rolle sollten Hochschulen spielen?

Pommerening: In Kulturbetrieben findet ein Umdenken und immer mehr ein Strukturwandel statt, der sich kritisch mit Macht auseinandersetzt. Als Einrichtung, die junge Menschen auf die Arbeit in solchen Betrieben vorbereiten soll, müsste sich die Hochschule dementsprechend wandeln.

Woelke: Allerdings wird in der Hochschule vieles noch ausschließlich auf Theaterhäuser projiziert. Wir sollen die Zukunft sein – jene sein, die sagen: In unserer Generation wollen wir diese alten Denkmuster und Strukturen nicht mehr haben. Da ist es schwierig, wenn Hochschulen sagen, die Machtstrukturen seien im Wandel, man müsse mal schauen, wie man das aufbricht, gleichzeitig aber genau diese Strukturen gelehrt werden. Ein Teufelskreis. Auch von Alumni höre ich nur, man müsse sich im Studium eben daran gewöhnen und dürfe nichts an sich heranlassen.

Pommerening: Um wirklich ein Umdenken zu erreichen, müssten Einrichtungen wie unsere Hochschule eigentlich strukturell ihrer Zeit voraus sein, statt uns auf alte Strukturen vorzubereiten und diese dadurch zu reproduzieren.

Dokumentation: Tamara Weise

Das Gespräch führten Esma Hamurcu (Schulmusik, Hauptfach Geige), Antonia Keßler (Schulmusik, Hauptfach Gesang), Hannah Pommerening (Schulmusik, Hauptfach Gesang) und Stefanie Woelke (Sopran) – alle vier engagieren sich ehrenamtlich an der HfMDK: Esma Hamurcu ist Vorsitzende des AStA, Hannah Pommerening StuPa-Präsidentin. Antonia Keßler und Stefanie Woelke sind Mitglied im Arbeitskreis Awareness.

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