In den vergangenen Jahren leitete Prof. Jürgen Puschbeck nicht nur seinen Kammerchor, sondern parallel auch noch die Projekte des großen Chors der Weimarer Musikhochschule. Nun wird diese Verantwortung in der Nachfolge der Professoren Teutschbein und Berger wieder auf mehrere Schultern verteilt. Gleich zwei neue Professuren für Chor- und Ensembleleitung haben zum Sommersemester 2017 ihre Arbeit aufgenommen: Kerstin Behnke mit dem Schwerpunkt klassische Chormusik sowie Juan M.V. Garcia mit dem Schwerpunkt Jazz, Rock und Pop. Beide sind institutionell dem Institut für Musikpädagogik und Kirchenmusik zugeordnet.
Frau Prof. Behnke, Herr Prof. Garcia, was haben Sie mit dem Hochschulchor vor?
Kerstin Behnke: Wir sind gerade dabei, ein Konzept zu erarbeiten, das allen zu Gute kommt.
Juan M.V. Garcia: Etwas Hochmodernes!
Behnke: Es sollen die klassischen Oratorien gesungen werden, aber auch Jazz. Wir werden die ganze stilistische Bandbreite abdecken, die die Studierenden nach ihrem Studium benötigen. Dabei soll die sehr geliebte Chortradition bewahrt werden, denn es wurden tolle Sachen gemacht! Wir müssen nur noch ein vernünftiges Konzept entwickeln, für die, die singen wollen und für die, die im Rahmen des Studiums singen müssen. Damit sind wir noch am Anfang …
Und wie gestalten Sie ihren Unterricht?
Behnke: Unsere Hauptaufgabe ist es, Schulmusikstudierende in den Fächern Chor- und Ensembleleitung auszubilden. Also angehende Lehrerinnen und Lehrer zu befähigen, mit Gruppen singend und musizierend zu arbeiten. Man lernt die Dirigiertechniken und überträgt das später auf Gesangs- und Instrumentalensembles.
Garcia: Ich übernehme die Grundausbildung in der Jazzchorausbildung, biete dazu noch Band- und Bigbandleitung an. Wir ergänzen uns in unseren Schwerpunkten und möchten die beste Ensembleleiter-Ausbildung der Welt machen! (lacht) Zum Beispiel übernehme ich Sequenzer-Recording mit einem Studenten, dazu Kleingruppen mit vier Leuten in Chorleitung – und noch eine größere Gruppe im Übungschor mit 18 Studierenden. Da dirigieren Schulmusiker ihre Kommilitonen.
Wie sieht das konkret aus?
Garcia: In meinem Unterricht wird eigentlich nicht wirklich dirigiert, sondern es werden Einsätze gegeben, Anatmen geübt, Fermaten gehalten, Songteile angedeutet, Metronomdarstellung mit der einer Hand probiert, je nach Taktart auch keine leichte Aufgabe. Bei mir wird „gecuet“ – es ist schwierig, hierfür einen deutschen Begriff zu finden.
Behnke: Ich unterrichte dagegen das klassisch orientierte Dirigieren, auch in Zweier- und Dreier-Gruppen: Wie schlage ich den Takt, wie bewege ich meine Hände unabhängig voneinander, welche Geste hat welchen Effekt auf die Choristen und so weiter … In größeren Gruppen dirigieren sich die Studierenden gegenseitig und wenden an, was sie in kleineren Gruppen gelernt habe. Es soll allen Spaß machen, sie sollen bei der Stange und stimmgesund bleiben! In einem Institutschor wird auch auf ein Konzert hingearbeitet, damit das in Projektarbeit realitätsnah wird.
Was ist an Projekten geplant?
Garcia: Wir wollen einen Expertenchor zu gründen, der noch keinen Namen hat. Meine Vorstellung ist ein kleiner Chor mit zehn Klassik-„Experten“ und zehn Jazz-„Experten“. Diese beiden Halbgruppen erarbeiten zwei Konzertprogramm-Hälften, und in der Mitte treffen sich die Chöre zu zwei Crossover-Stücken.
Behnke: Ich würde dabei zum Beispiel einen Renaissancemusik-Schwerpunkt wählen, kombiniert mit zeitgenössischer Musik des 21. Jahrhunderts. Wir würden ein inhaltliches Thema wählen – wie die Liebe (lacht) –, dann ein gemeinsames Stück in Kombination mit Jazz-Pop erarbeiten.
Die Idee ist es, einmal im Semester zusammen ein Probenwochenende zu veranstalten, an dem keiner vorher so genau weiß, wie es sich gestalten wird. Es soll etwas Neues entstehen, und wir wollen damit vor allem die Studierenden künstlerisch fordern, die besonders befähigt und besonders motiviert sind.
Und welche sind das?
Garcia: Zum Beispiel könnten die Studierenden mit Erweiterungsrichtung Schulpraktisches Klavierspiel und Vokal-Arrangement im Expertenchor mitmachen. Ich habe persönlich das Glück, für das professionelle Vokalensemble amarcord seit vielen Jahren Stücke zu schreiben. Und auch die Werke der Studierenden sind viel zu wertvoll für die Schublade. Meine „Truppe“ soll also die Arrangements der Studierenden und meine eigenen singen. Ich habe über 140 geschrieben, und in meinen vergangenen Weimarer Semestern im Lehrauftrag sind schon sechs sehr gute Arrangements der Studierenden entstanden. Das reicht schon für eine halbe Stunde Konzert! Ich möchte den Weimar-Sound entwickeln.
In welchen Schritten soll das passieren?
Garcia: Die Studierenden sollen arrangieren, was ihnen emotional wichtig ist. Ich rede über Spannungsbögen, über Visionen, noch nicht über Tonsatz. Im zweiten Semester müssen sie auch mal etwas völlig anderes arrangieren, als sie es von ihrem Geschmack her eigentlich auswählen würden. Da nerve ich dann mit schwereren Aufgaben … Denn im Leben eines Arrangeurs kann man sich das nicht immer aussuchen.
Behnke: Mein Sohn hatte einen Musiklehrer, der einfach super arrangieren konnte, und der hat immer für seine Klasse bearbeitet, was ihr gerade am Herzen lag. Dann hat er das genau auf die verfügbaren Instrumente und Schwierigkeitsgrade zugeschnitten. Bei Schulkonzerten hatten sie so regelmäßig einen riesigen Erfolg und dadurch unglaublich viel Spaß am Musizieren.
Haben Sie weitere Pläne?
Behnke: Ich möchte zum Beispiel mit dem Kompositionsinstitut zusammenarbeiten. Die Kompositionsstudierenden könnten für unser Ensemble schreiben, denn das ist ein echter Markt! Die Nachfrage nach gut singbarer neuer Musik, aber auch nach experimentelleren Sachen, ist sehr groß. Laiensänger sind oft noch offen für Experimente. Leider wird häufig etwas komponiert, was technisch nicht umsetzbar ist. Das ist unbefriedigend! Da könnte man mit einem tieferen Einsteigen in die Möglichkeiten der Stimme wesentlich mehr erreichen.
Garcia: Meine Hälfte des Projektchors wird mikrophoniert singen. Das gehört zum hohen Ausbildungsziel der „Experten“, dass sie Mikrophon-Erfahrung und auch Beatbox-Erfahrung haben. Das könnte Studierende ansprechen, die nicht so gut intonieren. Ich werde sofort auf hohem Niveau starten wollen, auch wenn es erst einmal nur fünf Studierende sind. Ich möchte auch mehr YouTube-Clips auf hohem Niveau produzieren.
Und welche Erfahrungen mit Chören haben Sie selbst schon gesammelt?
Behnke:Ich habe in Berlin einen großen Oratorienchor, die Berliner Cappella, mit dem ich die Zusammenarbeit aber einstelle. Erst kürzlich habe ich einen der besten Chöre Münchens neu übernommen: den via-nova-chor. Außerdem leite ich noch den Landesjugendchor im Saarland und den Kammerchor Tonikum in Berlin, das soll auch so bleiben.
Garcia: Ich habe unter anderem mit dem Vokalensemble Voice It in Dresden gearbeitet, die haben den deutschen Chorpreis gewonnen. Chorleitung unterrichte ich bereits seit sechs oder sieben Jahren an Musikhochschulen und habe darüber auch zwei Bücher veröffentlicht. Emotional bin ich aber eher im Bandgefüge zuhause, da kenne ich mich von der Pike auf aus.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Jan Kreyßig.