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Offene Herzen

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Hochschulpräsident Prof. Dr. Christoph Stölzl über seine elf Jahre im Amt
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Seit mittlerweile elf Jahren steht Prof. Dr. Chris­toph Stölzl als Präsident an der Spitze der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar. Im Juni 2022 endet seine zweite und letzte Amtszeit. Kontinuierlich hat er dafür gearbeitet, die Zahl der an der Hochschule zu vergebenen Stipendien zu erhöhen, um ein Musikstudium von den Zwängen der Finanzierung zu befreien und „voll konzentriert studieren zu können“, wie er sagt. Selbst ein Mitglied des Fördervereins, wirbt er für den Beitritt, denn die Förderung gehe „weit über das Materielle hinaus“. Jan Kreyßig sprach mit dem Hochschulpräsidenten über Freunde, Förderer, eine erste Bilanz der letzten Dekade – und einmal nicht über die Corona-Pandemie.

Herr Prof. Stölzl, warum sind Stipendien und Förderungen für Studierende so wichtig?

Junge Musikerinnen und Musiker sollten wirklich die gesamte Zeit ihrer Kunst widmen können. Viele andere Studienfächer gewinnen durch das Kennenlernen ungewohnter Lebensumstände: Zum Beispiel als Historiker auch mal auf dem Bau Steine zu schleppen, wie ich es gemacht habe, hat meinen sozialen Horizont entschieden erweitert. Ich war auch Bäckereigehilfe und habe nachts um zwei Salz auf Brezeln gestreut, doch das wünsche ich einem Pianisten nicht. Musikerinnen und Musiker sollen im Idealfall die Zeit haben, ihr ganzes Studium der Musik zu widmen. Wozu natürlich alle Praktika als Substitute in Orchestern oder als Mitwirkende in Opernchören gehören und alle Meisterkurse. Die finanzielle Ausstattung muss hinreichend sein. Das funktioniert aber nicht immer; internationale Studierende haben zum Beispiel kaum Zugang zum BaföG, Nicht-EU-Bürger müssen vor Studienbeginn sogar einen Finanzierungsnachweis erbringen. Fazit: Wir sollten diesen jungen Menschen ermöglichen, sich auch ohne musikfremde Nebenjobs ihrer Ausbildung widmen zu können.

Welche Rolle spielt der Förderverein für die Hochschule?

Die Gesellschaft der Freunde und Förderer sei hoch bedankt, weil sie ohne langen Vorlauf so schnell und unmittelbar in allen Notlagen helfen kann. Das ist ganz toll, und sie hat unendlich viel Gutes getan. Gerade wo es um punktuelle und unbürokratische, schnelle Hilfe geht, durch Augenschein, durch Kenntnis der Verhältnisse, da hat der Förderverein sich wirklich verdient gemacht. Ich bin selbstverständlich Mitglied – und appelliere an alle, auch beizutreten. Der Verein bietet Zuwendung weit über das Materielle hinaus, denn er vermittelt die Botschaft: Du bist würdig! Das ist wahnsinnig wichtig in Künstler-Biographien, diese Zustimmung: ja, das ist toll, was du machst, ja, wir fördern dich!

Und wie hat die HfM von der Neuen Liszt Stiftung profitiert?

Unsere Studierenden sind ja mitten im Studium schon in einer berufsvorbereitenden Phase. Sie sollen an Meisterkursen und Wettbewerben teilnehmen und schon während des Studiums als Aushilfen in Orchestern spielen, damit sie über die enge Bindung an ihre Hauptfachlehrer*innen hinaus Impulse erhalten. Sie wollen eine Koryphäe ihres Fachs kennenlernen, aber das kostet Geld: Reise- und Hotelkosten, Unterrichtsgebühren. Da hilft ganz konkret die Neue Liszt Stiftung. Es steht in ihren Statuten, dass sie auch Projekte und Fortbildungen unterstützt, CD-Aufnahmen ermöglicht, Reisekosten trägt. Die Stiftung vergibt auch die Charlotte-Krupp-Stipendien. Bei ihnen geht es allein um herausragende künstlerische und wissenschaftliche Leistungen.

Wie konnten Sie die Zahl der Deutschland-Stipendien von Jahr zu Jahr erhöhen?

Ich war auf Wirtschaftsmessen und Unternehmertreffen, aber am besten funktioniert es im persönlichen Gespräch mit Menschen, die sich Zeit nehmen. Wenn man ein offenes Herz findet und die Geschichte persönlich erklärt. Dann hat mir geholfen, dass ich immer wieder Vorträge halte und Diskussionen moderiere – dabei gibt es Anknüpfungsmöglichkeiten. Es gibt musikalische Unternehmer, klavierspielende pensionierte Beamte und natürlich auch Menschen aus meinem Freundeskreis, die ich missioniert habe. Thüringen ist immer noch ein wirtschaftlich „neues“ Bundesland, es fehlen die großen alten Familienvermögen der westlichen Bundesländer. Doch ich will ja gar nicht klagen: Ich habe auch hier überaus glückliche Erfahrungen machen dürfen.

Was wäre eine erste Bilanz Ihrer Dekade als Hochschulpräsident?

Die Rolle eines Hochschulpräsidenten ist ja kein Chefposten wie in einem Museum oder einem Unternehmen. Er ist auch kein allmächtiger Intendant wie in einem Theater. Eine Hochschule ist vielmehr ein Kollegialsystem, und ich bin sehr glücklich über die wunderbaren Menschen, die ich in den elf Jahren als Vizepräsidentinnen und Vizepräsidenten gewinnen konnte. Die ihren Dienst mit großer Hingabe geleistet haben, wie Elmar Fulda und Helmut Well, aber auch Anne-Kathrin Lindig, Ulrike Rynkowski-Neuhof und Dagmar Brauns jetzt. Nicht zu vergessen unsere Kanzlerin Christine Gurk, die eine wunderbare Arbeit macht. Die Präsidentschaft ist kein hierarchischer Chefposten, sondern eine Primus-inter-pares-Tätigkeit. Darum ist meine Bilanz auch kein ganz persönlicher Erfolg, sondern eine Gruppenleistung.

Und Ihr persönlicher Anteil am Teamwork?

Mein mehrere Jahrzehnte alter öffentlicher Ruf als meinungsfreudiger Kulturmanager und Kulturpolitiker hat sicherlich zum Image und zur Sichtbarkeit der Hochschule beigetragen. Ein dezidiert europäisch und aufklärerisch Handelnder passt nicht schlecht zu einer Institution, die einem überzeugten Europäer Entstehung und Namen verdankt. Es passiert auch viel hinter den Kulissen, um im politischen Raum Vertrauen zu gewinnen. Die Wiederwahl als Präsident vor fünf Jahren zeigt ja, dass im Haus und im Hochschulrat ausreichend Zufriedenheit mit meiner Arbeit geherrscht hat. Schwierige Prozesse bei Strukturreformen wurden gemeinsam durchgestanden.   
Worauf ich stolz bin: Über all die Jahre haben wir einen vollkommen offenen Diskussionsstil in der Hochschulleitung gepflegt. Wir waren immer absolut freimütig miteinander und haben uns alles gesagt, sowohl in der Zustimmung als auch in der Kritik.

Wie soll der 150. Geburtstag der Weimarer Musikhochschule 2022 gefeiert werden?
 
Der Geburtstag wird ein Freudentag werden, für uns wie für unsere Öffentlichkeiten: Weimar, Thüringen, Deutschland und die Welt, die „Familie“ der Musikhochschulen und schließlich im weitesten Sinne alle Menschen, die Musik als lebenswichtig empfinden. Wir blicken auf das Gestern und Heute der HfM, in Veröffentlichungen und Konzerten, in Festakten und in Diskussionspodien. Wir erinnern an Franz Liszt und die anderen Persönlichkeiten, welche die Hochschule zu dem gemacht haben, was sie heute ist: eine selbstbewusste, geachtete, ihres Ranges sichere Ausbildungsstätte für Musikberufe. Und am Geburtstag wird man, so wie im persönlichen Leben, den Blick auch in die Zukunft werfen: Was soll die bleibende, trotz aller Verwandlungen der modernen Welt unverzichtbare Rolle der Musik sein? Für mich ist die Antwort ein geflügeltes Wort: Make the world a better place! Musik ist eine der großen Möglichkeiten, Menschen zu mehr Humanität zu verlocken. Musik kann glücklich machen! Und das mit einem Minimum an materiellen Ressourcen. Musik ist „Glücksproduktion“ auf der Basis vorbildlicher Nachhaltigkeit. Zukunft braucht Musik.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Jan Kreyßig.

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