Als ich mit Anfang zwanzig ans Theater kam, begeistert, ehrgeizig, zu jedem Einsatz bereit, war ich plötzlich in einer Welt, die alles bereitzuhalten schien: sagenhaften Erfolg, vernichtende Rückschläge, Intensität, Hingabe, beglückende Erlebnisse und abgrundtiefe Enttäuschung, Intrige, Bosheit, Großherzigkeit. Und es gehörte dazu, ganz selbstverständlich die Zähne zusammenzubeißen, sich durchzukämpfen. Denn, so die Begründung und Rechtfertigung, gerade auch der dunklen Seiten: Erfolg habe seinen Preis.
Vielleicht war es die Verlusterfahrung und die Kriegstraumatisierung der Elterngeneration, dieser moralische Imperativ zu funktionieren in Wiederaufbau und Wirtschaftswunder, den wir von ihnen lernten, der mich, meine Generation oft nicht fragen ließ, ob dieser Preis angemessen sei. Und der Missbrauch von Macht kam in verführerischem Gewand. In der Schule und später im Theater traf ich auf Lehrer und Machertypen, die durch 1968 und die Hippie-Zeit geprägt waren. Sie verhielten sich anders, freigeistiger, großzügiger, waren raum- und besitzergreifend gegenüber Sachen und Personen. Das war im besten Fall faszinierend, hatte etwas Genialisches. Aber da gab es auch Anmaßung, Übergriffe. Die Augenhöhe war oft eine behauptete, die Freiheit gab es meist nur für den, der in der Position des Mächtigeren saß.
Woher nehmen sich Menschen, die durch Funktion, Erfahrung oder Ansehen Macht und Einfluss gewonnen haben, das Recht, andere Menschen zu missachten und zu verletzen? Wo endet die in vielen Kontexten gewollte und notwendige Führung von Menschen, und wo beginnt der Missbrauch dieser eigentlich nur situativ und temporär übertragenen Macht?
Die Bewegung „MeToo“, was so viel heißt wie: Mir ist das auch passiert, ging von Frauen aus der amerikanischen Filmindustrie aus, die nicht länger akzeptieren wollten, dass sexuelle Übergriffe Teil des Jobs und als Preis für Erfolg zu ertragen seien. Schnell meldeten sich immer mehr Frauen und Männer, die physische und psychische Gewalt erlebt hatten, auch in anderen Künsten, in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Und ebenso schnell wurden Stimmen laut, die den „doch so wunderbaren“ Dirigenten, Regisseur, Politiker – die Reihe ließe sich fortsetzen, wobei es meist um mächtige Männer ging – gegen diese „ungeheuerlichen“, so empörte man sich, Vorwürfe verteidigten.
Heute wandelt sich das Bewusstsein in Gesellschaft und Künsten. Wir sind sensibilisiert. Erfolg ist kein Persilschein für Machtmissbrauch, der Zweck heiligt nicht die Mittel. Das Thema hat auch die Kunsthochschulen erreicht. In der aktuellen Ausgabe unseres Magazins Frankfurt in Takt beschäftigen wir uns mit unterschiedlichen Konstellationen, in denen Menschen in der HfMDK in den Künsten aufeinandertreffen und durch Funktion, Erfahrungsvorsprung, Alter, Geschlecht oder Herkunft nicht gleich sind (nachzulesen unter: www.hfmdk-frankfurt.de/thema/presse-kommunikation)
Meine Haltung ist eindeutig: Ohnmacht ist kein Zustand, der Kreativität fördert. An der HfMDK tolerieren wir den Missbrauch von Macht nicht.
Prof. Elmar Fulda, Präsident der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt (HfMDK)