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Performative Ansätze in der Vermittlung

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Das Vermitteln und das Testen von neuen Lehrformaten in ungewöhnlichen und innovativen Kontexten ist einer der inhaltlichen Schwerpunkte im Masterstudiengang für Contemporary Dance Education (MA CoDE) des Ausbildungsbereichs Zeitgenössischer und Klassischer Tanz der HfMDK in Frankfurt am Main.

Der Studiengang wurde im Zuge des Initiativ-Programms Tanzplan Deutschland der Kulturstiftung des Bundes vor elf Jahren gegründet und hat sich zur Aufgabe gemacht, den Transfer zwischen Ausbildung und Berufspraxis, zwischen Praxis und Theorie und zwischen Forschung und Vermittlung herzustellen.

Er ist wie eine Art Labor konzipiert, mit der Ausrichtung auf konkrete Vermittlungsprozesse im Arbeitsfeld, die in einem breiten Netzwerk von internationalen Partnerinstitutionen durchgeführt werden. Ziel ist es, der thematischen wie ästhetischen Vielfalt im Sinn von aktueller Zeitgenossenschaft Rechnung zu tragen. Daraus ergibt sich der Auftrag, über Vermittlung als Teil derzeitiger Kunstproduktionen nachzudenken und neue Formate sowie gleichzeitig Berufsfelder zu entwickeln, die die Studierenden in Zukunft für sich weiter gestalten können. In seinem Kern besteht der MA CoDE folglich aus dem Befragen, Dekonstruieren, Analysieren, Re-Strukturieren und Erproben von Methoden, Praktiken, Theorien, Materialien aus dem Tanz sowie angrenzenden Disziplinen.

In einem Arbeitsfeld, in dem sich in den vergangenen Jahren besonders freischaffende und nomadisch arbeitende Künstler-Vermittler einen Namen gemacht haben und institutionelle Arbeitszusammenhänge neu erobert werden müssen, ist die Entwicklung wirkungsvoller und aktueller Ausbildungscurricula eine große Herausforderung. Vermittler, die sich an der Schnittstelle zur Kunst positionieren, benötigen Fertigkeiten, die sich durchaus mit dem Begriff des Performativen für die Anwendung in einem erweiterten Arbeitsfeld beschreiben lassen. Das Performative verweist auf Gestaltungspotenziale, Präsenz, kommunikative Transfers oder, wie Hans-Thies Lehmann es in seinem Werk zum Postdramatischen Theater zitiert, „auf eine integrative Ästhetik des Lebendigen“1, womit er Performance-artige Procedere beschreibt, die nicht nur künstlerische Formen beinhalten. Diesen erweiterten Begriff des Performativen, der offene künstlerische Prozesse genauso wie körperliche Handlung und Präsenz mit einschließt, lässt sich durchaus auf unterschiedliche Vermittlungsformate übertragen, insbesondere in einer Sparte, die sich mit und über den Körper artikuliert.

Eine Präsenz des Lehrenden, die lebendige Kommunikation mit Teilnehmerinnen, die Fähigkeit, Zeitlichkeit in speziellen Settings zu gestalten und thematische wie auch somatische Kontexte in einem erweiterten Rahmen und mit verschiedenen Zielgruppen jenseits von Narration zu verorten, decken sich mit dem erläuterten Performanceverständnis und gehen weit über handwerkliche und eher konventionelle, methodische Fertigkeiten hinaus.

In dem kommenden Wintersemester erforschen und entwickeln die Studierenden des MA CoDE Trainingshybride, die sich aus unterschiedlichen ästhetischen, physischen, methodischen und auch historischen Materialien speisen. Als Grundlage dienen diverse Informationsquellen von Texten, Skizzen, Filmen, animierten Webseiten oder anderen Publikationsformen wie etwa Scores. Für derartige Übersetzungsprozesse oder Transfers von Informationen und Materialien in die Physis gibt es keine Vorlagen, vielmehr müssen Verknüpfungen zwischen ausgewählten Informationen individuell hergestellt und in konkreten Kontexten – seien es Zielgruppen oder Institutionen – praktisch getestet und vor allem erfahrbar gemacht werden.

Die Alumna Anja Bornšek beschrieb ihre Erfahrung mit dem Studien-Programm kürzlich wie folgt: „Der MA CoDE hat eine Welt der Korrelationen zwischen Ausbildung und künstlerischer Praxis eröffnet und entwickelt. Es fördert eine neu definierte Konzeptualisierung bezüglich der Vermittlung von Bewegungspraxis in der Darstellenden Kunst. Während des Studiums in diesem Programm ist mir klar geworden, wie wichtig und notwendig es tatsächlich ist, kulturelle Prägungen in Kunst und Ausbildung zu überdenken und neu zu definieren.“2

Dieses Herangehen deckt sich mit aktuellen oder auch zeitgenössischen Vorgehensweisen im Tanz und ist gleichfalls auf zeitgenössische Strömungen in der Musikvermittlung übertragbar, wenn jenseits von einem linearen Technikverständnis neue Settings gestaltet werden müssen. Daraus kann im besten Falle eine Vermittlungspraxis entstehen, die einen individuellen, aber besonders auch künstlerischen Ausdruck zur Grundlage hat. Denn je nach inhaltlicher Fokussierung müssen, wie in einer praxisorientierten und angewandten künstlerischen Forschung, die Methoden erst entwickelt werden. Die Choreographin Meg Stewart formulierte das in einem Interview kürzlich: „Ich hatte keine Technik, die ich später wieder hätte verlernen müssen, sondern musste vielmehr eine Technik und Struktur um mich herum erst aufbauen, um die Dinge umzusetzen, die ich mir vorgestellt hatte“.3

Die Integration und Entwicklung individueller Lösungen sind als ein reflektierter künstlerischer Prozess für zeitgenössische Vermittlung wesentlich. Damit positioniert sich der MA CoDE als ein künstlerisch forschender Studiengang, in dem die Entwicklung neuer Formate grundlegend ist. Performance und Vermittlung schließen sich folglich nicht aus. Im Gegenteil: Die Integration eines erweiterten Performancebegriffs wird so zu einem wesentlichen Baustein bei der Gestaltung innovativer Unterrichtsvorhaben, die künstlerische Ansätze und Formen integrieren. Damit wird auch die notwendige Positionierung des Studienganges an einer praxisorientierten Kunsthochschule wie der HfMDK unterstrichen.

Prof. Ingo Diehl, Studiengangleiter Master for Contemporary Dance Education (MA CoDE) der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main (HfMDK) und Präsident der Hessischen Theaterakademie

Anmerkungen:
1) Lehmann, Hans-Thies, Postdramatisches Theater, Verlag der Autoren, Frankfurt am Main 1999, S.245
2) Anja Bornšek In: 10 Jahre MA CoDE, Festschrift, HfMDK 2016, S.9.
3) Zeitschrift der Kulturstiftung des Bundes, No 30, Frühling/Sommer 2018.

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