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Blick aus der Vogelperspektive: Es wirkt wie ein Foyer, mit einer Art Orchestergraben in dem ein Flügel und vereinzelte Musiker*innen stehen. Auf der höheren Foyerebene isnd diverse Menschen, die verstreut herumstehen.

Performance von Koka Nikoladze bei der Neuen Musik Nacht 2023 an der HfMDK Frankfurt. Foto: Hansjörg Rindsberg

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Perspektiven eines Feldversuchs

Untertitel
Stiftungsgastprofessur Komposition an der HfMDK Frankfurt
Vorspann / Teaser

Wenn eine Hochschule ein Format mit dem Titel „Stiftungsgastprofessur Komposition“ auflegt, könnte man darunter ein Programm vermuten, das Komponist*innen unserer Zeit einlädt, sich mit Kompositionsstudierenden auseinanderzusetzen. Daran wäre auch gar nichts auszusetzen. Die Stiftungsgastprofessur Komposition an der HfMDK Frankfurt, die sich als Institution die Förderung von „Innovation und Interdisziplinarität“ und das Schaffen von Freiräumen „für Experiment, neue Arbeitsweisen und künstlerische Forschung“ ins Leitbild geschrieben hat, geht allerdings ganz bewusst andere Wege.

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Seit 2019 werden, getragen von der HfMDK-Stiftung und kuratiert vom Institut für zeitgenössische Musik IzM, Komponist*innen nach Frankfurt eingeladen, die – je nach Charakteristik ihres Schaffens – mit unterschiedlichen Fachbereichen der Hochschule und auch übergreifend arbeiten und das Thema „Komposition“ nicht als alleiniges Feld von Komponist*innen, sondern als Ausgangspunkt einer Reflexion, Diskussion und Praxis sehen, bei der viele Abteilungen zusammenwirken. Dabei reicht die Spanne vom Diskurs über das Thema Notation, Tryouts und Lectures mit Kompositionsstudierenden und Performer*innen aller Sparten, über den Austausch, wie mit „scores“ in anderen Disziplinen wie zum Beispiel dem Tanz umgegangen wird, bis hin zum Vorstellen und Austesten von ko-kreativem Arbeiten, um ein Werk oder eine Performance zu „komponieren“. Das sind Erfahrungsfelder, die Studierende auf den sich ständig ändernden Arbeitsmarkt vorbereiten und die Lehrende wach und aufmerksam halten für Strömungen, die sich außerhalb der Hochschule entwickeln.

Im Nominierungspool für die Stiftungsgastprofessur befindet sich ein breites Spektrum von Vertreter*innen zeitgenössischer Musik, sowohl was die Schwerpunkte und Stilistiken, das Lebensalter als auch die ästhetische und gesellschaftliche Verortung angeht. Gerade die Abwechslung von sogenannten „Leuchttürmen“ der neuen Musik und jungen, spannenden Persönlichkeiten, die das Thema Komposition weit fassen, macht das Programm für Studierende aller Fachbereiche und Lehrende interessant. Die „Wegmarke“ Brian Ferneyhough, der den Reigen 2019 eröffnete, brachte vor allem das Thema Notation ein. Die Auseinandersetzung damit führte zu einem Symposium, bei dem Vertreter*innen aus Komposition und Musikwissenschaft, Instrumentalist*innen und Dirigent*innen, aber auch Elektronik- und Tanzspezialist*innen zum Diskurs beitrugen und ins Gespräch kamen. Die Lectures mündeten außerdem in eine längst überfällige Übersetzung der Texte Ferneyhoughs ins Deutsche, die im Herbst unter dem Titel „Kraftlinien“ beim Pfau-Verlag erschienen ist, herausgegeben vom IzM. Die zweite im Bunde der Stiftungsgastprofessur war Lucia Ronchetti, die zum Thema Musik- und Instrumentaltheater arbeitete. Aber auch ganz anders orientierte, junge Künstler*innen sollen zum Zug kommen, die sich zum Teil selbst gar nicht als Komponist*innen verstehen, sondern – wie beispielsweise Koka Nikoladze – als Performer, Technologen, Multi-Instrumentalisten, Tüftler und Instrumentenerfinder. Als Kunstschaffende an den Schnittstellen der Spartenfelder. So wird versucht, den Blick auf Komposition zu weiten und die Reflexion einzelner Hochschulabteilungen aber auch den interdisziplinären Austausch anzuregen. Von Studierenden und Lehrenden bis hin zu Mitgliedern der Hochschulverwaltung, die etwa während der Stiftungsgastprofessur von Koka Nikoladze in einer Performance von „The impossible Song“ bei der Neuen Musik Nacht 2023 mitwirkten (dokumentiert auf dem YouTube-Kanal der HfMDK).

Unsere Erfahrung bisher: gute! Und ermutigende. Die ersten Durchgänge der Stiftungsgastprofessur Komposition tragen zur interdisziplinären Zusammenarbeit innerhalb der Hochschule bei, vernetzen sie mit wichtigen Akteuren in Kunst und Kultur in Frankfurt und darüber hinaus und fördern die Internationalisierung der HfMDK. Das Format setzt einen Beitrag zur Profilierung der Hochschule in den zeitgenössischen Künsten. Vor allem nehmen wir aber wahr, dass gleichgültig mit welchen Formaten oder Schwerpunkten die Gäste zu uns kommen, immer wesentliche Fragen berührt werden: Was habe ich heute als Künstler*in zu sagen, und wie tue ich es? Kann ich mich auf dem Markt behaupten? Wo ist mein Platz in einer sich ständig verändernden Welt? Welche Perspektiven und Möglichkeiten des Komponierens und gemeinschaftlichen Arbeitens gibt es? So hat sich zum Beispiel das Schweizer Kollektiv blablabor, das ab November 2023 die Stiftungsgastprofessur innehat und für drei Arbeitsinseln nach Frankfurt kommt, auch das Thema kollektive Autor*innenschaft vorgenommen. Für den Durchgang 2024/25 sprechen wir derzeit mit Liza Lim, die sich unter anderem dem Thema Nachhaltigkeit widmen möchte, um zu beleuchten, welche Rolle es in ihrem künstlerischen Schaffen spielt. Der Nominierungspool und seine Themen sind bunt. Wir sind gespannt, in welche Richtungen und Räume uns die Stiftungsgastprofessur Komposition noch führt.

  • Dr. Karin Dietrich, Leitung Institut für zeitgenössische Musik IzM der HfMDK Frankfurt

Stiftungsgastprofessur Komposition 2023/24: blablabor

Im November 2023 arbeitete blablabor mit den HfMDK-Studierenden zur Klanglichkeit von Sprache. Im April 2024 setzt sich das Kollektiv mit dem Thema Medienreflexion auseinander – inklusive Gastsendung bei Radio X Frankfurt und einem Porträtkonzert am 27. April an der HfMDK. Die dritte Arbeitsinsel widmet sich im Juni 2024 der kollektiven Autor*innenschaft.

 

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