Berlins Bestand an Kunsthochschulen ist herausragend und erhaltenswert. Doch die entscheidende Senatssitzung zum Doppelhaushalt 2004/2005 Anfang Juli könnte alles in Frage stellen: Drastische Sparvorschläge liegen auf dem Tisch.
Berlin ist pleite. Das ist allgemein bekannt. Nicht bekannt ist jedoch, wie und wo die dringend nötigen Einsparungen stattfinden werden. Und da auch der von allen Seiten stets als zukunftsträchtig gerühmte Sektor Bildung hiervon nicht ausgenommen sein wird, herrscht in der Hochschulszene große Unsicherheit. Welche Sparhämmer wird der neue Doppelhaushalt noch mit sich bringen?
Insbesondere die Situation der Kunsthochschulen scheint alles andere als gesichert. Dabei hätte doch eigentlich eine von Kultursenator Thomas Flierl (PDS) beauftragte Expertenkommission frühere Debatten beenden sollen, indem sie prüfte, ob das gegenwärtige System von drei kleinen Kunsthochschulen und einer großen, der Universität der Künste (UdK), erhalten werden sollte. Das Resultat war durchweg positiv und bestätigte den status quo. Geplant ist außerdem, die kleinen (Ost-) Berliner Einrichtungen Kunsthochschule Weißensee, Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ und Hochschule für Musik (HfM) „Hanns Eisler“ erstmals wie die Universitäten mit Hochschulverträgen zu versehen, damit sie nicht mehr von der jeweiligen Haushaltslage abhängig sind, sondern Planungssicherheit erhalten. Darüber wird zur Zeit verhandelt.
Doch während Flierl nun die Vorschläge der Kommission umsetzen möchte, sieht er sich mit Sparforderungen seines Kollegen im Finanzressort Thilo Sarrazin (SPD) konfrontiert, der lautstark die Halbierung der Studienplätze im künstlerischen Bereich und damit Einsparungen von 40 Millionen Euro fordert. Sarrazin war in der Vergangenheit öfter mit populistischen Äußerungen aufgetreten („Entweder heile Straßen oder alle Opern!“). Er soll Gerüchten zufolge zwar im Senat an Rückhalt verlieren, doch gilt es, auch andere Vertreter des Gießkannenprinzips beim Sparen zu überzeugen, dass hier entscheidende ideelle Ressourcen der deutschen Hauptstadt auf dem Spiel stehen.
Die geforderte Summe entspricht dem Etat aller kleinen Hochschulen zusammen und zusätzlich einem Viertel der UdK. Einigen wird man sich natürlich im Endeffekt auf einen niedrigeren Betrag. Aber für den Kultursenator liegt „die Mitte zwischen Null und 40 Millionen nicht bei 20 Millionen.“ UdK-Präsident Lothar Romain sieht die Chance bei 50 Prozent, auf der Basis der Kommissionsempfehlungen neue Hochschulverträge abschließen zu können. Wenn jedoch drastische Einschnitte geschähen, so befürchtet er, würde „das gesamte System zertrümmert. Und mit vier Ruinen kann man nicht leben.“
Die Experten waren zu dem Ergebnis gekommen, dass die drei kleinen Kunsthochschulen unbedingt eigenständig bleiben sollten, da sie sich jeweils einen ausgezeichneten Ruf erworben haben. Bei einer möglichen Fusion mit der Universität der Künste würde so innerhalb der jeweiligen Studienrichtung ein unverwechselbares Profil verloren gehen. Trotzdem wurden einige Vorschläge zur inhaltlichen Konzentration gemacht. So soll etwa der Studiengang Kultur- und Medienmanagement von der HfM an die UdK verlagert werden, da er dort besser zu bereits bestehenden Angeboten passt. Dagegen gibt es von beiden Hochschulen zwar keine prinzipiellen Einwände, die betroffenen Dozenten und Studierenden wollen aber lieber an der HfM bleiben. Aus dieser Verlagerung würde sich allerdings ohnehin keinerlei Einsparungspotenzial ergeben.
Wichtiger noch ist der Vorschlag, Zentren für Jazz/Popularmusik sowie für Musiktheater einzurichten. Dabei könnten sich UdK und HfM tatsächlich einander annähern und die Qualität steigern, ohne Kürzungen hinnehmen zu müssen. Zumindest nach Meinung von Lothar Romain und HfM-Rektor Christhard Gössling sind solche Zentren begrüßenswert, sollten sich jedoch auf die Projektarbeit konzentrieren. Bei den jährlichen Opernprojekten stellen sich praktisch jeder Musikhochschule Probleme. Denn es muss ein geeigneter Theatersaal zur Verfügung stehen, die Ausstattung erfordert gewaltige Anstrengungen, es fällt schwer, eine doppelte Sängerbesetzung zusammenzustellen und die eigenen Studierenden im instrumentalen Hauptfach neben den vielen anderen Projekten auch noch für die Oper zu rekrutieren. Hier könnten sich die beiden Hochschulen gewinnbringend ergänzen, zum Besipiel durch den nur an der HfM bestehenden Studiengang Regie oder den größeren Theatersaal der UdK. In der vielfältigen Berliner Opernlandschaft, wo sich auch noch zahlreiche Off-Projekte tummeln, wären so Hochschulaufführungen von noch höherer Qualität und größerer öffentlicher Resonanz realisierbar.
Beim Jazz sind gemeinsame Projekte weniger naheliegend. Doch auch hier sieht Gössling die Möglichkeit, in einem Zentrum das Angebot und die Vielfalt für die Studierenden zu erhöhen, da die beiden Hochschulen unterschiedliche stilistische Schwerpunkte setzen. Natürlich besteht bei diesen Vorschlägen die Gefahr, dass sie als Einstieg in Sparmaßnahmen dienen könnten. Wenn man nicht gewillt ist, die existierenden Studienplätze zu erhalten, dann ist der Weg vom Zentrum zur Zusammenlegung nicht mehr weit. Diese Ziele hatte die Kommission nicht im Auge, vielleicht aber manch sparwütiger Politiker.
Auch bei der Berufung von Professoren können und wollen sich UdK und HfM näher kommen. Zwar wird es keine gemeinsame Abstimmung bei Berufungen geben, wie in dem Gutachten vorgeschlagen wird. Dies würde in der Praxis auch eine zu große gegenseitige Bevormundung bedeuten. Aber ein Mitglied der jeweils anderen Hochschule soll in den Berufungskommissionen sitzen, um über das aktuelle Niveau auf dem Laufenden zu sein. Auch könnte so der heilsame Blick über den eigenen Tellerrand hinaus verstärkt werden. Man ist sich also durchaus einig, dass verstärkte Kooperation nicht die Eigenständigkeit beschneidet, sondern im Gegenteil, verbunden mit charakteristischem Profil, beide Partner stärkt. Wenn sich allerdings eine Hochschule ständig in Frage gestellt sieht, dann muss sie ihr Profil auf Kosten der anderen schärfen; so kann es keine Kooperation geben, sondern nur Konfrontation.
Berlin besitzt mit den beiden Musikhochschulen ein in ganz Deutschland einzigartiges Erbe. Wichtiger als die Bewahrung dieses geschichtlich gewachsenen Duos ist jedoch der Erhalt der Studienplätze. Deren Zahl ist im künstlerischen Bereich eher geringer als in Wien, London, oder Paris, wie das Gutachten der Experten zeigt. Mit diesen Metropolen muss und will Berlin sich jedoch immer vergleichen, nicht mit dem Rhein-Main-Gebiet oder mit Hamburg. Denn wo sonst in Deutschland gibt es solch ein reichhaltiges Kulturleben und ist der wichtige Praxisbezug der Kunsthochschulen so stark? „Wenn man zum Erhalt der Studienplätze steht“, so Christhard Gössling, „dann kann man auch zu zwei Musikhochschulen stehen.“ Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) will die Studienplätze erhalten – ob aber seine Bekräftigungen auch noch nach der entscheidenden Senatssitzung etwas wert sind, wird sich zeigen.