Eine schwarze Studentin in der Musikpädagogik fasst ihre Erfahrungen im ersten Semester an einer deutschen Hochschule mit den Worten zusammen: „Mein erstes Gefühl war, da ist niemand. Ich fühlte mich so, so allein. Ich gehöre zu keiner Gruppe. Ich bin meine eigene Gruppe, weil ich die Einzige aus Westafrika bin.“ Ein afrikanischer Gesangsstudent ist nach einem Jahr verzweifelt: „Wenn ich keine Perspektive auf eine Karriere hier habe oder wenn die Deutschen mit mir gar nichts zu tun haben wollen – warum haben sie mir ein Stipendium gegeben?“ Eine schwarze Popmusikstudentin, die in Deutschland aufgewachsen ist, bekommt in der Mensa von einem Kommilitonen zu hören: „Ich würd’ halt eh nicht richtig dazugehören, weil ich halt anders aussehe.“ Es gibt nur wenige Schwarze Studierende an Musikhochschulen, nirgendwo können sie von einer Gruppenbildung profitieren. An keiner Institution erleben sie Schwarze Lehrende, vielmehr sehen sie sich mit einem weißen Ausbildungssystem konfrontiert. Ihre Stimmen werden oft nicht gehört, obwohl immer wieder betont wird, Musik sei eine universelle Sprache, die eine verbindende Wirkung auf alle habe.
Schwarze Stimmen in einer weißen Musikwelt
Seit der US-amerikanischen „Black Lives Matter“-Bewegung und der deutschen „#MeTwo“-Kampagne (2018) hat das Thema Rassismus bei vielen deutschen Musikethnolog*innen Eingang in die Lehre gefunden. Rassistische Diskriminierung innerhalb der eigenen Institution wird hingegen kaum thematisiert. Diese unbefriedigende Situation motivierte mich, meine Wissenslücken mit musikethnologischen Methoden und meinem Fachwissen über afrikanische Kulturen zu schließen. Ich wollte herausfinden, was ich als weißer Lehrender tun muss, um den Studierenden ein faires und diskriminierungsfreies Lernumfeld zu ermöglichen. Zwischen 2016 und 2021 habe ich qualitative Interviews mit Musikstudierenden unterschiedlicher Herkunft geführt, die aufgrund ihrer Hautfarbe von der deutschen Mehrheitsgesellschaft in der transnationalen Gruppe der „Schwarzen“ zusammengefasst werden. Die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe hat bei Männern und Frauen trotz unterschiedlicher Sozialisation und Voraussetzungen für das Musikstudium vergleichbare Erfahrungen hervorgebracht.
Aufgrund der Lektüre von Forschungen zum Alltagsrassismus in Deutschland war ich darauf vorbereitet, in den Interviews gewisse Übereinstimmungen damit zu finden. Ich war jedoch überrascht, dass mir darüber hinaus von Diskriminierungserfahrungen berichtet wurde, die speziell mit dem Leben an einer Musikhochschule zu tun haben. Diese wirkten oft verstärkend auf die Studierenden, die sich aufgrund ihres Aussehens und ihrer Fähigkeiten diskriminiert fühlten. Alle Schwarzen berichteten mir von verbalen Mikroaggressionen im Studienalltag. Das konnten abwertende Kommentare von Kommiliton*innen sein: „Stimmt es, was alle Studierenden sagen: Dass du nur auf YouTube Gesangsunterricht gemacht hast?“ Rassistische Stereotype wurden aber auch im Unterricht von Lehrkräften reproduziert: „Dann sagt meine Lehrerin: ‚Ja, du bist Carmen. Du musst Carmen singen.‘ So. Jetzt bin ich aber eigentlich überhaupt nicht so ein Typ für Carmen. Ich bin viel besser der Hänsel. Ich kann viel besser so einen Jungen darstellen. Und dann heißt das also: ‚Nee, deine Figur, deine Hautfarbe, deine Haare – du bist Carmen.‘“ Solche Übergriffe lassen sich mit institutionellen Mitteln kaum kontrollieren oder unterbinden, da sie keine Beleidigungen darstellen, die strafrechtlich verfolgt werden können. Es besteht lediglich die Möglichkeit, Lehrende und Studierende für das Thema zu sensibilisieren.
Eigene Position verstehen
Alle Interviewten bestätigten mir, dass gerade die musikwissenschaftlichen Lehrangebote an den Hochschulen im Bereich Gender, Diversity und Postcolonial Studies eine solche Sensibilisierung erzeugen können. Durch die Auseinandersetzung mit den Theorien haben sie ihre eigene Position in der deutschen Gesellschaft besser verstanden. Sie lernten auch, diskriminierende Kommentare schon mit kleinen Gesten abzuwehren. So berichtete beispielsweise eine deutsche Sängerin von einer Situation in einer Produktion während ihres Studiums, in der sie von einem weißen Regisseur kritisiert wurde: „Das war ihm alles irgendwie nicht erotisch genug, und nicht fleischlich genug, und nicht erdig genug, und nicht animalisch genug. Und dann meinte er so irgendwann total entnervt: ‚Ja, wieso, wieso können Sie das nicht? Das muss Ihnen doch total nahe liegen.‘ – Und dann hab ich ihn total entsetzt angeguckt, weil das war das Letzte, was ich von ihm so erwartet hatte. Ich konnte gar nichts mehr sagen, ich war nur so: ‚Wieso?‘ Und dann guckte er mich an und dann meinte er so: ‚Hm, ja, stimmt eigentlich. Wieso? Ja, ’tschuldigung.‘ Ich glaube, er hat in dem Augenblick so seine ganze Vorurteilswelt vor sich gesehen und war total so: ‚Oh man, was habe ich das eigentlich gerade gesagt?‘“ Wissenschaftliche Seminare zu aktuellen Themen können daher für Studierende künstlerischer Fächer von besonderer Bedeutung sein.
Im Bereich des Studienalltags wurde die Organisation des Lebens in Deutschland von allen befragten afrikanischen und lateinamerikanischen Studierenden als zeit- und energieaufwändig beschrieben. Sie verlieren dadurch notwendige Zeit für das Studium und das Musizieren in Deutschland und erleiden einen deutlichen Wettbewerbsnachteil. Nach ihren Aussagen gibt es in ihren Herkunftsländern noch keine Organisationen, die sie dabei unterstützen, wie es beispielsweise bei chinesischen Studierenden der Fall ist. Eine westafrikanische Studentin berichtete: „Du musst dich um deine Aufenthaltsverlängerung kümmern und du musst so viele Dokumente vorlegen als Ausländerin! Und dann hatte ich auch meinen Job verloren! Das waren einfach so viele Dinge, so viele zu schwierige Dinge. Ich hatte auch immer noch Verständigungsschwierigkeiten. Da dachte ich mir: Werde ich wirklich das Sommersemester durchhalten? Vielleicht brauche ich eine Pause. Ich hatte keine Pause, seitdem ich in Deutschland angekommen war. Vielleicht brauche ich eine Pause, um zu mir zu kommen, emotional, gesundheitlich und finanziell auch.“ Die bestehenden Kapazitäten der International Offices an den Hochschulen sollten daher ausgebaut werden, um Ungleichheiten zwischen Studierenden aus verschiedenen Ländern auszugleichen.
Der Schlüssel für ein erfolgreiches Studium und eine Integration in Deutschland besteht allerdings nach Aussagen aller ausländischen Interviewpartner*innen im Erwerb der deutschen Sprache: „Wenn du nicht Deutsch sprechen kannst, dann bist du nur anwesend, kannst nur zuschauen. Du wirst nicht reden, damit die anderen Leute dich nicht auslachen können. Denn einige von denen haben nicht viel Geduld.“ Von daher wäre es sinnvoll, wenn die Hochschulen in Deutschland mehr Wert auf sprachliche Vorkenntnisse legen oder in der Studieneingangsphase mehr Zeit zum Spracherwerb einräumen würden.
Finanzielle Hürden
Viele talentierte ausländische Bewerber*innen schaffen es allerdings gar nicht erst nach Deutschland, weil die finanziellen Hürden in den letzten Jahren immens gewachsen sind. Studierende aus Nicht-EU-Ländern müssen für ein Visum und eine Aufenthaltserlaubnis ein Sperrkonto einrichten, das mittlerweile rund 12.000 Euro beträgt. Hinzu kommen die Reisekosten zu den Aufnahmeprüfungen. Ein Student aus Südamerika berichtete mir von seinem schwierigen Studienstart: „2013 machte ich meine erste Reise nach Deutschland. Ich musste die Aufnahmeprüfung hier persönlich machen. Aber leider habe ich sie nicht bestanden. Dann musste ich zurück. Mich besser vorbereiten und noch mehr Geld verdienen. 2015 habe ich es nochmal versucht. Da habe ich zum Glück bestanden. Aber wir mussten ein Sparkonto haben als Ausländer, um das Visum zu bekommen. Zunächst habe ich kein Visum bekommen. Ich musste noch mehr arbeiten, ich habe ein bisschen Geld von meinen Eltern bekommen und endlich konnte ich das Ticket kaufen und nach Deutschland kommen.“ Ein solches System führt zu einer Selektion nach Klassenzugehörigkeit. Schwarze Menschen aus dem globalen Süden haben nur dann eine Chance, wenn sie aus der gehobenen Mittelschicht ihrer Herkunftsländer stammen. Die Hochschulen sollten deswegen talentierten Musiker*innen die Möglichkeit geben, sich online zu bewerben. Bürgschaften und Stipendien der Hochschulen oder Bundesländer für ausgewählte Studierende könnten für mehr Gerechtigkeit im Studienalltag sorgen.
Besonders beeindruckend war für mich zu hören, dass einige Studierende den Weg nach Deutschland gefunden haben, obwohl es in ihren Heimatländern keine öffentlichen Einrichtungen gibt, in denen Kinder und Jugendliche eine musikalische Ausbildung erhalten und Kenntnisse der westlichen Musik erwerben können. Dabei haben immer die christlichen Kirchen eine wichtige Rolle gespielt. Gerade die eurozentrisch geprägten kirchenmusikalischen Studiengänge an deutschen Hochschulen sollten sich daher stärker international ausrichten, um Menschen aus dem globalen Süden die Möglichkeit zu geben, ihre Begabungen in diesem Bereich adäquat einzubringen.
Die Überwindung eurozentristischer Lehrinhalte kann überhaupt zu mehr Toleranz und Wertschätzung führen. Die unterschiedlichen musikalischen Vorerfahrungen von ausländischen Student*innen, insbesondere wenn sie aus nichtwestlichen Ländern kommen, werden an deutschen Musikhochschulen bislang nur unzureichend gewürdigt. Die Studierenden müssen sich dem deutschen Ausbildungssystem anpassen. Sie erhalten allenfalls die Möglichkeit, die Musik ihres Heimatlandes bei einer Mensaparty zur Unterhaltung der Kommiliton*innen vorzutragen. Damit geht musikalisches Potenzial verloren, das diese Menschen aufgrund ihrer anderen Lebenserfahrung mitbringen. Die deutschen Musikhochschulen sollten ihre Curricula so überarbeiten, dass Räume entstehen, in dem alle Studierenden unabhängig von ihrer Herkunft ihre Fähigkeiten zeigen und ausprobieren können. Dazu gehört auch die Möglichkeit, interkulturelle Musikpraktiken zu erlernen.
Die Umsetzung dieser Handlungsempfehlungen kann die politisch geforderte Internationalisierung der Musikhochschulen nachhaltiger gestalten. Sie ist auch wichtig, um den Studienerfolg der bereits als förderungswürdig ausgewählten Personen zu gewährleisten. Schwarze Musikstudierende berichten mir immer wieder von Einsamkeitsgefühlen, psychischen Problemen bis hin zu Krankheiten, die sie sich während ihres Studiums in Deutschland zugezogen haben: „Das Problem nach dem Studium war, dass ich kaputt war. Ich hatte keine Stimme mehr. Nach dem Studium war ich ziemlich frustriert. Ich konnte kein g mehr singen. Und ein Tenor, der kein g singen kann, ist kein Tenor mehr. Ich glaube, das war das Ziel meines ehemaligen Professors. Ich hatte keinen Mut mehr. Ich war so tief gefallen, dass wenn ich vor einem Publikum von fünf Leuten auftreten sollte, ich Angst bekam. Weil ich nicht mehr wusste, was ich konnte. Früher in ***, da war ich gut. Aber nach dem Studium an der Musikhochschule, konnte ich nichts mehr.“ Es kann nicht Sinn der Musikhochschulen sein, mit Steuergeldern wenige Auserwählte in Kleingruppen und Einzelunterricht zu unterrichten, die dann gebrochen die Institution verlassen.
Meine Forschung hat mir gezeigt, dass es tatsächlich nur weniger inhaltlicher und struktureller Maßnahmen und eines besseren Verständnisses der individuellen Lebenssituationen bedarf, um die Situation Schwarzer Musikstudierender in Deutschland ein wenig gerechter und diskriminierungsfreier zu gestalten.
Die vollständige Studie wurde von der Rosa-Luxemburg-Stiftung online veröffentlicht unter:
https://www.rosalux.de/publikation/id/50323/schwarze-stimmen-in-einer-weissen-musikweltNepomuk Riva, Musikethnologe, vertritt zurzeit den Lehrstuhl für Ethnomusikologie an der Universität Würzburg
https://www.tagesschau.de/ausland/europa/diskriminierung-schwarze-eu-100.html
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