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Sehr viel mehr als Untermalung

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Reinke Schwinning forscht zur ideologischen Wirkung von Computerspielmusik
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Kaum ein Teenie, der nicht gern am Computer spielen würde. Wobei inzwischen auch viele Erwachsene PCs zum Spielen nutzen. „Computerspiele sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen“, konstatiert Reinke Schwinning, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Historische Musikwissenschaft der Universität Siegen. Seit drei Jahren befasst sich Schwinning mit Computerspielmusik. Aktuell forscht er zu der Frage, auf welche Weise Ideologien über Musik in Videospielen vermittelt werden.

Damit startete Schwinning ein spannendes und bisher einmaliges Projekt. Deutschlandweit gibt es noch nicht allzu viele Musikwissenschaftler, die sich mit Computerspielmusik beschäftigen. Der 33-Jährige begann 2017 nach seiner Dissertation über musikbezogene Schriften des Philosophen Ernst Bloch in dessen frühem Hauptwerk „Geist der Utopie“, sich mit der Frage zu befassen, inwieweit Computerspielmusik Informationen vermittelt. Unter Rückgriff auf Semiotik konnte er aufzeigen, dass Musik in Videospielen mehr ist als reine Hintergrundberieselung. In vielen Fällen trägt sie Bedeutung und ist integraler Bestandteil der Schnittstelle zwischen Spiel und Spieler.

Aktuell wird viel darüber diskutiert, wie Teenager durch einen kritischen Umgang mit digitalen Medien der Gefahr von Manipulation entgehen können. Genau das macht Reinke Schwinnings Projekt so interessant. Dem jungen Musikhistoriker geht es ausdrücklich darum, einen Beitrag zur reflektierten Nutzung von Computerspielen zu leisten. Gerade in Spielen, die sich um eine politische Ideologie drehen, etwa um marxistische oder kommunistische Konzepte, entfaltet die integrierte Musik oft eine Wirkung, die den Spielern viel weniger bewusst ist als die Kraft visueller Bilder. Etwa jene von Hammer und Sichel.

Gute Computerspielmusik richtet sich dezidiert nach der jeweiligen Handlung. Das kann Schwinning zum Beispiel am Spiel „Democratic Socialism Simulator“ zeigen. Die Spieler schlüpfen hier in die Rolle des ersten sozialistischen Präsidenten der Vereinigten Staaten. Allerdings ist die herrschende Klasse nicht bereit, ihre Macht so einfach aufzugeben. „Als ironischer Kommentar plätschert leicht im Hintergrund die ‚Internationale‘“, so Schwinning. Interessant sei, wie sie aufbereitet wurde: „Eben nicht als ein Kampflied.“ Seichtes, verfremdetes und mit der Zeit alternierendes E-Piano-Gedudel transportiert die Botschaft, dass es sich beim Sozialismus um eine nicht realisierbare Utopie handelt.

Während es bei diesem Spiel darum geht, eine politische Vision zu verwirklichen, wird der Spieler von „Crisis in the Kremlin“ in eine historische Zeit katapultiert, die real existiert hat: Die Perestroika. In dem Strategiespiel kann die Sowjetunion friedlich aufgelöst oder erhalten werden. „Hier wird ausschließlich linientreue sowjetische Originalmusik verwendet, und auch darin steckt ein Kommentar“, so Schwinning. Die Spielwelt wird also auch in diesem Beispiel nicht nur durch Bilder, sondern ebenso klanglich erschaffen: „Mit einer anderen Musik würde man ein völlig anders Spiel haben.“

Computerspielmusik, so die Quintessenz aller bisherigen Überlegungen, kann ein ganzes Wertesystem transportieren. Sie macht dem Spieler klar, wer „gut“ und wer „böse“ ist, welche Seite als „richtig“ und welche als „falsch“ eingestuft werden kann. Gleichzeitig, so Schwinning, wird bei politischen Spielen wie „Democratic Socialism Simulator“ durch die Musikauswahl transportiert: „Es ist alles nicht so einfach.“ Man kann nicht eben mal einen demokratischen Sozialismus etablieren: „Denn es könnte wirtschaftliche oder gesellschaftliche Probleme geben.“

Läuft alles weiter nach Wunsch, wird aus Schwinnings bisherigen Untersuchungen ein größer angelegtes Forschungsprojekt hervorgehen. Dabei will der Musikwissenschaftler mit Kollegen zusammenarbeiten, die sich ebenfalls mit Videospielmusik befassen. Politische Ideologien in Computerspielen sollen integraler Teil des Projekts sein. „Mir geht es zum Beispiel auch um das Thema der Radikalisierung“, sagt der Forscher mit Blick auf Spiele wie jene aus der Egoshooter-Reihe „Wolfenstein“. Nazis haben hier die Weltherrschaft an sich gerissen, wogegen der amerikanische Soldat William Joseph Blazkowicz äußerst brutal ankämpft.

In einer der letzten Teile von „Wolfenstein“ ist ein Potpourri bekannter Schlager in deutscher Variation zu hören: „Und zwar ist in dieser Sequenz das Sammeln von Schallplatten Inhalt des Spiels.“ Analog zu den „Beatles“ gibt es zum Beispiel die „Käfer“ mit dem Lied „Sie liebt dich“. Auch hier kommt wieder Ironie zum Tragen. Und abermals wird Schwinnings Ausgangsthese untermauert: Musik vermittelt in Computerspielen zusätzlichen impliziten Kontext, um ein tieferes Eintauchen in die Spielwelt zu ermöglichen.

Auch Rechtsradikalismus, und damit ein Thema, das aktuell im Zentrum des öffentlichen Interesses steht, findet sich in der Gaming-Kultur. So wurden Originalszenen aus dem Tätervideo des Christchurch-Attentäters in ein Egoshooter-Videospiel integriert. Der Spieler befindet sich ebenfalls in einer Moschee und schießt wahllos auf betende Muslime. „Es wäre hochspannend, zu sehen, ob und wie darin mit Musik gearbeitet wird“, so Schwinning. In einem größeren Forschungsprojekt wären Interviews mit Nutzern von Spielen, die rechten Hass verbreiten, vorstellbar und von wissenschaftlichem Interesse.

Schwinning bereitet sich aktuell erst einmal auf einen Ortswechsel vor: Nach sechs Jahren in Siegen, wo er auch studiert hat, läuft sein Vertrag im Frühjahr aus. Was aus dem anvisierten Projekt wird, hängt entscheidend davon ab, wo der Musikwissenschaftler weiterbeschäftigt wird. Unabhängig davon ist Schwinning gerade dabei, einen Arbeitsplan für die nächsten Jahre zu erstellen. An der Bedeutung des Themas „Computerspielmusik“ zweifelt der Musikwissenschaftler nicht. Von daher besteht für ihn auch die Hoffnung, an DFG-Fördermittel zu kommen.

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