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Sichtbar machen, was sonst im Verborgenen bleibt

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Ein Blick auf die Aktivitäten des Musikinstrumentenmuseums der Universität Leipzig
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Vielen gilt das Orgelspiel als die Königsdisziplin der Musik. Doch wie funktioniert eine Orgel eigentlich? Das wird mit Hilfe virtueller Realität bei einer Sonderausstellung 2024 im Musikinstrumentenmuseum der Universität Leipzig zu entdecken sein. Die Idee hierzu stammt von Stefan Hindtsche, der das Museum seit April 2022 leitet. Bis 2021 stand Josef Focht, Professor für Organologie, an der Spitze des Hauses im Grassi-Verbund.

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Die Geschichte des Musikinstrumentenmuseums beginnt vor fast 100 Jahren: 1926 übernahm die Universität Leipzig die Sammlung von Wilhelm Heyer. Der Kölner Papierfabrikant hatte 1913 ein „Musikhistorisches Museum“ eröffnet. Das Haus beherbergte seinerzeit die Instrumentensammlung von Alessandro Kraus aus Florenz und den Bestand der Klavierbaufirma Rudolph Ibach in Barmen. Außerdem hatte Wilhelm Heyer 1905 die gesamte Kollektion von Paul de Wit übernommen. Feierlich eröffnet wurde das Musikinstrumentenmuseum der Uni Leipzig am 30. Mai 1929. Im selben Jahr entstand ein Instrument, das bis heute zu den Highlights des Museums zählt: Die Kino-Orgel der Firma M. Welte & Söhne aus Freiburg im Breisgau. „Die hatten wir vom Palast-Theater in Erfurt übernommen“, erzählt Stefan Hindtsche. Mit diesem Instrument werden bis heute Stummfilme präsentiert.

Noch bis zum 8. Oktober ist in Leipzig, in Kooperation mit dem Museum für Völkerkunde, eine Ausstellung über Emmy Rubensohn zu sehen. „Sie war eine jüdische Musiknetzwerkerin mit äußerst spannender Lebensgeschichte“, sagt Stefan Hindtsche. Mit vielen Komponisten war die 1884 geborene Leipzigerin freundschaftlich verbunden, unter anderem mit Ernst Krenek. In ihrem Haus in Kassel vollendete Krenek seine berühmte, 1927 aufgeführte Oper „Jonny spielt auf“. Hindtsche: „Kaum einer weiß, dass dieses Werk damals ein größerer Erfolg war als die Dreigroschenoper.“

Wie so viele Juden, musste auch Emmy Rubensohn emigrieren: 1940 floh sie mit ihrem Mann nach Shanghai. „Dort gab es zu jener Zeit eine große jüdische Community“, erklärt Stefan Hindtsche. In vielen Briefen ist nachzulesen, wie sehr Emmy Rubensohn die chinesische Kultur schätzte. Passend zu dieser Facette ihres Lebens stellt das Musikinstrumentenmuseum Asiatika aus seiner Sammlung aus. Fast 200 Museumsobjekte entstammen der ostasiatischen Region. Ausgestellt wird unter anderem eine Mundorgel. Neben Originalkorres­pondenz ist außerdem von Emmy Rubensohn selbst hergestellter Schmuck zu sehen.

Künftig sollen durch den Einbezug von „Augmented Reality“ völlig neue Erklärungsebenen möglich werden, so der Museumsdirektor mit Blick auf die organologische Sonderausstellung 2024. „Diese Schau knüpft daran an, dass der Orgelbau in Deutschland kürzlich von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurde“, erläutert er. Gerade Mitteldeutschland birgt nach seinen Worten viele Orgelschätze. Das Musikinstrumentenmuseum selbst beherbergt seit 1926 eine Orgel von Gottfried Silbermann.

„An der Universität Leipzig gab es eine lange Orgelbautradition“, so Stefan Hindtsche. Die reicht bis ins 16. Jahrhundert zurück: „Allerdings ist nur sehr wenig erhalten geblieben.“ In der aktuell vorbereiteten Sonderschau soll unter anderem auf die Geschichte der Leipziger Universitätskirche Paulinum eingegangen werden. Die wurde auf Geheiß von SED-Chef Walter Ulbricht 1968 gesprengt: „Damit wurden auch die Orgeln zerstört, die in dieser Kirche verbaut waren.“ Ein unvorstellbarer Verlust: „Es hatte hier wirklich höchst interessante Objekte gegeben.“

Ziel der derzeit geplanten Sonderausstellung ist es nicht zuletzt, dem Publikum mit Hilfe digitaler Medien die Funktionsweise einer Orgel zu erklären. Hindtsche: „Wir wollen das sichtbar machen, was sonst im Verborgenen bleibt.“ Von einzelnen Orgeln aus der Sammlung wurden inzwischen Computertomographien angefertigt: „Mit den Daten, die aus diesen bildgebenden Verfahren gewonnen wurden, können wir dann 3-D-Modelle der betreffenden Objekte generieren.“

Diese Ausstellung kann nicht aus eigener Kraft realisiert werden, dazu ist sie allein technisch viel zu komplex. „Wir arbeiten mit vielen externen Partnern zusammen“, so Stefan Hindtsche. Sehr zugute kommt dem Team die Anbindung an die Leipziger Universität. Akustische Fragestellungen werden zum Beispiel mithilfe der Leipziger Physikerinnen und Physiker gelöst. Mediziner steuern ihre Expertise in Sachen Computertomographie bei.

Parallel arbeitet Stefan Hindtsche inzwischen bereits an einer Sonderausstellung für 2025, die weit bis ins Jahr 2026 hineinreichen wird. Anlass ist der 100. Todestag von Paul de Wit, der am 10. Dezember 1925 in Leipzig starb. Gleichzeitig wird 2026 der 100. Geburtstag des Museums gefeiert.

Auch bei Paul de Wit handelt es sich um eine interessante Persönlichkeit. Im Herbst des Jahres 1880 gründete der ehemalige Volontär im Musikverlag von Christian Friedrich Kahnt zusammen mit Oskar Laffert das Fachorgan „Zeitschrift für Instrumentenbau“. Hindtsche: „Das ist bis heute eine wichtige Quelle der Organologie.“ Paul de Wit, Violoncellist und leidenschaftlicher Sammler alter Musikinstrumente, beförderte zudem die Alte Musik-Bewegung.

Begleitend zur Ausstellung soll dem Gründer des „Musikhistorischen Museums“ in Leipzig als Vorgängerinstitution des Musikinstrumentenmuseums auch eine größere Publikation gewidmet werden. „Daran arbeitet inzwischen schon ein Team von fast 30 international renommierten Forscherinnen und Forschern“, berichtet der Museumsdirektor. Diese Arbeit sei sehr wichtig, weil das Archiv von Paul de Wit nicht erhalten geblieben ist. Aufgabe des Forscherteams ist es, in den kommenden Monaten Quellen von Paul de Wit ausfindig zu machen. Inzwischen ist schon eine ganze Reihe bisher unbekannter Korres­pondenz zusammengekommen. „Mit unserer Publikation wollen wir einige ganz neue Aspekte zu Paul de Wit veröffentlichen“, so Stefan Hindtsche.

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