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Ein Liedduo beim Musizieren. Im Hintergrund ein Fenster mit Blick ins Grüne.

Die deutsche Sprache lernt der rumänische Bariton Alexandru Suciu durch das Kunstlied. Am Klavier begleitet ihn Bianca Murariu. Foto: HfM Detmold/Plettenberg

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Sprache und Musik im Einklang

Untertitel
Duos vertiefen bei lied:literatur|Detmold ihr Wissen rund um das Kunstlied
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lied:literatur – der Anfang des Titels des neuen Projekts der HfM Detmold birgt bereits die zentrale Bedeutung in sich, die dem Initiator und Professor für Liedgestaltung Manuel Lange wichtig ist: Die Gleichbewertung von Musik und Text. Sich eine ganze Woche ausschließlich diesem Thema zu widmen, war schon immer Langes Wunsch. Und dieser wurde vom 10. bis 17. September Wirklichkeit. Mit Meisterklassen, einem Lyrikseminar sowie einem attraktiven Konzertprogramm ging lied:literatur|Detmold weit über einen einfachen Meisterkurs hinaus. Von Hochschulstiftung und der Gesellschaft der Freunde und Förderer unterstützt, verdichtete es sich zu einem Festival, das eines zum Ziel hatte: Teilnehmende und Publikum in die Tiefen und Weiten des Kunstliedes zu entführen und dabei zu zeigen, wie aktuell die Gattung sein kann.

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Es ist ein warmer Spätsommertag im September. Semesterferien. Noch wirkt es still vor dem Palais. Die Fassade des denkmalgeschützten Gebäudes ist eingerüstet und will so gar nicht zu dem passen, was sich bereits im Innern abspielt. Hinter den verschlossenen Türen der Überäume singen sich die ersten Liedduos warm. Acht an der Zahl sind es, die den Weg nach Detmold gefunden haben. Sie kommen aus Nürnberg, Trossingen und Köln. Bariton Alexandru Suciu und seine Klavierpartnerin Bianca Murariu sind extra aus Rumänien angereist. Kennengelernt haben sie sich durch ihre gemeinsame Arbeit an der Musikakademie von Cluj-Napoca (Klausenburg).

Zum zweiten Mal widmen sie sich als Duo dem Kunstlied, nachdem sie bei einem Meisterkurs in Montepulciano von Initiator Manuel Lange auf lied:literatur|Detmold aufmerksam gemacht wurden.

Suciu ist im Opernfach zuhause und singt Partien an verschiedenen Opernhäusern in Rumänien. Für ihn ist Liedgesang gleichbedeutend mit einem neuen Kosmos. Sein eigener Kosmos, in dem er sich zurücknehmen und seine Stimme flexibel und differenziert einsetzen muss. Getragen wird er dabei von seiner Klavierpartnerin. In Detmold arbeitet Suciu besonders an Ausdruck und Sprache. Obwohl er nur wenig Deutsch spricht, versteht er viel. Nicht zuletzt kommt ihm dabei sein Philologiestudium zugute. Im Unterricht sind Diktion, Phrasierung und Textverständnis schon so ausgereift, dass Dozentin Annette Dasch nur wenig auszusetzen hat. Er lässt seinen warmen Bariton ganz natürlich erklingen. Man hört die Konsonanten, die wie ein Sprungbrett auf den nächsten Vokal wirken, förmlich springen und dazu das Zungen-R vibrieren. In sich ruhend sucht er Halt am Flügel. Zwischendurch immer wieder der Blickkontakt zu Pianistin Bianca. „Im Lied sind beide Partner gleichberechtigt“, wird sie später sagen. „Die Liiiiiiebe hat gelogen, die Soooorge lastet schwer“, intoniert Suciu den Anfang von Franz Schuberts gleichnamigem Lied. Der Anfang soll nicht zu schwer und aufgesetzt klingen, spiegelt ihm Annette Dasch. Ihr Feedback weiß der Sänger gekonnt umzusetzen. „Denk nicht, dass es edel klingen muss, das kommt von ganz allein“, so die Sopranistin. Einen Tag später gibt sie selbst mit Bariton Klemens Sander und Manuel Lange am Klavier einen Liederabend. Ihre Opernstimme hält sie gekonnt zurück, wirkt leise und dabei doch so energetisch. Durch Mimik verleiht sie dem Sprachgestus zusätzlich Ausdruck. „Viele junge Sängerinnen und Sänger setzen am Anfang auf Stimme, was auch gut und altersgemäß ist“, wird Dasch später sagen. Ihr geht es um Inhalte und die Kunst, diese authentisch auf der Bühne zu verkörpern. Dazu vermittelt sie den Teilnehmenden ihres Kurses, dass sie zunächst verstehen müssen, was sie singen. So vermag Schuberts „Die Forelle“ auf den ersten Blick heiter, wenn nicht sogar belustigend klingen. In Wahrheit geht es in dem Gedicht aber um die Gefangenschaft eines politisch Verfolgten. Tiefere Einblicke in die Texte vermittelt während des Kurses der Literaturwissenschaftler Dr. Rüdiger Krüger. Er arbeitet mit den Duos an ihrem Repertoire und versucht, ihnen durch historische Zusammenhänge den Zugang zu erleichtern.

Dorothee Bienert ist Mezzosopranistin am Landestheater Detmold. Auch sie widmet sich noch nicht allzu lang dem Liedgesang. Ihr Interesse ist allerdings so groß, dass sie parallel zu ihrer Tätigkeit auf der Opernbühne den Masterstudiengang Liedgestaltung in der Klasse von Manuel Lange aufnahm. „Man kann nicht mal eben 19 Schritte in die eine Richtung machen, wenn es einen Gefühlsausbruch gibt“, so Bienert. Das ist das, was für sie den Unterschied zwischen Bühne und Konzertpodium ausmacht: Die bewusste Reduktion auf sich und den eigenen Körper, der im Moment ganz ohne Orchester, Kostüme und Bühnenrequisite auskommen muss. Wie sie sich den Zugang zu neuen Liedern verschafft? Erst einmal Referenzaufnahmen anhören, ohne die Interpretation bewusst zu übernehmen. Dann kommt die Beschäftigung mit dem Text ohne die Musik. Ist vielleicht ein Hintergrundgedanke dabei, der nicht unmittelbar durch die Musik spricht?

Diesen gilt es durch Interpretation auszugleichen. Dann ist natürlich der Unterricht mit ihrem Professor an der Sprachgestaltung unverzichtbar. Und nicht zuletzt der Kontakt zum Klavierpartner, dessen Bedeutung für Dorothee Bienert weit über den bloßen Part der Begleitung hinausgeht. Kommentieren, vorantreiben, ja eine besondere Stimmung hervorheben, in die sie sich auf der Bühne hineinfallen lassen kann. Das schätzt die Sängerin immer wieder an der Zusammenarbeit mit ihrem Pianisten Sungwon Lee. Im Unterricht hat sie sich Schuberts „Suleika“ vorgenommen. In dem Lied auf einen Text der Goethe-Freundin Marianne von Willemer besingt Suleika das schmerzhafte Verlangen nach dem fernen Geliebten. Sie sehnt sich danach, bei ihm zu sein und seine Nähe zu spüren. Der Ostwind verspricht ein wenig Kühlung und Tröstung: „Seiner Schwingung frische Reeeegung, kühlt des Herzens tiefe Wuunde.“ Der Vers wiederholt sich zweimal mit unterschiedlicher Textverteilung. Auch hier spiegelt Annette Dasch der Sängerin das, was auf den ersten Blick so trivial erscheint, zugleich aber nur durch bewusstes Zurücknehmen gelingt. „Denke nicht darüber nach, wie du den Ton entwickelst, geh über die Sprache“, rät sie ihr. Und zugleich weiß sie ihrer Schülerin dabei gekonnt neue Zugänge zu dem Lied zu eröffnen: „Der Erzähler ist da, die Atmosphäre ist vorhanden. Du musst sie nicht mehr künstlich herstellen.“

Und dann gibt sie ihr noch mit auf den Weg, dass sie den Vortrag einmal mehr abwechslungsreich gestalten kann, indem sie dem sich wiederholenden Vokal „o“ eine andere Färbung gibt. Die Worte haben etwas von Sprachakrobatik, machen aber den Liedsingenden aus, der durch die Musik und den Text eine Geschichte erzählt. „Das perfekte Beispiel: Der Liederabend von Annette Dasch und Klemens Sander, in dem die beiden genau das bewiesen haben: Mutig, frei voraus – in die Extreme gehen und Dinge riskieren. Hauptsache, man hat dem Publikum eine Geschichte erzählt.“ Die Einschätzung von Dorothee Bienert ist zugleich als Appell an alle Liedduos zu werten, die in den kommenden Jahren das Glück haben, an lied:literatur|Detmold teilzunehmen.

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