Etwa 140 km liegen zwischen den beiden Fachbereichen der Hochschule für Kirchenmusik Herford-Witten. Obwohl sie mit derzeit 46 Studenten zu den größten evangelischen Musikhochschulen in Deutschland zählt, wird immer wieder über ihre Zukunft diskutiert. Eine Zusammenführung in einem Neubau in Bochum (siehe nmz 12/01-2023/24) scheiterte – nicht zuletzt an den Finanzen. Nun werden die beiden Flügel in Witten zusammengeführt: Ein Neuanfang – aber mitten aus dem Leben zweier erfolgreicher und etablierter Studiengänge heraus.
Standort Herford vor dem Aus
„An meine Ohren dringt manchmal ein Gemurmel, dass einige Musiker*innen denken, dass wir als Hochschule die klassische Kirchenmusikausbildung aufgeben“, sagt Jochen Kaiser, Rektor der Hochschule für Kirchenmusik der Evangelischen Kirche von Westfalen. Angetreten war er im Jahr 2023, um die beiden Standorte der Hochschule, Herford und Witten, mit ihren je eigenen Ausrichtungen, populäre und klassische Kirchenmusik, unter einem räumlich wie fachlich gemeinsamen Dach zu vereinen. Es kam anders: Präses Annette Kurschus als Hauptverfechterin des geplanten neuen Standortes Bochum trat kurz vor der entscheidenden Synode zurück – davon war die Synode ebenso dominiert wie vom erheblichen Haushaltsdefizit.
Ein Jahr lang wurden Möglichkeiten – bis hin zur möglichen Schließung der Hochschule – ausgelotet. Nun hat die Herbstsynode der Landeskirche beschlossen, die beiden kirchenmusikalischen Flügel der Hochschule am Standort Witten zusammenzuführen. Ab dem Wintersemester 2025/26 werden also Popular- und klassische Kirchenmusiker in Witten gemeinsam ausgebildet – das wird, so Kaiser, „die Kirchenmusikausbildung insgesamt stärken“. Beide kirchenmusikalischen Stränge werden weiter eigenständig nebeneinander bestehen bleiben und aus Synergien Gewinne ziehen können. „Disruptiven Abschied“ nennt Kaiser das Wittener Modell, das er nun umsetzen muss. Der in der Wirtschaft weit verbreitete Begriff leitet sich vom englischen „to disrupt“ ab, was im Deutschen „stören“, „unterbrechen“ oder „zerstören“ bedeutet. Der Standort Herford wird ab sofort abgewickelt. An den frei werdenden Räumlichkeiten hat bereits die Nordwestdeutsche Philharmonie Interesse bekundet, hat ein Orchester von den Übungs- und Probestrukturen doch ähnliche Bedürfnisse wie eine Musikhochschule. In Witten wird die Hochschule mit offenen Armen aufgenommen. Die Räumlichkeiten des bisherigen popularmusikalischen Fachbereichs reichen zwar nicht aus, aber man hat spontan viele Möglichkeiten gefunden, die neuen Studenten und Lehrkräfte unterzubringen: im Saalbau des Kulturforum, in der Musicalschule, in der städtischen Musikschule, in Kirchengemeinden, Seniorenresidenzen und Krankenhäusern.
Der Traum von Bochum bleibt aber präsent: Kaiser will in Witten nicht flicken, sondern „umsetzen, was gerade geht“ – „Weiterführen“, „Entwickeln“, aber auch „Sparen“ werden seine richtungsweisenden Maßstäbe sein. Eine neue Studienordnung will er verfassen, in der die Stärken der einzelnen Studiengänge dem jeweils anderen zu Gute kommen. Als Beispiel nennt er die Gehörbildung, die beide Richtungen betreiben müssen. Die Popularmusiker hörten dabei zum Beispiel eher ganze Akkorde, die klassischen Kollegen sind in der Lage auch die Bewegung der Mittelstimmen zu verfolgen. In der praktischen Arbeit in den Kirchengemeinden sind beide Fähigkeiten – etwa beim Chorleiten – von Nutzen.
Diese Synergien will er in allen Disziplinen durchdeklinieren und daraus eine innovative Studienordnung entwickeln. In fünf bis sechs Jahren soll dann geschaut werden, ob diese Neuigkeiten und die Finanzen dann doch noch einen Umzug nach Bochum rechtfertigen und ermöglichen.
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