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Ein Band mit Bläsern, Sänger und Keyboard performt vor einem Kreuz und einer Wand an Sätze angestrahlt sind.

Musik in der Kirche soll „echt“ sein. Foto: HfKM/Stephan Schütze

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Stilrichtungen zusammendenken

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Die Hochschule für Kirchenmusik Herford-Witten zieht nach Bochum
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Am Musikgeschmack scheiden sich die Geister. Gerade Jugendliche haben da ihren Eltern oft Kummer bereitet. Das ist in der Kirche nicht anders. Da gibt es die „klassischen“ Kirchenmusiker mit Bach und Reger und die Popularmusiker. Die Trennung dieser beiden Musikrichtungen wird an der Hochschule für Kirchenmusik Herford-Witten besonders deutlich sichtbar: eine Hochschule mit zwei Standorten – 140 km voneinander entfernt. Ab dem Wintersemester 2026/27 soll diese Hochschule nun an einem Standort in Bochum gemeinsam arbeiten können. Für den neuen Rektor der Hochschule ist es aber mehr als nur eine Zusammenlegung zweier Stilrichtungen – er sieht es als eine Chance für die Kirche der Zukunft.

 

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Im ersten Moment hört es sich nach einer lapidaren Meldung an: Die „Hochschule für Kirchenmusik Herford-Witten“ zieht zum Wintersemester 2026/27 nach Bochum um. Bedenkt man, dass vor wenigen Jahren noch darüber nachgedacht wurde, die Hochschule mit ihren beiden Standorten in Herford und Witten ganz zu schließen, so überrascht der Umzug in einen extra für die Hochschule neu erbauten Gebäudekomplex schon. Andererseits wird man angesichts von erheblichen Mengen an Kirchenaustritten und schrumpfenden Gemeinden nach der Sinnhaftigkeit eines solchen Unternehmens fragen müssen.

Als im November 2020 Helmut Fleinghaus, der Rektor der Hochschule, völlig unerwartet verstarb, blieb die Nachfolge lange ungeregelt. Die Kirche in Westfalen als Trägerin der Hochschule wollte die Zeit nutzen, um über die Zukunft der Hochschule nachzudenken und Weichen zu stellen. Erst vor einem halben Jahr hat der Kirchenmusiker und Liturgiewissenschaftler Jochen Kaiser, der zuletzt in Zürich für Musik und Gemeindeentwicklung zuständig war, das Rektorat übernommen. Dabei war es nicht in erster Linie das Amt, das ihn dazu bewogen hat, sondern die Möglichkeit, aus der Zusammenlegung zweier Hochschulstandorte mit sehr unterschiedlichen musikalischen Ausrichtungen eine gemeinsame Hochschule zu schaffen, in der er die Zukunft der Kirchenmusik (und der Kirche) ein Stück weit neu gestalten will.

In Herford werden klassisch orientierte Kirchenmusiker ausgebildet. Die Orgel steht hier noch immer im Mittelpunkt der Ausbildung, ebenso wie die Arbeit mit Chören und Blechbläsern. Sicher ist man bei der Musik, die gespielt wird, nicht bei Johann Sebastian Bach stehengeblieben, aber die sogenannte „ernste Musik“ hat hier ihre Heimat. Die Studenten sehen die Note eines Werkes, haben eine Vorstellung von der Musik und üben sehr fleißig und gewissenhaft. Man ist – bei allem Spaß – auch selbst ein wenig ernst und würdig. In Witten werden die kirchlichen Popularmusiker ausgebildet. Dort ist die Stimmung lässiger und die Herangehensweise an Musik ein wenig anders: Die Studenten hören irgendwelche Musik und stellen fest – „hey, das toucht mich“. Sie legen los und machen aus Melodie, Harmonie, ihrem Instrument und ihrer eigenen Vorstellung etwas Neues, das ihnen selbst entspricht.

Für Kaiser ist bei der Zusammenlegung dieser beiden so unterschiedlichen Fachbereiche zunächst einmal die Frage „Was ist Kirchenmusik eigentlich?“ sehr wichtig. Seine Antwort ist klar und einfach: „Kirchenmusik ist alle Musik, die das Evangelium kommuniziert, die Menschen zum Gebet bringt, die Menschen hilft, ihren Glauben und ihre Zweifel vor Gott zu bringen, die Gemeinschaft erleben lässt und die Menschen aktiv beteiligt.“ Kategorien wie klassisch oder popular kommen in dieser Definition für ihn nicht vor: „alle Musik“.

Vor seiner Bewerbung hat Kaiser mit der Präses der Kirche in Westfalen, Annette Kurschus, über die Zukunft der Kirche gesprochen. „Gibt es in der Zukunft überhaupt noch eine Kirche?“ war eine der wichtigen Fragen. Die andere: „Was ist die Vision der Kirche?“ Bei allen offenen Antworten, die solche Fragen nach sich ziehen müssen und die erst die Zeit zeigen kann, war für Kurschus eines klar und wichtig: „Kirchenmusik hat das Potenzial, ein positives und begeisterndes Bild von der Kirche der Zukunft auszudrücken.“ Dieses klare Bekenntnis war für Kaiser Grund genug, sich auf die Rektorenstelle zu bewerben.

Kaiser hat viele Vorstellungen und wohl noch mehr Träume und Visionen, wie die neue Hochschule in Bochum arbeiten und wie er mit der Bochumer Kirchenmusik an der Gestaltung der Kirche der Zukunft teilhaben könnte. Er glaubt fest daran, dass die beiden Gruppen aus Herford und Witten, die sich bei der derzeitigen räumlichen Konstellation eigentlich nicht kennen, sich musikalisch befruchten werden. Er wünscht – vereinfacht gesagt – den Popularmusikern ein wenig mehr Ernst und den Klassikern etwas mehr Lässigkeit. Diese dann neue Art mit Musik umzugehen, wird hörbar sein, wird die Selbstdarstellung der Musiker auf ein neues Niveau bringen. Diese Selbstdarstellung, so Kaiser, ist aber das eigentliche Wesen und die eigentliche Aufgabe der Musiker. Es ist völlig egal, was sie spielen, sie müssen es überzeugend rüberbringen. Im Interview lächelt er und sagt: „Das nennt man dann wohl ‚authentisch‘. Ich mag das Wort nicht – schreiben Sie lieber ‚echt‘!“

Der Hochschulstandort Bochum wird über die Musik hinaus manche Perspektiven eröffnen. So wird das neue Gebäude auf dem Campus der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe stehen. Die dortigen Studiengänge qualifizieren für Berufe im Sozial- und Gesundheitswesen, der kirchlichen Bildungsarbeit und Diakonie. Mit den Theologen, die nur fünf Fahrradminuten entfernt an der Ruhr-Universität studieren, und in Zukunft den Kirchenmusikern ist dort dann die gesamte Ausbildung für den kirchlichen Dienst an einem Ort gebündelt. Das eröffnet ungeahnte Möglichkeiten der Zusammenarbeit, des gemeinsamen Denkens und letztlich der Außendarstellung einer vielfältigen und vielgestaltigen Kirche. So träumt Kaiser etwa von einem gemeinsamen Grundstudium aller dieser Fachrichtungen, so dass alle kirchlichen Mitarbeiter Grundkenntnisse in Pflege, Seelsorge, Diakonie, Musik und theologischem Denken haben – zum Nutzen aller.

www.hochschule-kirchenmusik.de

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