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Hörforscher Dr. Kai Siedenburg leitet die Forschungsgruppe «Musikwahrnehmung und -verarbeitung». Foto: Uni Oldenburg
Hörforscher Dr. Kai Siedenburg leitet die Forschungsgruppe «Musikwahrnehmung und -verarbeitung». Foto: Uni Oldenburg
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Studie zu Unterhaltungsmusik: Leadgesang ist einst leiser geworden

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Oldenburg - Country versus Metal, Solosänger gegen Band: Es gibt merkliche Unterschiede bei der Dominanz der Hauptgesangsstimme in Liedern, zeigt eine Analyse von über 700 Songs der Forschungsgruppe «Musikwahrnehmung und -verarbeitung» an der Universität Oldenburg.

Verglichen mit den Songs vor etwa 70 Jahren ist die Hauptgesangsstimme in der Unterhaltungsmusik messbar leiser geworden. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie von Forschern der Universität Oldenburg, die im Fachblatt «JASA Express Letters» veröffentlicht wurde. Die Analyse von über 700 Songs ergab dabei erstaunliche Unterschiede zwischen verschiedenen Musikgenres: So sollte, wer seinen eigenen Gesang besonders gut hören will, nicht unbedingt Metal-Frontmann werden.

Für ihre Studie berücksichtigten Kai Siedenburg, Leiter der Forschungsgruppe «Musikwahrnehmung und -verarbeitung», und Karsten Gerdes zunächst die vier höchstplatzierten Songs in den Jahresendlisten der US-amerikanischen «Billboard Hot 100 Charts» von 1946 bis 2020. «Aufgrund ihrer Vielfalt gelten die Billboard Charts als unabhängig und repräsentativ», erklärte Gerdes diese Wahl. Die so entstandene, 300 Lieder umfassende Datenbank wurde analysiert, indem mit Hilfe einer Software der Gesang aus dem Klanggemisch der einzelnen Aufnahmen herausgetrennt wurde.

Die Wissenschaftler bestimmten im nächsten Schritt das Pegelverhältnis von Gesangsstimme zu Begleitung (LAR: «lead vocal to accompaniment ratio»). «Unsere Analyse zeigt einen signifikanten Abwärtstrend des LAR von etwa fünf Dezibel im Jahr 1946 auf etwa ein Dezibel im Jahr 1975», fasste Gerdes die Auswertung zusammen. Nach 1975 sei das LAR dann konstant geblieben.

Die Autoren führen dies zum einen auf die Fortschritte in Aufnahme- und Musiktechnik zurück. «Parallel zur Pegelreduktion bis 1975 fanden viele technische Entwicklungen statt», erläuterte Siedenburg. «So wurde nicht nur die Mehrspuraufnahme, sondern beispielsweise auch die elektronische Gitarre in die populäre Musik eingeführt.» Einen besonders wichtigen Faktor stelle das stereophone Abmischen dar, bei dem Klangquellen einen räumlichen Platz bekämen und so deutlich unterscheidbarer würden. «Weil die anderen Instrumente räumlich verteilt sind, kann die Leadstimme leiser gemacht werden und ist trotzdem noch hörbar», erklärte Siedenburg.

Ein genauerer Blick auf verschiedene musikalische Genres ergab indes klare Unterschiede. So untersuchten die Wissenschaftler über 400 weitere Songs aus den Genres Country, Rap, Rock, Pop und Metal, die zwischen 1990 und 2020 für den Musikpreis «Grammy» nominiert waren. Dabei war der Leadgesang im Vergleich zum Rest der Band im Country am lautesten, gefolgt von Rap und Pop. Bei Rock war das Verhältnis nahezu ausgeglichen, während im Metal die Begleitung in den meisten Fällen lauter war als der Hauptgesang.

«Wir haben beobachtet, dass die Gitarren im Metal in den Lautstärke-Verhältnissen ein Stück weit die Rolle des Gesangs übernehmen», führte Siedenburg dazu aus. Zudem sei es in Metal- und Band-basierten Rock-Genres üblich, dass Gruppen eher als Kollektiv agierten - eine These, die durch einen Vergleich der Aufnahmen von Solokünstlern und Bands untermauert wurde. So zeigte die Analyse der Forscher höhere Lautstärken für Solokünstler im Rock, aber auch Pop als für Gruppen. «Hier sieht man deutlich, wie sich die Identität der Künstlerinnen und Künstler in der Mischung wiederfindet», sagte Siedenburg.

Bei der Gestaltung des Mixes gebe es viele Möglichkeiten: «Was wir in unserer Studie sehen ist, dass der Lautstärke-Pegel nicht eine konstante Größe ist, der wie ein Naturgesetz immer den gleichen Wert annimmt. Vielmehr spielen verschiedene Abmischungen auf verschiedene Weise mit dieser Größe.» Sollten Sängerin oder Sänger in den Vordergrund gestellt werden, werde deren Lautstärke eben höher gedreht als bei Bands. In der Studie heißt es dazu, dass Solokünstler oft von austauschbaren Instrumentalisten begleitet würden, die für den typischen Sound eines Künstlers nicht unbedingt entscheidend seien und daher auch im Mix eine untergeordnete Rolle spielten: «All dies deckt sich mit der Vorstellung, dass die endgültige Mischung eines Songs die Hierarchie der Bedeutung innerhalb eines Musikensembles darstellt.»

 

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