Musik, insbesondere im klassischen Sektor, erlebt in Deutschland seit einigen Jahren einen Aufschwung. Das Angebot an Live-Veranstaltungen ist so groß wie nie, Konzerthäuser und Orchester melden wachsende Besucherzahlen. Gleichzeitig musizieren mehrere Millionen Menschen in Laienorchestern und -chören. Die Nachfrage nach Musikunterricht an den Musikschulen und privaten Bildungsinstituten ist hoch, Programme zur Breitenmusikalisierung wie „Jeki – Jedem Kind ein Instrument“ sind mittlerweile weit verbreitet.
Doch auch negative Befunde prägen das Bild. Der Musikunterricht an allgemeinbildenden Schulen im Freistaat Sachsen ist eine Dauerproblemzone: es gibt zu wenig Stunden und zu viele fachfremde Lehrkräfte. Der wesentlichste Faktor für den Bildungserfolg, das familiäre Umfeld, fällt immer öfter aus, die heimische Beschäftigung mit Musik nimmt gegenüber anderen Freizeitaktivitäten ab. Ein erfolgreicher musikalischer Bildungsverlauf von Kindern im Vor- und Grundschulalter hängt trotz aller vorhandenen institutionellen Möglichkeiten mehr denn je vom individuellen zeitlichen und finanziellen Engagement der Eltern ab und ist damit mehrheitlich zu einer Angelegenheit urbaner Mittel- und Oberschichten geworden.
Kritische Bestandsaufnahme
Hinzu kommt, dass das institutionelle Angebot musikalischer Bildung zwar quantitativ beachtlich ist, sich jedoch qualitativ sehr heterogen zeigt und keine systematisch aufeinander bezogene Vernetzung aufweist. Gut gemeinte, nicht immer gut gemachte Projekte in Kindertagesstätten, Schulen und bei außerschulischen Bildungsträgern führen zu einer beachtlichen Anzahl von Kontakten und Begegnungen mit Musik, in der Mehrzahl jedoch nicht zu einer signifikanten Steigerung der allgemeinen Musikalisierung und einer grundlegenden, fortschreitenden Beherrschung der musikalischen Elemente bei Kindern und Jugendlichen. Die mangelnde pädagogische und institutionelle Verzahnung der Angebote innerhalb des Bildungsweges mündet schlimmstenfalls in negative Erlebnisse, etwa wenn Kinder nicht erfolgreich an musikalische Frühförderprogramme anschließen können.
So entsteht trotz steigender gesellschaftlicher und institutioneller Wertigkeit von Musik das Phänomen, dass im oberen Segment der Musikausbildung (also in spezialisierten weiterführenden Ausbildungsinstituten der Oberstufe und an den Musikhochschulen) die Anzahl hinreichend qualifizierter einheimischer Kinder, Jugendlicher und junger Erwachsener stag-niert, wenn nicht sogar sinkt. Den beträchtlichen institutionellen, pädagogischen und finanziellen Anstrengungen der letzten Jahre stehen keine angemessenen qualitativen Resultate gegenüber. Die Ursachen hierfür sind vielfältig: gesellschaftlicher Wandel, die Dezentralisierung des individuellen Bildungsweges, aber auch überholte pädagogische Vorstellungen und (in der Rückschau) einseitige Prioritätensetzungen zugunsten des quantitativen Ausbaus musikalischer Bildung wirken hier kombiniert zusammen. Die Akteure der musikalischen Bildung stehen vor der Herausforderung, einerseits in ihren spezifisch ausgeprägten Tätigkeitsbereichen eine kontinuierliche Professionalisierung sicherzustellen und andererseits die gesamte Breite in Musikpraxis und Musikpädagogik zu repräsentieren. Die einzelne Institution gerät hier rasch an Grenzen inhaltlicher und auch ressourcenbezogener Art.
Die Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden möchte mit einer neuen Initiative zur Vernetzung der musikalischen Bildungsinstitutionen in Sachsen diesem Effekt auf überregionaler Ebene entgegenwirken, ohne die im Einzelnen vorhandenen institutionellen und pädagogischen Erfolge zu schmälern. Systematisierung, Synchronisierung und Vernetzung sind die Leitlinien, die zur Schaffung eines ganzheitlichen, bruchlosen und auf das kindliche Individuum bezogenen musikalischen Bildungswegs in Sachsen führen sollen.
Der erfolgreiche Auftakt im Oktober vergangenen Jahres, der gemeinsam mit dem Sächsischen Landesgymnasium für Musik durchgeführt wurde und eine beachtliche Anzahl der musikpädagogischen Akteure aus Sachsen versammelte, zeigte eine deutliche Aufbruchsstimmung und ein starkes Interesse an gemeinsamer Entwicklung von konkreten Ideen und Konzepten, die eine nachhaltige Wirkung entfalten sollen.
Tragfähiges Konzept
Viele der beteiligten musikalischen Institutionen sind davon überzeugt, dass der Wissenstransfer zwischen den Akteuren, in Gang gebracht durch Vernetzung, Austausch und Kooperation, eine grundlegende Bedingung für das Schritthalten der Institutionen mit den an sie formulierten Anforderungen darstellt. Indem ein gemeinsames Programm der musikalischen Vernetzung als dauerhaftes strategisches Projekt alle relevanten Akteure einer Region einbindet, kann dieser erforderliche Wissenstransfer institutionalisiert und sichergestellt werden. In der Diskussion von Ausbildungsinhalten, Lernmethoden und Qualitätsstandards reflektieren die beteiligten Partner ihre eigenen fachlichen Standpunkte, geben und empfangen Feedback, eignen sich Kenntnisse an und bilden bestenfalls tragfähige Kooperationsstrukturen aus, welche die Basis für weitere, über das Programm hinausgehende Aktivitäten sein können. Hierin kann eine entscheidende strukturelle Weiterentwicklung im Bereich musisch-kultureller Bildung liegen – ein regionales System von Bildungsträgern entwickelt sich, indem dezentrale Kompetenzen und Ressourcen in einem größeren Kooperationsverbund genutzt werden und auf die jeweiligen Institutionen zurückwirken.
Um ein tragfähiges Konzept zu erstellen und mit nötigen Ressourcen auszustatten, hat die Hochschule für Musik einen Diskussionsprozess in Gang gesetzt, der alle beteiligten Institutionen einbezieht und verschiedene Abstimmungsebenen beinhaltet. Es geht nicht um Veränderung der bereits existierenden und gut funktionierenden Strukturen, sondern vielmehr um bessere Übergänge, inhaltliche Passgenauigkeit und gemeinsame Qualitätsstandards, um eine nachhaltige und wirkungsvolle Vernetzung der musikalischen Bildungslandschaft in Sachsen zu erreichen.
Ekaterina Sapega-Klein (Künstlerische Direktorin Sächsisches Landesgymnasiums für Musik Dresden)