Ein altrömisches Dichterwort lautet: Amicus certus in re incerta cernitur. Den wahren Freund erkennt man in der Not. Es stimmt! Als die HfMDK wegen der Corona-Pandemie ihre Veranstaltungen absagen musste, es kaum noch Möglichkeiten der Begegnung in der Hochschule gab, standen Freunde, Förderer und Stiftungen großzügig zur Seite. In kürzester Zeit hat sich der Corona-Hilfsfonds der Gesellschaft der Freunde und Förderer der HfMDK (GFF) mit 150.000 Euro gefüllt. Die HfMDK konnte damit rund 300 Anträge ihrer insgesamt 950 Studierenden bewilligen. Die Pandemie hält an. Wir werden weiter umsichtig sein. Und doch: Gerade in der Krise stärken uns Kunst und Kultur. Ästhetische Erfahrungen erweitern die Sinne. Sie geben Mut. Musik, Tanz und Theater sind vielleicht ein notwendiges „Trotzdem“. Als Dank für dieses Engagement und die enge Verbundenheit in schwierigen Zeiten bietet die HfMDK exklusive Einblicke in das Kunstschaffen ihrer Studierenden. Dr. Thomas Bücker, Mitglied der GFF sowie im exklusiven Kreis der Besten Freunde und im Kuratorium, und seine Tochter Annabel, die sich gerade auf ein Lehramtsstudium Musik vorbereitet, haben eine Stunde HfMDK, eine Stunde Kunst erlebt. Als Gäste im Gesangsunterricht von Prof. Michelle Breedt. Ihre Eindrücke schildert Tamara Weise.
Ein Mittwochabend im August. Vor der Tür von Raum A 206 ist noch Zeit für ein kurzes Kennenlernen, dann geht es hinein. Vorbei an der Pianistin, die hinter einer Schutzscheibe aus Plexiglas bereits am Flügel wartet, vorbei an einem Notenpult, an leeren Reihen. In der letzten Reihe nehmen sie Platz: Michelle Breedt, Gesangsprofessorin an der HfMDK, ruckt weit nach rechts, die beiden Gaste greifen sich Stuhle auf der linken Seite. Eine Stunde lang werden sie hier hellwach sitzen, werden immer wieder Blicke tauschen – und doch ganz bei sich sein, eins sein mit dem, was sie erleben.
Verzehrende Liebe
Prof. Michelle Breedt unterrichtet an diesem Abend ihre Masterstudentin Carmen Artaza, Mezzosopranistin wie sie. Es ist noch kein Jahr her, dass die junge Künstlerin den Ersten Preis beim Felix Mendelssohn Bartholdy Hochschulwettbewerb gewann, nun will sie in wenigen Wochen vor die Jury der Hugo-Wolf-Akademie treten – mit einem Lied aus dem Mörike-Zyklus. „Nimmersatte Liebe“ heißt es, handelt von alles verzehrender Liebe und ewiggültigem Schmerz.
Jedes Wort ist aufgeladen mit Bedeutung, so wollte es der Romantiker Eduard Mörike, so wurde sein Gedicht von Hugo Wolf auch vertont. Aber lässt sich das auch noch so singen, heute? Das soll sich zeigen: Carmen Artaza geht es an. Sie steht am Notenpult, öffnet ihre Stimme, legt all ihre Kraft hinein – während Michelle Breedt ihr Ton für Ton folgt. Ein Mal, zehn Mal, ein letztes Mal wird das Lied angestimmt, manchmal auch nur ein Wort, eine Zeile. Um jede Nuance, jeden Zipfel an Bedeutung wird gerungen. Um das Legato, die dem Lied eingegebene Dynamik, natürlich den Ausdruck, die Dramatik. „Von vorn“, reklamiert Michelle Breedt, und Carmen Artaza singt. Doch am Ende dieser impulsiven Stunde sind sie sich wieder einig: „Was für ein herrliches Lied!“ Und was für eine Erfahrung für ihre Gaste!
Dr. Thomas Bücker, seit rund drei Jahren Mitglied der Gesellschaft der Freunde und Förderer der HfMDK, und seine Tochter Annabel kamen als Zuschauer, die ein Privileg einlösen. Verlassen haben sie Raum A 206 bereichert, als Entdecker. „Der ganze Raum hat gestrahlt“, sagt Annabel Bücker danach – obwohl die 19-Jährige solche Situationen an sich nur allzu gut kennt. Seit Kindertagen nimmt sie selbst Gesangsunterricht, erlebte Auftritte im Chor und als Solistin, spielt zudem Klavier und Geige, will Musikpädagogik studieren.
Augenblicklich perfekt
Trotzdem, vielleicht deswegen, hat diese eine Stunde mit Prof. Michelle Breedt und Carmen Artaza bei ihr nicht bloß plump einen Nerv getroffen, sondern ihren Blick tatsachlich geweitet. Gesang sei von allen Künsten ihr „favorite“, bekennt sie. „Es war faszinierend zu sehen, wie Carmen Artaza die Hilfestellungen ihrer Professorin umsetzte und wie glücklich beide schließlich waren, wenn es klappte.“ Dann dieses Aus-sich-Herausgehen, die Stärke, innere und äußere Grenzen auszublenden, vor Publikum einfach frei zu singen – ihr selbst falle das immer schwer. „Ich habe jetzt mal gesehen, quasi vom Zuschauerposten aus, wie sich die Selbstsicherheit der Lehrerin auf alles übertragen hat. Für mich ein Aha-Moment.“
Ihr Vater würde auch gern singen, tut es aber nicht, jedenfalls nicht öffentlich. Dafür spielt er, so oft es sein Terminplan zulässt, mit Leidenschaft Klavier und bisweilen Kontrabass – letzteres auch auf der Bühne, etwa im Freunde-Orchester der Alten Oper Frankfurt. Vor allem klassische Musik, dann und wann ein Popsong, vor ein paar Jahren kam Jazz hinzu: In der musikalischen Welt von Dr. Thomas Bücker gibt es wenig, was tabu wäre. „Musik war in meinem Leben immer gegenwärtig – eine Art Lebenselixier“, sagt er. Und klar: So gibt er es an seine Familie, seine vier Kinder weiter, besonders jetzt an Annabel. Er begleitet sie daheim am Klavier, wenn sie singt oder Geige übt. Hin und wieder gehen sie gemeinsam in Konzerte und reden über Musiktheorie – nachdem sich seine Tochter während ihrer Abiturphase für den Leistungskurs Musik entschieden hatte, ergab sich das fast automatisch. Deshalb teilte er mit ihr auch die Einladung an die HfMDK zum Unterrichtsbesuch, der Annabel gern folgte, es ging ja schließlich um Gesang.
Aus der Stunde mit Prof. Michelle Breedt nimmt er vor allem mit, wie sehr die Entfaltung großer Kunst von der Arbeit im Detail abhängt – wie intensiv Künstler beobachten, wie akribisch sie an Nuancen feilen müssen. „Angesichts der Leichtigkeit, die musikalische Darbietungen oft haben, vergisst man das häufig“, wundert er sich, der promovierte Jurist, dem Detailarbeit ja nicht unbekannt ist. Dr. Thomas Bücker ist Partner in einer internationalen Kanzlei in Frankfurt und beschäftigt sich dort mit Gesellschaftsrecht und Unternehmenstransaktionen, wo es praktisch immer um das Kleingedruckte geht.
Kunst als Anker
Die Auseinandersetzung mit Kunst, wo sie für die beiden beginnt, wo sie aufhört? Dr. Thomas Bücker und seiner Tochter fällt es schwer, darauf eine schnelle Antwort zu geben. Was sie aber sofort wissen, ist, dass dieser eine Abend, diese eine Stunde Gesang, auf jeden Fall dazu gehört. Kunst würden sie als offenen Erfahrungsraum und als notwendige Energiequelle betrachten, und das sowohl für sich ganz individuell, für ihr Umfeld, als auch darüber hinaus. „Natürlich ist sozialer Ausgleich in einer Gesellschaft wichtig, die Forderung von Kultur ist es aber auch. Kultur und vor allem Musik verbindet Menschen auf so vielfaltige Weise. Es wäre fatal, wenn für Kultur wegen anderer Prioritäten am Ende das Geld fehlen würde“, davon ist Dr. Thomas Bücker überzeugt. Eine Gesellschaft, der die Kunst abhandenkäme – die will er sich gar nicht vorstellen, schon gar nicht im Licht der aktuellen Corona-Krise Hierin liegt für Dr. Thomas Bücker die Bedeutung der HfMDK und der Grund für sein Engagement: „Die Stunde mit Prof. Breedt und Carmen Artaza zeigt, dass gute Kunst nicht vom Himmel fällt. Und auch wenn die klassischen Kulturformen wie Schauspiel, Oper und Konzert nur einen Ausschnitt der Bevölkerung erreichen mögen, so sind sie als Anker- und Identifikationspunkte der Gesellschaft insgesamt doch essentiell. Eine professionelle Ausbildung der Künstler ist dafür wiederum die Grundlage.“
Annabel Bücker nickt dazu, dabei gäbe es durchaus den einen oder anderen Punkt, um mal anderer Meinung zu sein. Aber sie bleibt dabei, auch auf Nachfrage: Ihr kamen bei diesem Thema, sagt sie, genau die gleichen Argumente in den Sinn. Anders mit der Einigkeit sei es höchstens, wenn ihr Vater Sie bei einem Hauskonzert zum Vorsingen motivieren wolle („nicht so mein Fall“) oder beim Thema Musikgeschmack. „So sind die Lieder, bei denen ich zur Ruhe kommen kann, gewiss andere als seine.“