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Sarah Johnson war eine der vier Studierenden, die auf der Naumburger Hildebrandt-Orgel musizierten:  Werke von Johann Sebastian Bach und solche, die aktuell eigens für das traditionsreiche Instrument geschrieben worden sind. Foto: Joachim Blobel/IAMA
Sarah Johnson war eine der vier Studierenden, die auf der Naumburger Hildebrandt-Orgel musizierten: Werke von Johann Sebastian Bach und solche, die aktuell eigens für das traditionsreiche Instrument geschrieben worden sind. Foto: Joachim Blobel/IAMA
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Unerhörte Klänge, traditionsreiches Instrument

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Kompositionsprojekt von Martin Herchenröder in Naumburg
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Mit Lust Neues entdecken. Begierig, heutig, wach und mutig genug, auch unbekannte Welten zu ergründen. So positioniert sich das sachsen-anhaltische Festival KlangART Vision im vierten Jahr seines Bestehens.

In dessen programmatischen Kosmos der „NeuGier“ fügt sich ein Projekt des Siegener Universitätsprofessors Martin Herchenröder passgenau ein: „Ghost Music – Composing the Future“ ist ein Konzept, das sich aus einer pandemiebedingt digitalen Lehr- und Lernsituation entwickelt hat. Ende April konnte es in einem Konzert für alle Sinne in der Naumburger Wenzelskirche präsentiert werden.
Martin Herchenröder, Gründer und Leiter des Studios für Neue Musik an der Universität Siegen, sah sich bei Beginn der Corona-Pandemie mit der Herausforderung konfrontiert, beim Unterrichten auf Distanz seinem Anspruch an die Lehre gerecht werden zu können. Und zwar nicht nur im Austausch mit den Studierenden in Siegen, sondern auch mit denen an der Eastman School of Music in Rochester (USA), wo er seit 2008 als Gastprofessor in den Departments Komposition und Orgel wirkt. Er fand einen Weg: bei Johann Sebastian Bach und bei einem Instrument, das der barocke Meister mitkonzipiert und am 27. September 1746 gemeinsam mit Gottfried Silbermann abgenommen und damit eingeweiht hat.

Die Hildebrandt-Orgel in der Naumburger Wenzelskirche gilt als „Bachs Beste“, auch weil sie nach umfangreicher Restaurierung seit über zwanzig Jahren wieder so klingt, wie es dem Bach’schen Ideal entsprach. „Diese Orgel sollten die Studierenden von Grund auf kennenlernen und für dieses Instrument ein neues Stück schreiben“, umreißt Martin Herchenröder den Grundgedanken seines Konzepts für das komplexe Projekt. Er schuf mit Unterstützung eines Teams des Zentrums für Informations- und Medientechnologie (ZIMT) der Universität Siegen ein filmisches Porträt dieses geschichtsträchtigen Instruments, das ihm sehr vertraut ist. Im Zuge der Rückrestaurierung war er als Komponist und Organist mit einer Auftragskomposition (1996/2001) betraut, für die er die Hildebrandt-Orgel aufs Gründlichste erkunden konnte. Dieser Erfahrungsschatz, gebündelt in Video-Aufnahmen und Online-Seminaren, bot den jungen Komponistinnen und Komponisten diesseits und jenseits des „großen Teichs“ eine profunde Basis, um von ihrer Warte aus neue Klangwelten auszuloten. Vier Studierenden des Departments Orgel der Eastman School und des Instituts für Musik der Universität Siegen oblag es, die Werke in Naumburg aufzuführen.

Es gehe um die Fragen von heute, die Antworten suchten „aus der Perspektive unserer Zeit“, um unerhörte Musik von einer Schönheit, die neuartig sei, aber auch verstörend wirken könne, so Martin Herchenröder beim Konzert in der Wenzelskirche. Es waren hier durchaus die großen Themen, die von den Studierenden mit den Möglichkeiten der Hildebrandt-Orgel bearbeitet wurden. Der Mensch mit seinen Hoffnungen und Ängsten, seiner Erlösungsbedürftigkeit, in seiner Verantwortung für die ihn umgebende Welt – das waren herausfordernde inhaltliche Facetten, die sich in acht Uraufführungen spiegelten. Jene von William Jae gab dem Konzert die Überschrift: „Ghost Music“ ist auch eine Interpretation des gleichnamigen Gedichts von Robert Graves. Worte und Musik erzählen von diesem Ineinanderverwobenen der Orgelklänge, die all das Gewesene, schaurig-schön, mitatmen. Gleichfalls auf Textbasis hat Xingyi Chen ihre Komposition angelegt. „Kumo no ito“ findet musikalische Formen, die – mit Umkehrungen, Phasenüberlagerungen, kontrapunktischen Techniken – einen inneren Kampf eindrucksvoll spiegeln.

Mit der Miniatur „Wintersonne“ gab der jüngste Komponist aus der Runde sein Orgelwerkdebüt: Alexander Kaverinski (*2005) ist Schüler der Komponistenklasse Sachsen-Anhalt. Angedockt an das Konservatorium Georg Philipp Telemann in Magdeburg führt diese Klasse im Bundesland vorhandene kompositionspädagogische Ansätze, am Komponieren interessierte junge Menschen und grundsätzlich an Neuer Musik Interessierte zusammen. Das wiederum korrespondiert mit dem Ansinnen von KlangART Vision, der landesweiten (Nachwuchs-)Musikszene im Bereich der zeitgenössischen klassischen Musik eine Plattform zu bieten, so Festivalleiter Markus Steffen. Es gehe zudem darum, Menschen für Neue Musik zu interessieren, Interesse zu wecken, Brücken zu bauen. Das Gegenwärtige, auf Zukunft hin komponiert, fand in diesem Konzert in den musikalischen Beispielen des Bach’schen Schaffens ein tragfähiges Gegenüber. Und siehe da: Das, was den Menschen im Innersten bewegt und vielleicht zum Äußersten treibt, scheint universell und ist einst wie heute in der Sprache eines nuancenreichen Orgelklangs verständlich. Das titelgebende „Ghost Music“ darf mehrfach gedeutet werden.

Das Konzertkonzept spürte dem Geist von Zacharias Hildebrandt und Johann Sebastian Bach nach, dem Zeitgeist und auch dem göttlichen Funken in dem, was irdisch ist. Kommentiert und unterstrichen wurde all das von einer Lichtinstallation; nachhal(l)tig aber war letztlich vor allem die Musik.
 „Ghost Music – Composing the Future“ ist als Stream abrufbar unter https://klangart-vision.de/konzert/ghost-music-composing-the-future/. Im September 2023 soll es ein Folgekonzert an der Eastman School of Music geben. Gefördert wurde das Projekt im Rahmen der deutsch-amerikanischen Kultur- und Wissenschaftsinitiative „Wunderbar Together“ des deutschen Außenministeriums und der International Academy of Media and Arts Halle.

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