Professorin Anne Fritzen ist quasi die Spinne im Netz der Musikpädagogik – auf der „Jagd“ nach Begeisterung für die Musik und das Unterrichten und mit der „Mission“, diese Begeisterung bei anderen zu unterstützen. Sie forscht und lehrt am Institut für Musikpädagogik und Kirchenmusik der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar im Bereich der Instrumental- und Vokalpädagogik. Sie bewegt sich dabei an den Schnittstellen von künstlerischer und künstlerisch-pädagogischer Ausbildung, Elementarer Musik- und Bewegungspädagogik sowie Lehramtsausbildung, spinnt ihre Fäden in die verschiedenen Fachdidaktiken der Hochschule hinein und vernetzt sich unter anderem mit Musikschul-verbänden, freien Musikschulen, der Kinderuni und Streicher-/Bläserklassen in der Region.
Unterrichten als Kunstform
Jan Kreyßig: Frau Prof. Dr. Fritzen, wie bereiten Sie Studierende auf ein Berufsleben als Musikschullehrer*in vor?
Fritzen (lacht): An der Vorbereitung auf das Berufsleben bin glücklicherweise nicht nur ich beteiligt, sondern auch viele Kolleg*innen. Denn der spätere Beruf bringt ja das Schöne mit sich, dass man Künstler*in und Pädagog*in in einem sein darf. Als eine meiner Aufgaben dabei sehe ich es, Studierenden zu helfen, eine jeweils individuell stimmige und bereichernde Kombination zu finden. Daneben vermittele ich natürlich auch musikspezifische Pädagogikkenntnisse, etwa über musikalische Entwicklung, Motivation, aber auch Kommunikation im Unterricht. Und vor allem geht es mir darum, Studierenden Wege aufzuzeigen, wie sie das Fachwissen, das sie im Hauptfach oder in der Musikwissenschaft und Musiktheorie bei Kolleg*innen lernen, in sinnvolle Bausteine herunterbrechen können, um sie dann später alters- und niveauangemessen weiterzugeben. Im Berufsleben braucht es dann aber vor allem auch die Bereitschaft, sich selbst und den eigenen Unterricht zu hinterfragen, zu reflektieren, sich auf andere und deren Gedanken und Meinungen einlassen zu können. Deshalb vermittele ich nicht nur Fachwissen, sondern gebe auch einfach Anstöße, stelle Fragen, rege an nachzudenken …
Kreyßig: Welche Kompetenzen benötigt man an einer Musikschule?
Fritzen: Das Berufsfeld ist unglaublich vielseitig und reicht von Unterricht mit Vorschulkindern bis hin zu Unterricht mit Erwachsenen und Senior*innen. Anfänger*innen auf ihren ersten Schritten zu begleiten gehört genauso zum Beruf wie junge Erwachsene in der studienvorbereitenden Ausbildung zu betreuen, Lernende im Einzelunterricht für die Musik zu begeistern genauso wie im Partner- oder Gruppenunterricht viele Menschen auf einmal. Daneben können Angebote wie das „Instrumentenkarussell“ treten, Streicher-/Bläser-/Gesangsklassen et cetera an allgemeinbildenden Schulen, Kammermusikunterricht oder die Leitung von Ensembles (Big Band, Chor, Orchester o.ä.). Die Kunst ist es also, sich mit Vielseitigkeit, Flexibilität und Geschick immer wieder auf die unterschiedlichsten Menschen, Bedürfnisse und Unterrichtsformate einzustellen; und es braucht Freude an der Kommunikation mit Menschen, ein wenig organisatorische Kompetenz und vor allem: Freude an der Musik und Freude daran, andere für Musik zu begeistern!
Kreyßig: Worauf muss man achten, wenn man freischaffend pädagogisch tätig sein möchte?
Fritzen: Unterricht ist erst einmal Unterricht – egal, ob jemand zu mir an eine Musikschule kommt, ob in einen privaten Unterrichtsraum oder ob es um einen Meisterkurs geht. Aber natürlich unterscheidet sich die Freiberuflichkeit von einem Anstellungsverhältnis. Freiberuflich habe ich zum Beispiel mehr Spielraum selbst zu entscheiden, welche Schüler*innen ich annehme, muss mich aber dann auch selbst um Schülerakquise oder Unterrichts-/Raumplanung kümmern, was an einer Musikschule weniger der Fall ist. Während ich in der Musikschule ein festes Gehalt bekomme, bin ich freiberuflich selbst dafür verantwortlich, dass ich wirtschaftlich bestehen kann. Insbesondere für solche Aspekte haben wir zum Beispiel Kurse zu Selbstmanagement, -marketing oder Projektmanagement.
Kreyßig: Streben manche Studierende einen pädagogischen Weg von vornherein an?
Fritzen: Natürlich! Es gibt viele junge Menschen, die das Musizieren selbst lieben, die aber genauso auch dafür brennen, diese Liebe weiterzugeben. Andere Studierende wiederum starten mit dem Ziel in ihr Studium, primär solistisch, kammermusikalisch oder im Orchester zu musizieren und entdecken erst im Verlauf des Studiums, dass ihnen das Unterrichten große Freude bereitet – etwa wenn sie erleben, wie erfüllend es sein kann, dass Kinderaugen strahlen, weil das erste gemeinsame Stück „total super“ klingt, oder wenn ein Erwachsener gesteht, dass der Unterricht mit ihnen die beste Stunde der gesamten Woche ist. Das Gute ist: Unsere Hochschule ist für beide Wege offen. Man kann mit einem klaren pädagogischen Ziel vor Augen beginnen – um dies noch weiter zu stärken, entwerfen wir gerade auch einen dringend notwendigen grundständigen künstlerisch-pädagogischen Bachelorstudiengang; genauso halten wir aber auch im künstlerischen Studium Wege offen, sich pädagogisch auszuprobieren. Beides ist mit Blick auf die Zukunft auch gleichermaßen wichtig und richtig, da fast kein Tag vergeht, an dem Musikschulverbände und ähnliche Interessensgruppen nicht auf den sich verschärfenden Fachkräftemangel hinweisen. Motivierte Lehrende sind gefragt!
Kreyßig: Welche Voraussetzungen braucht es, um an einer Musikschule unterrichten zu können?
Fritzen: Natürlich „kann“ erst einmal jede*r unterrichten – der Mensch ist ja grundsätzlich ein soziales Wesen und Musik eine zutiefst soziale Kommunikationsform. Aber die Entwicklung einer pädagogischen Persönlichkeit benötigt genauso Zeit und Arbeit wie die Entwicklung einer künstlerischen Persönlichkeit. Voraussetzung, um an einer öffentlichen Musikschule eine Festanstellung zu erhalten, ist in der Regel ein künstlerisch-pädagogisches Studium oder ersatzweise entsprechende Anteile im künstlerischen Studium. Sich mit Pädagogik zu beschäftigen, ist aber auch für alle sinnvoll, die nicht primär unterrichten wollen – denn letztlich ist das Üben im stillen Kämmerlein auch nichts anderes, als sich selbst zu unterrichten und folgt weitgehend denselben Prinzipien.
Kreyßig: Sie forschen auch. Woran?
Fritzen: Grundsätzlich interessiere ich mich sehr dafür, wie sich das Musizieren und das Vermitteln von Musik in Prozessen gesellschaftlichen Wandels gestaltet. Derzeit beschäftige ich mich unter anderem mit der Frage, wie Eltern das Üben ihrer Kinder zu Hause wahrnehmen. Denn gesellschaftlicher Wandel betrifft ja auch Familien und Familienstrukturen, in denen Üben zu Hause stattfindet. Dass Lehrkräfte auf Veränderungen, die dadurch entstehen – wie beispielsweise zunehmende Belastung von Eltern – konstruktiv reagieren können, ist meiner Ansicht nach sehr wichtig. Darüber hinaus forsche ich auch an der Schnittstelle von Unterricht und Demokratiepädagogik, zum Beispiel in Bezug auf Musikschulen als Orte demokratisch gelebter Gesellschaft. Und auch das Thema Klimakrise beschäftigt mich forschend. Betrachtet man allein nur das Thema Kinderlieder, stellen sich Fragen wie: Wie sinn- und verantwortungsvoll ist es, wenn wir eine Welt besingen, die es so zum Teil gar nicht mehr gibt, zum Beispiel mit Blick auf Jahreszeiten oder unberührte (teilweise verklärte) Natur? Bedarf es einer Kontextualisierung der Texte, auch für Kinder? Oder braucht es gar neue Lieder?
Kreyßig: Vielen Dank für das Gespräch!
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