Im Kosmos „Alte Musik“ ist vieles anders: Das für eine große Anzahl Musikstudierender vorgezeichnete und häufig angestrebte Berufsziel Orchestermusiker existiert so nicht. Das mögliche Repertoire umfasst, je nach Instrument, einen Zeitraum von bis zu 700 Jahren. Das zukünftige konzertante wie auch pädagogische Ambiente und die optionalen Aufgabenfelder könnten kaum vielgestaltiger sein. Man könnte von einem „Berufs-Kaleidoskop“ sprechen: Eine größere Anzahl von farbigen Elementen ergeben immer wieder neue, spannende Konstellationen, wie Blockflötenprofessorin Myriam Eichberger vom Institut für Alte Musik der Weimarer Musikhochschule schildert.
Wo alles möglich, ist alles erlaubt?! Zumindest sehr vieles: die Gründung eines eigenen Ensembles, Schwerpunkt Improvisation, Spezialisierung auf Frühe Musik, auf Consortspiel, Fokus auf Continuospiel, Barockorchester; dann ein zweites Standbein wie etwa ein weiteres Instrument, Musikwissenschaft, Kulturmanagement oder Instrumentenbau, die Suche nach Nischen, zum Beispiel Early-Music-Folk, Crossover, Klezmer, zeitgenössische Musik auf alten Instrumenten, bei Blockflötist*innen ein riesiges Repertoire der Moderne; dazu diverse pädagogische oder musikpädagogische Orientierungen, ggf. ergänzt durch Körperarbeit (Feldenkrais, Alexandertechnik), eine Mischung aus alledem – oder einfach „nur“ Solist*in?
Überflüssig zu sagen, dass jedes der am Institut für Alte Musik der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar gelehrten Hauptfachinstrumente wiederum sein ganz individuelles „Berufs-Kaleidoskop“ bildet … Dieses breite Spektrum an Optionen macht die Ausbildung nicht einfacher, dafür jedoch sehr vielschichtig und spannend. Denn hier gilt es für Lernende und Lehrende, die Studienzeit nicht nur für die fundierte instrumentale Ausbildung zu nutzen, sondern auch gemeinsam sensibel und klug auszuloten, zu entdecken und zu entwickeln, in welche Richtung der zukünftige Weg gehen kann oder soll.
Erprobung in der Praxis
Auch, weil eine solche Entdeckungsreise bereits während des Studiums unternommen werden will, pflegt das Institut für Alte Musik stetig Kooperationen mit auswärtigen Partnern, in deren Rahmen unterschiedlichste Projekte realisiert werden. Hier eröffnen sich den Studierenden viele Türen, ihre Wünsche, Neigungen und Begabungen außerhalb des „Biotops Musikhochschule“ in der Praxis zu erproben und zu verwirklichen. Vielschichtig ist die Ausrichtung auch hier: von Erfahrungen mit der Akustik historischer Räume oder historischer Instrumente bis zur gemeinsamen Planung und Konzeption thematischer Konzertprogramme mit den Kooperationspartnern oder der Kreation eigener pädagogisch-musikvermittelnder Formate durch Studierende. Alles ist wertvoll!
Thüringen und Weimar, die Kulturstadt Europas, stellen optisch, akustisch und kulturgeschichtlich ein gleichermaßen ideales Tableau wie einen einzigartigen, authentischen Kreativraum dar für sämtliche Musik, die am Institut gelehrt wird. Umgekehrt ist diese Musik das „klassische“ Aushängeschild für das Bundesland. Dies schätzt auch die Thüringer Staatskanzlei: Bereits mehrfach begleitete das Institut deren Festlichkeiten, ob zur Inauguration einer Sonderbriefmarke oder zum Adventskonzert des Ministerpräsidenten im Französischen Dom zu Berlin. Kooperationen führten jedoch auch weit über die Region hinaus, zum Beispiel nach Salzburg, Krakau oder Venedig.
Prägende Erfahrungen
Ein paar Schlaglichter aus der Vielzahl unterschiedlichster kooperativer Projekte: Immer wieder bespielen Studierende der Cembaloklasse zum einen besaitete originale Tasteninstrumente in Museen wie dem Bachhaus Eisenach und den Sammlungen in Hamburg und Nürnberg gemeinsam mit Kirchenmusik bzw. Orgel-Studierenden. Zum anderen bespielen sie die einzigartig reiche historische Orgellandschaft Thüringens und Mitteldeutschlands in Kirchen z.B. in Erfurt, Gräfenroda, Schmalkalden, Suhl, Naumburg und Rötha. Solch prägende Erfahrungen heben den Studienstandort Weimar für historische Tasteninstrumente zusätzlich hervor.
Auch bei den Tagen mitteldeutscher Barockmusik der Mitteldeutschen Barockmusik e.V. sowie den Clavichordtagen der Deutschen Clavichord Societät e.V. waren die Weimarer Clavierist*innen zu hören. Mehrmals gastierte das Institut für Alte Musik zudem beim Festival Güldener Herbst, das 1999 von zwei Professor*innen des Instituts mitgegründet und viele Jahre begleitet wurde.
Die Consort-Spielpraxis der Renaissance ist teils in sehr großen, prächtigen Besetzungen überliefert. Heute scheitert dies meist an den Kosten, sodass Konzerte mit authentischen „Renaissance-Orchestern“ im Konzertleben eher eine Rarität sind. Wie aber klingen eigentlich 21 Renaissance-Blockflöten (nicht zu verwechseln mit einem Blockflöten-Orchester), welche wie bei Michael Praetorius anno 1616 den „Flöten Chor“ bilden? Dies wurde im Rahmen einer Kooperation des Weimarer Blockflötenconsorts Paradizo mit der Blockflötenklasse des Mozarteums Salzburg ausprobiert.
Auch wenn beide Einrichtungen nicht, wie damals zum Beispiel die Augsburger Fugger oder König Henry VIII in England, über ein opulentes Instrumentarium von über 60 Consortflöten verfügen, so sind doch insgesamt circa 32 Instrumente vorhanden, um das gemeinsame Experiment „Praetorius XXI“ wagen zu können. Klingende Ergebnisse waren Konzerte bei den Arolser Barockfestspielen zum 400sten Jubiläum von Johann Hermann Schein als Weimarer Hofkapellmeister im Jahr 2015. Eine gemeinsame Exkursion nach Venedig, einem europäischen Zentrum des Blockflöten-Consortspiels im 16. Jahrhundert, musste pandemiebedingt leider verschoben werden und kann hoffentlich 2022 stattfinden.
Eine intensive Kooperation verbindet das Institut seit 2008 mit der „Bach Biennale Weimar“. Im Laufe von nunmehr dreizehn Festivaljahren wurde vielfach zusammengearbeitet. Mehrfach präsentierten sich Studierende aller Hauptfachklassen mit wechselnden Programmen beim Festival, so 2012 mit Variationen über B-A-C-H im Stadtschloss oder mit Bach und Bauhaus im 90. Gründungsjahr des Bauhauses 2008 im Oberlichtsaal der Bauhaus-Universität.
Lunchkonzerte mit Studierenden
Veranstaltungsformate wie Klingende Bach-Fresken, darunter Musik in Bachs Arrestzelle, die Stadtführungen mit Musik oder die seit 2010 beliebten Lunchkonzerte wurden über Jahre maßgeblich von Studierenden des Instituts gestaltet. Beim Barockfest BaBa-Fest (Bach & Bauhaus) wirkten Studierende des Instituts im Verein mit Profimusiker*innen der Bach Biennale mit. Das Barockfest „Meine Freundin, du bist schön“ wurde auf ebensolche Weise im Juli 2021 im Schießhaus Weimar realisiert.
Ein besonderes Ereignis der letzten Jahre war das Gedenkkonzert „Die Asche von Buchenwald“. Erstmals nach 80 Jahren wurde der über 3.500 auf dem Weimarer Friedhof eingeäscherten Buchenwald-Häftlinge gedacht. Studierende des Instituts für Alte Musik und weiterer Institute musizierten Johann Sebastian Bachs Weimarer Kantate „Nur jedem das Seine“ sowie zwei Uraufführungen nach Texten aus Buchenwald, komponiert von Studierenden der Hochschule, im Zusammenklang mit der Staatskapelle Weimar unter Kirill Karabits und Markus Stockhausen sowie im Beisein von Schirmherr Ministerpräsident Bodo Ramelow und Vertretern der Religionen.