Die Kernfrage lautet: Was machen Apparate, mit denen wir Musik hören, eigentlich mit uns und mit unserer Art, Musik zu konsumieren? „Es ist ja nicht so, dass wir sie einfach nur einschalten“, sagt Christofer Jost vom Freiburger Zentrum für Populäre Kultur und Musik. Durch die Verwendung spezieller Apparate eröffnen sich spezielle Erlebnisräume. Eben darum geht es im Verbundprojekt „Musikobjekte der populären Kultur“, das Christofer Jost koordiniert. Das Projekt startete 2018 und wird gerade beendet.
Die Jüngeren unter den Musikliebhabern wissen gar nicht mehr, wie das ist, sich ein Musikstück über ein Grammofon, einen Plattenspieler, einen Kassettenrekorder, CD-Player oder Walkman anzuhören. Für sie ist meist das Smartphone das Medium der Wahl. Welches Musikobjekt man wählt, macht natürlich rein qualitativ einen Unterschied. Im Verbundprojekt werden Musikobjekte ab 1945 untersucht. Die Forscher interessieren sich für Praktiken des Musikhörens mit den verschiedenen Apparaten. Aber auch das Design wird berücksichtigt. „Einige Apparate sind ja sehr aufwendig gestaltet“, so Jost. Damit besitzen sie an sich, also über das Musikhören hinaus, einen Erlebniswert.
Ein edler Plattenspieler ist seinem Besitzer in aller Regel lieb und teuer. „Geräte, auf die man lange gespart hat, inszeniert man auch gern in seiner Wohnumgebung“, so Jost. Sie bekommen einen besonderen Platz. Manchmal stellen sie gar das Zentrum eines Zimmers dar – mitunter in Konkurrenz zum Fernseher. Ganz anders verhält es sich mit einem Wiedergabegerät wie dem Walkman. Der ist beileibe kein Zimmerschmuck. Für Jugendliche jedoch war das Aufkommen dieses Geräts aus anderen Gründen enorm wichtig: „Endlich konnten sie Musik mobil und vor allem auch abseits des Elternhauses hören.“
Das Internetzeitalter bringt abermals neue Praktiken im Umgang mit Apparaten mit sich. „Wir sehen junge Menschen, wie sie in einer Gruppe um ein Smartphone stehen und sich zusammen Musik anhören“, so Jost. Die neuen Apparate machen neue soziale Interaktionen möglich. Auch wenn die Forscherinnen und Forscher im Verbundprojekt kulturpessimistische Wertungen strikt vermeiden, gibt es gleichzeitig Beobachtungen, dass Musik nun ästhetisch schneller durchlebt wird. Auf ein paar Klicks hin sind Videos zu Musikstücken oder auch andere Informationen zu Songs verfügbar. Schnell stellt sich Hunger nach neuem Material ein.
Das Interesse gerade an traditionellen Musikobjekten hat merkbar zugenommen. Nicht zuletzt durch diesen Trend wird das Verbundprojekt so aktuell. Christopher Jost bestätigt, dass es inzwischen eine relativ große Fan-Szene rund um die Vinylplatte gibt. Aus wissenschaftlicher Perspektive ist für ihn interessant, dass Geräte wie Schallplattenspieler, die heute nostalgisch-warme Gefühle wecken, zu ihrer Zeit durchaus auch als „kalt“ und „emotionslos“ eingestuft wurden. Gerade in den 1950er und 1960er Jahren habe es starke Stimmen gegeben, die sich äußerst kulturkritisch mit der Medialisierung des Alltags auseinandergesetzt hatten.
Inwieweit über Apparate vermittelte Musik Menschen einst unter die Haut ging oder nicht, lässt sich dem Experten für populär Kultur zufolge anhand von Tagebucheinträgen oder Briefen nachvollziehen. Aus Schilderungen in Tagebüchern wie auch aus Schreiben an Freunde oder Verwandte geht außerdem hervor, wie ganz normale Nutzer Musikapparate in ihren Alltag einbauten und ob sie neue Techniken als Bereicherung ansahen. Neue Praktiken des Musikhörens und Musikerlebens, entdeckten die Forscher, entstehen in einer Wechselwirkung aus technischen Innovationen und sich allmählich ändernden gesellschaftlichen Bedürfnissen.
Man muss sich einmal daran erinnern, wie nervig das früher war, wenn die Kassette futsch ging und man Bandsalat in den Händen hielt. „Auch das ist spannend zu beobachten, wie so etwas in die Erinnerung eingearbeitet wird“, so Jost. Nachdem dies heute nicht mehr vorkommt, werden entsprechende Erinnerungen oft verklärt. Wobei es ganz sicher in dem Moment nicht als toll empfunden wurde, dass die Kassette kaputt war. Und auch, wenn heute die Überfülle an Musik teilweise beklagt wird, sollte der einstige Musikmangel nicht schöngeredet werden: „Ich selbst hätte mir als Jugendlicher in manchen Situationen einen größeren Zugriff auf Musik gewünscht.“
Das Verbundprojekt gliedert sich in drei Teilprojekte. Mitarbeiter des Rock’n’Popmuseums Gronau untersuchten „Generatoren des Sounds“. An der Musikhochschule Weimar nahm man sich des Themas „Speichern und Sammeln“ an. Das Freiburger Team untersuchte Musikgeräte als „Apparate des Erlebens“. Soeben erschien die 600-seitige Abschlusspublikation „Audiowelten“. Außerdem soll im Januar 2022 eine Website mit wichtigen, für die Öffentlichkeit interessanten Forschungsergebnissen freigeschaltet werden. Zudem ist eine Handreichung geplant, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Museen Tipps zur Präsentation von Musikobjekten gibt.