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Was heute alles musiziert wird

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Vor 50 Jahren wurde das Kölner Institut für Europäische Musikethnologie gegründet
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Blues, Spirituals und Gospels, Fansongs und Vereinshymnen, polnische Kanons und Sinti-Musik – die musikalische Laienszene war womöglich noch nie so bunt wie heute. Was und wie dieser Tage musiziert wird, das erforscht das Institut für Europäische Musikethnologie der Universität Köln. Die Einrichtung geht zurück auf den Musikwissenschaftler Ernst Klusen, der 1938 das Niederrheinische Volksliedarchiv gründete. Vor 50 Jahren wurde Klusens Privatinstitut in das heutige Institut für Europäische Musikethnologie überführt.

Eigene Studierende hat das Institut zwar nicht, informiert Juniorprofessor Klaus Näumann. Doch im Studiengang Musikpädagogik an der Kölner Universität sind musikhistorische, musikethnologische und populärwissenschaftliche Anteile fest integriert. „Es ist auch recht leicht, einen Teil der Studierenden für unsere Themen zu begeistern. Einige fertigen auch ihre Examensarbeit bei uns an“, so der Musikethnologe.

Am Institut für Europäische Musik-ethnologie erfahren die Studierenden mehr über die Musik der in Deutschland und Europa lebenden Sinti und Roma, über World Music und methodische Herangehensweisen in der musikethnologischen Feldforschung. Näumann animiert die jungen Leute aber auch, selbst forschend tätig zu werden. In jüngster Zeit entstanden zwei besonders spannende Abschlussarbeiten: „Einmal ging es um Musik in Fußballstadien mit Schwerpunkt auf dem 1. FC Köln, ein anderes Mal um Konzerte in der Punkszene.“ Dabei wurden Interviews mit Angehörigen eines Kölner Punkkonzert-Clubs über aktuelle Tendenzen in der Punkmusik geführt.

Bei Ernst Klusen stand noch die Vokalmusik im Mittelpunkt. Über die Jugendbewegung „Wandervogel“ fand der Forscher früh zu seinem Lebensthema „Volkslied“. Wobei er bald dazu kam, nicht mehr vom Volks-, sondern vom „Gruppenlied“ zu sprechen. Damit vertrat er eine ganz andere Auffassung als Johann Gottfried Herder, der 1773 den Begriff „Volkslied“ prägte und in die deutsche Sprache einführte. Klusen entdeckte, dass sich in einzelnen Gruppen eigene Liedrepertoires herausbilden, die sich von denen anderer Gruppen unterscheiden. Darum unterzog er Herders Begriff einer kritischen Analyse und modifizierte ihn deutlich.

Für Ernst Klusen war das, was man Volk nannte, schlicht zu imaginär. Das Institut für Europäische Musikethnologie entfernte sich mit seiner Namensgebung noch deutlicher vom schwammigen Begriff des „Volks“. Bis vor vier Jahren hieß die Einrichtung noch „Institut für Musikalische Volkskunde“. Seit Oktober 2010 führt es seinen heutigen Namen.

Zwar gibt es noch immer Volksbegehren und Volkshochschulen – aber sonst sind viele Begriffe mit der Zusatzbezeichnung „Volk“ verschwunden. Wer spricht zum Beispiel noch von „Volksbücherei“? Die taufte sich längst in „Stadtbibliothek“ um. Der neue Institutsname macht laut Klaus Näumann deutlich, dass man sich mit sämtlichen Facetten der Gegenwartsmusik in Europa befasst: „ungeachtet der Musikrichtung“. Musik traditioneller Gesangsgruppen wird genauso unter die wissenschaftliche Lupe genommen wie Musik von Menschen mit einem Migrationshintergrund.

Anlässlich seines Jubiläums möchte das Institut Musikethnologen aktivieren, sich einmal mit dem Thema „Musik und Wettbewerb“ auseinanderzusetzen. Dank des Fernsehens spielen Musikwettbewerbe nämlich eine immer größere Rolle, erklärt der Forscher: „Es gibt ganz unterschiedliche Castingshows, in denen es um Musik geht.“ Die bekannteste ist „Deutschland sucht den Superstar“, eine Show nach dem Vorbild des musikalischen Talentwettbewerbs „Pop Idol“, das der britische Produzent und Spice-Girls-Schöpfer Simon Fuller konzipierte.

In Städten verweisen nicht selten großformatige Plakate auf Finales lokaler Musikwettbewerbe, bei denen zum Beispiel eine Ode an die betreffende Stadt komponiert und einstudiert werden musste. Das Phänomen „Musikwettbewerb“ beschränkt sich jedoch keineswegs auf Deutschland. In nahezu allen Ländern finden musikalische Wettbewerbe live oder im Fernsehen statt. In Albanien zum Beispiel gibt es eine Musik-Castingshow namens „Edi Krasta“, der britische Sender ITV strahlt zweimal in der Woche die Show „The X Factor“ aus. In inzwischen 14 Ländern wird die Cas-tingshow „Fame Academy“ gesendet.

Teilweise erweisen die Wettbewerbe der Musik einen schlechten Dienst. „Sie bergen Konfliktpotenzial bis hin zu echten Gefahren“, warnt Näumann. Bei der Jubiläumstagung, die vom 2. bis 4. Oktober stattfinden wird, soll hierüber genauso gesprochen werden wie über die Chancen und die unterschiedlichen, nach Näumanns Ansicht äußerst spannenden Interaktionen zwischen allen am Musikwettbewerb Beteiligten.

Wer „Deutschland sucht den Superstar“ mit spöttisch gekräuselten Lippen abtut, macht es sich leicht. Dabei ist es durchaus interessant, sich damit sowie mit anderen Formen musikalischer Wettbewerbe näher zu beschäftigen. Wer ist aus welchen Motiven heraus interessiert, einen musikalischen Wettbewerb durchzuführen?

Wer bewertet die Darbietungen? Nach welchen Kriterien werden sie bewertet? Welche Motivationen und welche Erwartungen haben die Teilnehmer? Auch das Publikum ist für Näumann ein interessanter Untersuchungsgegenstand: „Wie interagiert es mit den Teilnehmern am Wettbewerb? Und wie mit dem Schiedsrichter?“

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