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Weltmusik auf dem Weg in die Milchstraße

Untertitel
Zum geplanten Aufbaustudiengang „Interkulturelle Musikforschung“ in Hamburg
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Im Sommer 1997 wurde der Münchner Komponist Peter Michael Hamel als Nachfolger György Ligetis auf den Lehrstuhl für Komposition/Theorie der Hochschule für Musik und Theater Hamburg berufen. Sein Hauptziel bei der derzeitigen Studienreform (in einer Kommission unter anderem mit seinen Kollegen Wolfgang A. Schultz und Manfred Stahnke) ist die Verankerung von Aufbaustudiengängen, neben Multimedia, Computermusik und angewandter Medienkomposition vor allem ein „Improvisationspraxisbezogenes“ Studium traditioneller ethnischer Musikkulturen. Für die neue musikzeitung gibt Hamel einen Ausblick auf diesen Aspekt seiner Pläne.

Im Sommer 1997 wurde der Münchner Komponist Peter Michael Hamel als Nachfolger György Ligetis auf den Lehrstuhl für Komposition/Theorie der Hochschule für Musik und Theater Hamburg berufen. Sein Hauptziel bei der derzeitigen Studienreform (in einer Kommission unter anderem mit seinen Kollegen Wolfgang A. Schultz und Manfred Stahnke) ist die Verankerung von Aufbaustudiengängen, neben Multimedia, Computermusik und angewandter Medienkomposition vor allem ein „Improvisationspraxisbezogenes“ Studium traditioneller ethnischer Musikkulturen. Für die neue musikzeitung gibt Hamel einen Ausblick auf diesen Aspekt seiner Pläne.Seit vier Jahren geht es für mich an der Hamburger Musikhochschule um die altchinesische Weisheit, nur das verändern zu wollen, was änderbar ist, und auf dem Weg in die Milchstraße John Cage zu beherzigen: „to try the impossible...“ Zuerst war da natürlich das Abenteuer des persönlichen Kompositionsunterrichts, der Aufbau einer Hauptfach-Klasse. Außerdem galt es, Projekte hochschulfachbereichsübergreifend in Gang zu setzen, die das Ansehen der neuen Musik innerhalb und außerhalb des Hauses anheben könnten. Nicht nur die 20 angehenden Komponisten/-innen und Theoretiker/-innen werden hier einbezogen, eingeladen, alles ist auch für Schulmusik, Pädagogik, Gesang, Theater, Musiktherapie und die Instrumentalisten offen. Im Vordergrund einer solchen „offenen Klasse“ steht das „learning by doing“ auf den Gebieten:
• Angewandte Musik/Medienkompo-sition,
• Akustische und multimediale Kunst,
• Improvisationsformen/Stehgreif-spiel/Experimentelle Projekte,
• Begegnung mit so genannter außereuropäischer Musik.

Immer wieder ging es dabei auch um den heilenden Aspekt von Musik. „Kunst ist ja Therapie“, sagte zwar Josef Beuys, aber der Hochschulalltag sieht anders aus: Wer es psychologisch am nötigsten hätte, wehrt sich womöglich am stärksten gegen alles Heilerische. Gesundsein ist doch „gesoundet“ sein, nicht umsonst sprach ich bereits in meiner Antrittsvorlesung („Ein neuer Ton“) vom „Akkordbad“ des Harmonikers Hans Kayser. Mit der „großen Begegnung“, wie Jean Gebser es in seiner „Asienfibel“ nannte („Asien lächelt anders“), mit zunehmender Erfahrung und dem Kennenlernen ethnischer Traditionen wird uns dieser heilende Aspekt der Musik wieder bewusster, der in mythisch-magischen Kulturen selbstverständlicher Bestandteil des sozialen Kontextes war. Ist der Heiler, der Schamane doch stets auch ausübender Musiker gewesen! Einer kommerziell orientierten „Musik, um zu“ habe ich jedoch niemals das Wort geredet, Lebenshilfe-Gedudel zum Entspannen ist nicht intendiert, denn Kunst und auch stimmiges Musizieren hat keine gerichtete, spekulative Absicht. Und wer meditiert, hört sowieso keine Musik...

Ende der 60er-Jahre als Kompositionsstudent der Münchner Musikhochschule war ich mit meiner Multimedia- und Weltmusikbegeisterung in einer guten (und kleinen) Gesellschaft, aber Karlheinz Stockhausen gelangte in seinen Alleinvertretungs-Anspruch, und „Jazz meets the world“ geriet in neoreligiöse Händlerhände und zur New-Age-Verflachung. Meine ersten Multimedia-Live-Erfahrungen mündeten damals in die Gründung der Rockgruppen „Amon Düül“ und „Embryo“, und ich erinnere mich lebhaft an die Musica-Electronica Viva-Auftritte – 35 Jahre später besuche ich einen professoralen Workshop der Hamburger Wissenschaftsbehörde mit dem Thema „Multimedia und E-learning“, welche Wege doch Wörter machen, welchen Bedeutungswandel! Weltmusik, Anfang der 70er-Jahre noch eine abwertende Invektive der Experten („Allerweltsmusiker“) für Neokolonialismus unterstellende Versuche von Akkulturation und Anwandlung. Da dominierte (noch) die euro- und ethnozentrische Arroganz bei den Uni- und Hochkultur-Funktionären. Inzwischen ist „world music“ von der internationalen Unterhaltungsindustrie gekapert worden. Weltmusik und ethnisch-traditionelle Produktionen sind schallplattenpreiswürdig und Ligeti rät uns im Juni 1998 zum Verzicht auf das Wort Weltmusik. Siemens-Preisträger Reinhold Brinkmann überraschte nun in der Süddeutschen Zeitung vom 31. Mai 2001 mit folgendem Postulat: „Gott sei Dank ist der Eurozentrismus in der westlichen Kunstmusik vorbei [...]. Das globale Konzept muss eine Weltmusik sein.“

Mit diesem Begriff verbinden sich manche wichtige und aufregende Forschungs- und Unterrichtsinitiativen, wenn ich nur an Wolfgang Martin Strohs „Eine Welt Musiklehre“ an der Uni Oldenburg denke oder an die anthropologischen Konzepte meines Hamburger Musikwissenschaftskollegen Hanns Werner Heister. Auch die von Ligeti ausgehende Beschäftigung mit „alternativen, nicht temperierten Stimmungen und Skalen“ von Manfred Stahnke („Europa und Ethnik“) kann Ausgangspunkt für einen Aufbaustudiengang „Interkulturelle Musikforschung“ sein. Seine Basis könnte er im Aschauer „Hamel-Haus“ haben, das als Institut für interkulturelle Musikforschung und ethnisch-traditionelle Musizierpraxis die Bereiche Harmonikale Grundlagenforschung, Atemarbeit und Akustische Kunst, Medien und Meditation, Ethnomusikologie und Ekstase sowie ein Laboratorium des Hörens und der Stimme zum Schwerpunkt hat. Orale Traditionen und unsere buchstäbliche Augen-Dominanz müssten thematisiert werden, der sozial-gesellschaftliche und anthropologische Kontext der verschiedenen Ethnien müsste studiert werden. Ein Symposium „Musik und Spiritualität“ ist in Planung.

Hochschulmühlen mahlen langsam: Seit 1998 ist eine Kooperation mit der Uni Oldenburg in interkultureller Angelegenheit im Gespräch, im Juni 2001 fand ein Erfahrungsaustausch mit dem Arbeitskreis „Interkulturelles Leben“ der Hamburger Patriotischen Gesellschaft statt, im November ein interkulturelles Festival „eigenarten“ (zum zweiten Mal) und im Sommer 2002 wird eine riesige „Interkulturelle Klangnacht“ in allen Räumen der Hochschule stattfinden. Steht hier schon bald das nächste Wort zur Vermeidung an? Auf die Journalistenfrage an den schwedischen Bassisten Jonas Hellborg, ob sich bei ihm die „Schublade Weltmusik“ öffnen ließe: „Jeder versteht etwas anderes darunter – eine Definition wäre vielleicht: Musik, die improvisiert ist.“ (Morgenpost 28. Mai 2001). Die Hamburger „Nacht der Improvisation“, ein Haus voller Musik mit bald hundert Mitwirkenden und über 800 Besuchern im vergangenen Juni machte jedenfalls Mut, John Cages Wahlspruch weiter im Ohr zu haben: to try the impossible...

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