Wenn die Ordnung einer Zeremonie spontan verändert wird, dann entstehen manchmal unerwartete Situationen. So geschehen beim Preisträgerkonzert des 59. Hochschulwettbewerbs der deutschen Musikhochschulen am 23. Mai 2011 in Lübeck. Dem Minister für Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr des Landes Schleswig-Holstein Jost de Jager, hatte nämlich Zhe Lin, Studentin aus Stuttgart und Erstplatzierte im Fach Perkussion, durch ihren fulminanten Auftritt, vorzeitig wohl wegen einer falschen Regieanweisung, den Prominentenbonus genommen. Noch sichtbar vom donnernden Applaus für Zhe Lin beeindruckt, meinte Jost de Jager im Scherz, dass es unfair sei, nun eine politische Rede zu halten.
Anerkennende Worte für die Solistin und für den Wettbewerb insgesamt vergaß Jost de Jager dennoch nicht, auch wenn er im Übrigen nur sehr allgemein die prekäre Finanzlage des Landes in Bezug zur Musikausbildung brachte. Irgendeine verbindliche Unterstützung sagte er nicht zu. So blieb manches in gezwirbelter Rhetorik kaschiert.
Diese Möglichkeit hatte Zhe Lin nicht, denn die „Thirteen Drums, for Percussion Solo“ von Maki Ishii forderten Präzision für die konstanten binären Wirbelfiguren, die sie auf den verschiedenen Tonhöhen der Trommel-Assemblage virtuos variierte. Vergleichbare Körpermobilität war auch für Shinichi Minami (Karlsruhe) notwendig, als er die kontrapunktischen Motivketten im zudem weiten Ambitus der „Khan Variations for Marimba solo“ von Alejandro Viñao vorstellte. Eine weitere Wettbewerbsdisziplin, die im Jahr 2011 prämiert wurde, waren Lied-Duos. Während Daniela Vega de Santis und ihre Klavierbegleiterin Melanie Bähr (beide aus Karlsruhe) die dramatische Emphase in der Frage „Was soll der Zorn, mein Schatz“ von Hugo Wolf etwas übertrieben, war die Balance in „Lieber alles“ des gleichen Komponisten von Andreas Beinhauer und seiner Klavierpartnerin Melanie Kluge (ebenfalls beide aus Karlsruhe) ausgewogener. Kaum Unterschiede bei der Intonation und Interpretation des „Concerto für Bass-Tuba und Orchester f-Moll“ von Ralph Vaughan Williams waren bei Vikentios Gionanidis und Rubén Durá de Lamo (beide aus Hannover) zu hören. Sie meisterten, zusammen mit dem gut disponierten Orchester der Musikhochschule Lübeck unter der Leitung von Gerd Müller-Lorenz, die schwierige Stimmführung mit extremen Intervallsprüngen verblüffend sicher. Den Förderpreis für Komposition erhielt Benjamin Helmer (Mannheim) für sein Duo „Haut ab“ für Tombak (kelchförmige persische Trommel aus Holz) und kleine Trommel (Snare). Sein Werk wechselnder Timbres und kontrastiver Schlagfiguren brachten Davide Poretti und Johannes Fischer zur respektablen Uraufführung.
Besonders beeindruckend war die Bild-Video- und Text-Präsentation der Preisträgerinnen im Fach Musikpädagogik, Julia Schüly und Susanne Richter (beide aus Saarbrücken). Deren Schulprojekt „Die kleinen Streicher“ ist ebenso kindgerecht wie zur Nachahmung zu empfehlen, weil das Bewegungsbedürfnis und die (Sprach-) Fantasie von Grundschülern berücksichtigt wird, wenn sie Violine oder Cello lernen wollen. Dieser Wettbewerb wurde in einer Kooperation der deutschen Musikhochschulen mit dem Verband deutscher Musikschulen (VdM) dieses Jahr zum zweiten Mal ausgeschrieben. „Damit setzen die deutschen Musikhochschulen ein Zeichen für die Bedeutung der musikalischen Breitenbildung“, erklärte Werner Heinrichs, Vorsitzender der Rektorenkonferenz der deutschen Musikhochschulen (RKM), im Grußwort zum Hochschulwettbewerb 2011.
Er vertrat aber beim nmz-Interview auch die dezidierte Meinung, dass „vom ersten Schuljahr an Profis unterrichten müssen, um Kindern Musik eindringlich zu vermitteln. Wir haben in der Debatte um den Musikunterricht vor allem dann eine Chance, wenn wir insistieren, dass Qualität in der Musik einen hohen Stellenwert hat. Der von uns organisierte Hochschulwettbewerb hat deutliche Kennzeichen von Routine und vielleicht deshalb bisher nicht die von uns gewünschte politische Signalwirkung gehabt. Vor diesem Hintergrund diskutieren wir seit 2010 in der RKM, wie sowohl unser Felix Mendelssohn Bartholdy Wettbewerb, der älteste in Deutschland, als auch der Hochschulwettbewerb miteinander verbunden und dadurch aufgewertet werden können. Beide Wettbewerbe sollen unter eine hochkarätige künstlerische Leitung gestellt, und Juroren sollen hochschulintern und -extern ausgewählt werden. Auch sollen die Preisgelder durch Zuwendungen von Partnern außerhalb der Hochschulen erhöht und die Organisation aus der Perspektive des Kulturmanagements professionalisiert werden. Ab 2013 wird dann der gemeinsame Wettbewerb nach unserer Planung zentral an der Universität der Künste (UdK) in Berlin stattfinden. Auslober ist dann die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Ausrichter die RKM und Organisator die UDK. Wir können diese neue Wettbewerbsstruktur unabhängig von staatlichen Subventionen über die Stiftung Preußischer Kulturbesitz sowie andere kompetente Partner finanzieren. Unser Ziel ist, dass Studierende bei diesen Wettbewerben notwendige Praxiserfahrungen bekommen und das hohe Niveau des Musikstudiums gesellschaftlich besser wahrgenommen und politisch angemessen gefördert wird.“
Zwar erwähnte Werner Heinrichs bei seiner Ansprache zum 59. Hochschulwettbewerb in Lübeck nichts direkt von diesen Plänen, aber er wies Minister Jost de Jager deutlich darauf hin, dass Musik in Theorie und Praxis ein unverzichtbarer Bereich ästhetischen Wissens ist. Insbesondere die Musikhochschule Lübeck sei ein „Juwel des Nordens“ und ihre hervorragende Funktion im Wissenschaftssystem des Landes Schleswig-Holstein brauche politische Anerkennung. Bleibt nur zu wünschen, dass diese begründeten Argumente und die ausgezeichneten Preisträgerkonzerte in der gastfreundlichen Musikhochschule Lübeck eine nachhaltige Wirkung hatten.