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Zeitgenössische Musik-Theater-Dramaturgie als inter- und transdisziplinärer Prozess

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Zum fächerübergreifenden Projekt „Turandot.Kommentar“
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Die Schnittstellen und produktiven Differenzen zwischen zeitgenössischem Theater und zeitgenössischer Musik in der Aufführungs- und Diskurspraxis herauszuarbeiten, kann als Herausforderung einer zukunftsorientierten Musik-Theater-Dramaturgie verstanden werden. Beides sind transitorische Kunstformen, die neue Dramaturgien herausgebildet haben, die wesentlich Zeit und Raum, aber auch Gestalt, Figur und Rolle betreffen. Das Verhältnis von Text und Klang, Stimme, Rhythmus und Körper hat sich anders ausdifferenziert. Prozesshaft und gemeinschaftlich organisierte Arbeitsformen dynamisieren einen Begriff von werkhafter Autonomie. Musik-Theater kann als gegenseitige performative Hervorbringung von Musik und Theater verstanden werden, als vielfältige Möglichkeit der Präsentation und Kombination von Klang, Raum, Bild und Szene, also für jede Art der Kom-Position und In-Szenierung.

Musik und Theater ereignen sich immer hier und jetzt und sind in ihrer gegenwärtigen Erlebnisqualität uneinholbar. Studierende aus beiden Bereichen in der Projektarbeit so miteinander in Kontakt zu bringen, dass der gemeinsame Arbeitsprozess etwas hervorbringt, das seine Gestalt der spezifischen Konstellation von Beteiligten aus verschiedenen Fächern verdankt, ist Sinn und Ziel interdisziplinärer Projekte.
Im Januar 2016 wurde an der HMT Leipzig mit „Licht(s)KlangRäume“ eine Konzert-Performance realisiert, die das ganze Hochschul-Gebäude in der Grassistraße auf ungewohnte Weise bespielte. Im April 2017 hatte mit „Turandot. Kommentar“ ein Musik-Theater-Projekt Premiere, an dem erneut viele verschiedene Fachrichtungen das Potential ihrer Schnittstellen und Differenzen erforschten.

Kompositions- und Jazz-Studierende haben in Auseinandersetzung mit einem vom 12. bis zum 20. Jahrhundert vielfach bearbeiteten Stoff jeweils neue Kompositionen entwickelt, Dramaturgie-Studierende haben aus dem bestehenden und dem neu entwickelten Material eine Stückstruktur erarbeitet, in der Schauspieler, Sänger und Musiker ohne feste Rollen interagieren. Es wurde versucht, zeitgenössische dramaturgische, musikalische und szenische Perspektiven auf diesen Stoff und seine Figuren zu entwickeln und eine polyperspektivische musikalisch-szenische Form dafür zu finden.

Die Komponisten haben sich vom dramaturgischen Konzept inspirieren lassen und von der Möglichkeit, Schauspieler und Jazz-Musiker in ihre Kompositionen einzubeziehen, Sänger mussten sprechen, Schauspieler und Musiker singen, und so haben alle Beteiligten ihre  künstlerischen Möglichkeiten in der Überschreitung der eigenen Fachgrenzen vielfältig erweitert.

Prof. Dr. Regine Elzenheimer (Professorin für Dramaturgie mit Schwerpunkt Musiktheater/ Konzert an der HMT Leipzig)

Turandot existiert doch!

Viele kleine Schnipsel liegen auf vielen Tischen verteilt: Verse aus Schillers „Turandot“, Satzfetzen aus Marinettis „Futuristischem Manifest“, Wörter von Roland Barthes – eine Operation am offenen Text-Herzen. So entstand eine erste Textfassung für „Turandot.Kommentar“. Und am Ende steht eine Stück-Fassung, in der sich Schauspiel, Gesang und musikalische Elemente abwechseln, durchmischen, überlagern; doch bis zum Probenbeginn bleibt es ein Konzept auf Papier, das zum Klingen, Sprechen, Singen gebracht werden will. Diesen Prozess über sieben Monate dramaturgisch zu begleiten, war ein intensives Erlebnis. Es begann mit wöchentlichen Seminartreffen und endete in vier ausgebuchten Vorstellungen.
Wir haben gehört, wie Jazzmusiker den bisher für uns nur auf Papier und Tonaufnahmen existenten Turandot-Stoff auf befreite und sinnliche Weise zum Fliegen brachten. Wir haben überlegt, welche Figuren ein „Turandot.Kommentar“ braucht, welche Texte Turandots Ungreifbarkeit spürbar machen könnten, und erlebten, wie dieser von Brüchen durchzogene Stoff durch die Körper und Stimmen der Sänger und Schauspieler erfahrbar wurde.

In diesem Prozess, von den grundlegenden Fragen an die historischen Ausgestaltungen des Stoffes über das Greifen nach aktuellen Themen bis hin zur Entwicklung einer Struktur, die die ganze Breite dieses Themas umklammert, haben wir die Hochschule auf ganz besondere und neue Weise kennengelernt. Es war toll, diese Begeisterung durch Bilder und Material, Interviews mit bisher Unbekannten über Unbekanntes weiter transportieren zu können.

Puccini lässt seine Minister „Turandot non esiste“ singen, „Turandot existiert nicht“. Für uns ist Turandot in ihrer Faszination und Wirkung in den letzten Wochen und Monaten mehr als real geworden.

Lisa Ahrens, Stefanie Hauser, Christian Stolz, Josephine Tietze, Nina Wiener (Studierende der Fachrichtung Dramaturgie der HMT Leipzig)

www.turandot-kommentar.com

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