Sidney Corbett, Professor für Komposition, und Philipp Ludwig Stangl, Professor für Audiovisuelle Gestaltung, im Gespräch über das neue Studienangebot „Komposition und Neue Medien“ im Master.
Wofür steht die Komposition in Mannheim?
Prof. Sidney Corbett: Mein Ansatz ist äußert pragmatisch und zielt auf die Professionalität. Neben den für mich sehr zentralen handwerklichen Fähigkeiten, wie Kontrapunkt, Harmonielehre, Analyse und Gehörbildung, ist mir die Entwicklung einer dem Berufsbild des Komponisten adäquaten künstlerischen Haltung von entscheidender Bedeutung. Hierzu dient unser Gruppenunterricht, der bis spät in den Abend geht und bei dem vor allem gezieltes Hören und die Entwicklung einer explizit kritischen Haltung gegenüber der eigenen, wie auch der um uns existierenden Positionen geschult wird. Wie in meinem Studium, damals in Hamburg bei György Ligeti, hören wir Musik von sehr großer Bandbreite, unterschiedlichster Stilrichtungen und musikalischer Herkünfte und haben häufig auch Gäste, die ihre Musik präsentieren. Es wird dann kontrovers diskutiert und um die Essenz dieser Musik gerungen. Für mich ist die Beschäftigung mit Themen und auch Texten aus anderen Disziplinen hier von besonderer Bedeutung, ob aus bildender Kunst, Philosophie oder Literatur. In der Bibliothek ist ein Ordner, „Der Corbett Reader“, in dem ich Texte deponiere, die die Studierenden zu lesen haben.
Prof. Philipp Ludwig Stangl: Durch Sidney Corbett unterrichtet hier eine herausragende Persönlichkeit! Er vertritt nicht nur exzellent die Traditionen der Avantgarde, sondern prägt vielmehr die Studierenden durch seinen eigenen, offenen Blick auf die Neue Musik. Ich schätze an Sidney Corbett, als US-Amerikaner, sehr seinen unverkrampften Umgang mit der „klassischen“ Avantgarde. Dadurch ist vieles möglich, was bis dato in Noten eingeschweißt zu sein schien und für meine Generation und nachfolgend die Generation der Studierenden neu gedacht werden muss. In diesem offenen Diskurs ist es natürlich notwendig, den Blick nicht nur auf die instrumentale Komposition zu richten, sondern auch andere Medien zu befragen und als Ressource für neue Kompositionen nutzbar zu machen. Daher haben wir neben dem Master in Instrumentalkomposition seit Herbst 2016 das Angebot hier in Mannheim um den Master in „Komposition und Neue Medien“ erweitert. Mit diesem Studienschwerpunkt wollen wir den medialen Entwicklungen Rechnung tragen.
Was sind die Ziele dieses neuen Studienfachs?
Stangl: Es geht hier nicht nur um die technologische oder digitale Erweiterung einer Idee von Komposition, sondern vielmehr um eine neuartige Denkweise, Komposition als Mittel der zeitgenössischen Wirklichkeitsbeschreibung zu begreifen. Alles, wovor wir staunend stehen, können probate Ausgangspunkte für neue Komposition sein. Im digitalen Zeitalter sind das zumeist klingende oder visuelle „Snippets“ aus dem Netz, die die Studierenden interessieren. Ich denke, es ist wichtig zu lernen, diese frei flottierenden und flüchtigen Partikel von Bild- und Klangidentitäten ästhetisch differenziert befragen zu können.
Aus diesem Grund ist mir neben der Praxis auch die Theorie der audiovisuellen Medien besonders wichtig. Insbesondere von den Bildmedien können wir, durch das Lernen zu sehen, stark für die dramaturgische Gestaltung von Kompositionen profitieren.
Corbett: Nun ja, Philipp Stangl und ich sind Vertreter der Zeitgenossenschaft an der Hochschule und das heißt für mich vor allem die offene und aufmerksame Betrachtung der Bewegungen in der Kunst, die uns umgibt. Der Umgang mit Medien jenseits von Papier und Bleistift ist für die Studierenden eine Selbstverständlichkeit. Von daher war es naheliegend, da wir bei uns im Hause die beiden Bereiche des instrumentalen Komponierens und Produzierens mit neuen Medien gut abdecken, auch diese beiden Fächer zu verbinden. Dies wollen wir mit dem neuen Studienfach eben tun.
Wie sieht es mit Infrastruktur für ein solches Studienfach aus an der Hochschule?
Stangl: Natürlich ist es notwendig, für umfangreiche multimediale Projekte auch die entsprechende Studioausstattung bereitzustellen. Hier haben wir seit 2012 einige Investitionen tätigen können. Jedoch sind durch die starke Demokratisierung der digitalen Produktionsmittel fast alle Studierenden heutzutage in der Lage, selbst ihre Bild- und Klangvorstellungen am Laptop umzusetzen. In modernen Studioumgebungen ist es daher wichtig, dass die Studierenden die Möglichkeit haben, ihre Produktionen professionell beurteilen zu können. Ein Studio ist hier mehr ein Labor, das für die unterschiedlichsten Experimente taugen muss. Darüber hinaus ist es umso bedeutender, auf der personellen Seite verschiedenste Expertisen im Haus zu haben, um möglichst viele handwerkliche Herangehensweisen im digitalen Kontext kennenzulernen. Seit im Herbst 2016 Jörg Lohner als Akademischer Mitarbeiter unser Team erweitert und mich im Medienstudio unterstützt, sind wir hier optimal aufgestellt. Die Studierenden können von seinem Wissen aus den redaktionellen Bereichen sehr profitieren.
Welche Akzente wollen Sie zukünftig setzen?
Corbett: Uns kommt zugute, dass wir beide sehr erfahren im Musiktheater sind und uns beide, auf je eigene Weise, mit dem Thema der Narrative in der Musik intensiv befassen und darum ringen, zeitgemäße Antworten auf die Frage zu finden, wie man heute Geschichten erzählen kann. In meinem Unterricht setzen wir uns regelmäßig mit neuen Werken des Musiktheaters auseinander, besuchen Uraufführungen und machen regelmäßig Ko-operationsprojekte mit anderen Institutionen, wie zum Beispiel dem Nationaltheater Mannheim, dem Theater Osnabrück und anderen Häusern. Zusammen mit Philipp Stangl können wir nun multimediale Projekte realisieren, bei denen sowohl instrumentale als auch elektronische Musik und Videoarbeiten integriert werden.
Ein solches Projekt, unter Mitarbeit des ersten Studenten des Studienschwerpunkts, Friedrich Stockmeier, wird in diesen Tagen geprobt. Es ist ein Abend im Rahmen des Heidelberger Frühlings. Das Projekt beschäftigt sich mit dem Werk des österreichischen Autors Christoph W. Bauer. Studierende meiner Kompositionsklasse haben Werke für Frauenstimmen und kleines Instrumentalensemble, sowie mechanisches Klavier geschrieben. Es gibt elektroakustische Hörstücke und Videos, die wiederum im Medienstudio unter Philipp Stangls Regie produziert werden.
Stangl: Es ist sehr wichtig, dass den Studierenden der Komposition durch den intensiv geführten Diskurs nicht die Luft abgeschnürt wird und alle Kreativität und Lust am Experiment im Zweifel erstickt. Dafür sind gemeinsame Projekte, in denen die eigenen Klangvorstellungen einen Ausdruck finden, unbedingt wichtig. Wenn dies Projekte sind, die jenseits des geschützten Raums der Hochschule, unter professionellen Bedingungen und mit prominenten Kooperationspartnern stattfinden, ist das umso wertvoller.
Wir hatten in der Vergangenheit einige solcher Projekte, die unseren Wunsch gestärkt haben, den Master „Komposition und Neue Medien“ als Studienfach anzubieten. So hatten wir seit 2013 bereits Kooperationen unter anderem mit ARTE/ZDF oder der Akademie für Darstellende Kunst Ludwigsburg. Alle Kooperationen hatten immer einen intermedialen Ansatz, egal ob traditionelle Stummfilmvertonungen mit Kammerensemble oder experimentelle Performances mit Laptop-Ensemble.
Sie haben vor einigen Jahren auch das vielbeachtete Projekt Open Mind durchgeführt.
Corbett: Ja, das Projekt wurde 2013 vom Innovationsring Baden-Württemberg getragen, eine Einrichtung die sehr viel an Vernetzung zwischen den Institutionen im Land möglich gemacht hat. Schon bei der ersten Sichtung der vielen Einreichungen zum „Open Mind - Wettbewerb“ haben wir gesehen, dass ein sehr großes Potential vorhanden ist, die Kunstsparten übergreifend zu arbeiten. Komponisten denken oft grenzüberschreitend, bzw. nehmen Grenzen als solche nicht wirklich wahr, sondern sehen einfach verschiedene Felder, wo Fragen zu lösen sind. Wir denken, dass es ein enormer Vorteil ist, diese Prozesse nun curricular zu begleiten und den Studierenden handwerkliche Expertise auf diesem Gebiet zu vermitteln. Deshalb sind diese Projekte sehr wichtig für uns. Und vor allem für die Studierenden, die in einem professionellen Kontext bereits während des Studiums Erfahrungen sammeln können.
Wie funktioniert der Unterricht?
Corbett: Die Studierenden im Master „Komposition und Neue Medien“ besuchen alle spezifischen Lernangebote in Komposition und der audiovisuellen Gestaltung. Wir teilen die Hauptfachstunden. Ansonsten müssen sie dieselben Hürden nehmen in Komposition wie die anderen Studierenden. Die Masterarbeit ist natürlich entsprechend anders und muss auch die Erfordernisse des Hauptfachs Neue Medien erfüllen.
Stangl: Ja, es muss ein klar definierter medialer Teil in der Masterarbeit erkennbar sein, d.h. die Studierenden müssen in ihren Werken zeigen, dass sie mit digitalen Medien umgehen können. Das Spektrum ist aber sehr weit gefasst und reicht von Live-Elektronik bis zu audiovisuellen Produktionen.
Ich denke, es ist sehr reizvoll für die Studierenden, sich zwischen zwei sehr unterschiedlichen Hauptfachlehrern zu positionieren. Dadurch entsteht per se eine eigene Meinung und künstlerische Haltung.
Was würden Sie sich für die Zukunft wünschen?
Stangl: Es ist mir ein Anliegen, dass allen Studierenden klar wird, dass Sie sich mit den Fragen der Zeitgenossenschaft kritisch auseinandersetzen müssen, sonst finden sich auch keine Antworten auf den heutigen Umgang mit Traditionen. Diesen seismographischen Spürsinn versuche ich an der Hochschule zu vermitteln und würde mir wünschen, dass der Diskurs auf breiter Basis geführt wird.
Corbett: Mir ist die performative Ebene sehr wichtig. Ich würde mir wünschen, dass unser Masterprogramm in den performativen Alltag der Hochschule hineinwächst, dass sich der Umgang mit diesen Inhalten ausbreitet und damit auch ein größeres Bewusstsein für die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit der Zeitgenossenschaft.