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Zusammenstöße mit dem Unerwarteten

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Die HMTMH erprobt neue Lehr- und Lernkonzepte
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Ein Musikstudium ist traditionell eine disziplinierte und hochspezialisierte Angelegenheit: In zahllosen Stunden in Übungsräumen und im Einzelunterricht wird unermüdlich am technischen Handwerk und der Beherrschung des Instruments (oder der Stimme) gefeilt und ein wachsendes Repertoire erarbeitet. Dies ist ein notwendiger und langjähriger, rigider, oft einsamer, bisweilen auch hermetischer Prozess. Der eng getaktete Hochschulbetrieb im stark modularisierten Bologna-System begünstigt zudem oft eine weitere Einengung und eine Formalisierung der Ausbildung.

Zugleich wird aber auch der Ruf nach mehr Interaktion, mehr Interdisziplinarität, mehr Kooperation immer lauter. An der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover (HMTMH) versucht man daher, die etablierten Formen der klassischen Lehre durch neue, kreative Formate zu ergänzen, in denen das Spielerische und Experimentelle mehr Raum bekommen.

„Erstrebte Perfektion am Instrument ist nicht die Essenz des Musizierens, sondern allenfalls eine hilfreiche Voraussetzung, die man lernen muss. Wichtig scheint mir aber auch eine künstlerisch ganzheitliche Entwicklung und die Fähigkeit zur rastlosen Neugierde“, sagt Prof. Oliver Wille, Vizepräsident Kunst an der HMTMH. „Wir können uns hier, zum Beispiel durch den Zusammenstoß mit Unbekanntem und Unerwartetem, für Einflüsse aus allen Bereichen der Kunst und der Gesellschaft öffnen, und wenn wir hiervon überzeugt sind, dann ist es nur sinnvoll, unseren Studierenden auch neue Freiräume zu öffnen.“

Die Kreativwerkstatt: Colourful Box

Eines der neuen Formate der HMTMH ist die Colourful Box. In diesem unkonventionellen Arbeits-, Lern- und Experimentierformat treffen Studierende verschiedener Studiengänge, Instrumente, Fächer und Genres aufeinander, nähern sich den vielfältigen Künsten auf kreative Art und arbeiten spontan und individuell, um voneinander und miteinander zu lernen.

Für jede Ausgabe der Colourful Box werden ein bis zwei Gäste aus unterschiedlichen Feldern der Kunst für drei Tage an die Hochschule eingeladen. Statt um Einzelunterricht geht es um Austausch: Die Gäste vermitteln in Vorträgen nicht nur ihre eigenen künstlerischen Arbeitsweisen, sondern arbeiten mit Studierenden und Lehrenden in offenen Workshops, Sessions und Meisterkursen zusammen, um innerhalb eines engen zeitlichen Rahmens gemeinsam neue Kunst zu produzieren – ohne Vorgaben, mit offenem Ende. Die Colourful Box ist ein Reallabor, in dem auf externe Einflüsse und künstlerische Kollisionen gesetzt wird und kreative Reaktionen freigesetzt werden sollen. Der Name des Formats ist eine bewusste Abgrenzung vom Konzept der Black Box: Da die Veranstaltungen allen Angehörigen der Hochschule offenstehen, also eine hohe Transparenz im kollaborativen Schaffensprozess gegeben ist, und zudem eine bunte Mischung unterschiedlicher Einflüsse angestrebt wird, hat sich stattdessen der Begriff Colourful Box etabliert.

In den bisher vier Ausgaben der Colourful Box waren die Violinistin Ana Chumachenco, der Violinist Donald Weilerstein, der Pianist und Musikwissenschaftler Robert D. Levin, die Autorin Eleonore Büning, der Klarinettist und Komponist Jörg Widmann, der Violinist und Kammermusikpädagoge Eberhard Feltz und im November 2022 schließlich der Komponist und Filmemacher Thierry De Mey und die Tänzerin und Choreographin Manuela Rastaldi an der HMTMH, um mit den Studierenden der Hochschule zu arbeiten. Als nächster hochkarätiger Gast hat sich die Violinistin Midori angesagt.

Die Masterclass als Blind Date: #Seitensprünge

Ein anderes Format, das an der Hochschule gerade in die Erprobung gegangen ist, heißt #Seitensprünge: Lehrende treffen in Meisterkursen auf Studierende aus anderen Disziplinen. Auch hier geht es um spannende Zusammenstöße und unerwartete Erkenntnisse: Was passiert, wenn sich Lehrende oder Studierende außerhalb ihres gewohnten Instrumentes oder ihrer gewohnten Klasse bewegen? Können Pianistinnen einen Meisterkurs für Horn geben? Können Studierende der Trompete auch von einem Cellolehrer etwas für das eigene Musizieren lernen?

Bei den Seitensprüngen geht es für beide Seiten, die Studierenden wie die Lehrenden, darum, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken. Im besten Falle lernen beide Seiten voneinander. Und da man auch beim Zuhören etwas lernen kann, finden die #Seitensprünge öffentlich statt und werden im Veranstaltungskalender der Hochschule angekündigt.

Konzertierte Aktion: Das Ad-hoc-Orchester

Die Idee des Ad-hoc-Orchesters wiederum kommt ursprünglich aus den USA und verfolgt einen solidarischen Ansatz: Studierende erhalten von der Hochschule die notwendigen Ressourcen und Logistik gestellt, um kurzfristig ein eigenes Orchesterprojekt auf die Beine zu stellen. Hier geht es zum einen darum, den Instrument-Studierenden die Möglichkeit zu geben, ihre Solokonzerte, die sie im Einzelunterricht lernen, einmal mit einem Orchester zu spielen. Andererseits sollen Dirigier-Studierende mehr Möglichkeiten erhalten, mit einem Orchester zu arbeiten. Angehörige des Ad-hoc-Orchesters können sich als Solistin oder Solist mit einem Wunschstück bewerben, ebenso Dirigier-Studierende. Es werden zwei Paarungen ausgelost, die dann in kurzer Zeit mit dem Orchester ein öffentliches Konzert vorbereiten. Abgesehen davon, dass die Studierenden auf diese Weise mehr Orchester-Erfahrung sammeln können, kann theoretisch jedes Orchester-Mitglied beim nächsten Konzert selbst als Solist ausgewählt werden. So unterstützt man andere und bekommt mit etwas Glück auch Unterstützung für sein eigenes Projekt.

Lehre auf mehreren Schultern: Team Teaching

Die klassische Musik-Ausbildung an Hochschulen ist vor allem geprägt durch den Einzelunterricht. Auf diese Weise entstehen sehr intensive, nachhaltige künstlerische Prägungen. Das bewährte und in bestimmten Lebensphasen auch wichtige Klassenmodell wird an der HMTMH nun durch kooperative Team-Teaching-Ansätze erweitert, bei denen ein Team aus unterschiedlichen Lehrenden der Hochschule und international anerkannten externen Künstlerinnen und Künstlern mit den Studierenden arbeiten. Einerseits erfordert dies auf der Seite der Studierenden bereits reife und gefestigte Persönlichkeiten, andererseits können diese von einer offenen Unterrichtsatmosphäre profitieren, in der ein vielfältiges Bild unterschiedlicher künstlerischer Ansätze vermittelt wird.

Aktuell setzt die HMTMH diesen Ansatz in ihrer Violoncello-Abteilung um: Unter dem Titel „Maestri-Master“ kommen in den kommenden zwei Jahren renommierte Cellistinnen und Cellisten nach Hannover, um in individuellen Unterrichtsblöcken die Masterstudierenden auszubilden. Die Studierenden profitieren von den unterschiedlichen künstlerischen Persönlichkeiten und Handschriften ihrer Lehrenden. Hierfür konnten bereits bekannte Namen wie Harriet Krijgh, Mario Brunello, Philippe Mueller, Paolo Pandolfo, Alexander Rudin und Vashti Hunter gewonnen werden, die in regelmäßigen Abständen ihre gemeinsame Klasse betreuen werden.

Ein Masterplan für 2030

Verankert sind diese neuen Lern- und Lehrkonzepte im „Masterplan 2030“, den die Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover in diesem Jahr verabschiedet hat. Hierin hat die HMTMH ein Zielbild entworfen, was für eine Hochschule sie sein und vor allem werden möchte.
„Die Gesellschaft ist in rasantem Wandel. Die Hochschule, die wir heute sind, kann nicht in ihrem Status quo verharren. Wir müssen und wollen uns weiterentwickeln, denn als Hochschule haben wir den Anspruch, dass von unseren Lehrenden und Studierenden wichtige Impulse für die Gesellschaft ausgehen. Mit dem Masterplan haben wir hierfür einen strategischen Rahmen geschaffen, der nun konkretisiert und weiterentwickelt wird“, betont Prof. Dr. Susanne Rode-Breymann, Präsidentin der Hochschule.

Die neuen Formate sind nur ein kleiner Ausschnitt dieses Masterplans. Vielfach sind sie noch in der Erprobung. „Wenn wir Räume zum Experimentieren schaffen, liegt es in der Natur der Sache, dass auch diese Räume selbst zunächst Experiment sind. Wir werden sehen, was sich bewährt und verstetigt werden kann“, so Oliver Wille. Keines der Formate solle die klassischen Formen der Ausbildung ersetzen. „Wir zielen in der künstlerischen Ausbildung weiter auf Exzellenz, denn darin sind wir gut, aber wir sind der festen Überzeugung, dass die klassische Ausbildung nur gewinnen kann, wenn die Studierenden dabei neue Perspektiven entwickeln und ihr Sensorium erweitern. Das gibt übrigens auch uns Lehrenden viel mehr, mit dem wir arbeiten können.“

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