Schon Anfang des 19. Jahrhunderts erregte Johann Bernhard Logier (1777–1846) großes Aufsehen durch seine Methode des Klaviergruppenunterrichts: 30 bis 40 Klavierschüler auf mehreren Klavieren – heute wäre das Klavierklassenunterricht. Damals wie heute lag das Thema Gruppenmusizieren europaweit in der Luft und es entbrannten heftige Diskussionen.
So kritisierten die Gegner das „statische“, auf Technik getrimmte Zusammenspiel der Schüler, die dadurch nur einen „rauhen, gemeinen Anschlag und Vortrag“ entwickelten. Ebenso wurde die Vernachlässigung der individuellen Anlagen der Schüler durch den Gruppenunterricht beanstandet. Dem setzten die Verteidiger der Methode entgegen, dass die Schüler selbstverständlich „in einzelnen Nebenlectionen von einem Hülfslehrer“ unterrichtet würden – galt also schon damals die Regel „Kein Gruppenunterricht ohne Einzelunterricht und umgekehrt“? Als weitere Argumente benannten die Befürworter schon damals den großen Nutzen in dem frühen „gemeinschaftlichen Zusammenspiel“, in der „Harmonie des Ganzen“, die sich wiederum auf das „Gefühlsvermögen“ der Schüler auswirke, und in der Motivation durch die klangliche Fülle, die die einfache Etüde zum „Conzert“ aufwerten würde. Auch seien Kinder „gesellige Wesen“, und so sei es im Gruppenunterricht dem Kinde nur „wohl“, es sei „fröhlich und geistig aufgeregt, wo es sich in der Gesellschaft mehrerer seines Gleichen befindet; hingegen fühlt es sich beengt, es ist nicht heiter und geweckt, vielmehr unachtsam, zerstreut, ja geistig todt möchte man sagen, wo es aus seiner Umgebung herausgerissen, einem Studium sich widmen soll, dessen Anfangspunkte so wenig seinem unentwickelten Denkvermögen, als der Fortgang seinem naturgemäßen geistigen Entwicklungsvermögen angepaßt ist.“
Wetteifer der Schüler
Logier selbst sah die Vorteile dieses Gruppenunterrichts im positiven Einfluss auf die Ausbildung des Taktgefühls, in der rhythmischen Präzision, im ständigen Aufeinander-Hören, in einer Verbesserung des häusliche Übens und der Befolgung der Anweisungen des Lehrers, in der größeren Motivation durch den „Wetteifer der Schüler“ und die freudige Erwartung des Zusammenspiels, was so im Einzelunterricht allein nicht zu erreichen sei. Individuelle Förderung sei dennoch möglich, weil seine Unterrichtsmaterialien so gestaltet seien, dass Schüler bei schnellerem Fortschritt einfach aus einem anderen, schwereren Etüdenband mit den Schülern, die noch aus dem einfachen ersten Band spielten, zusammenspielen oder die Solopartien in den Werken übernehmen könnten.
Bei Logier wurde auch Harmonielehre und Generalbass in Gruppen unterrichtet. 1839 rief John Pyke Hullah (1812–1884) als Novum Gesangsklassen ins Leben, in denen „einfache Menschen zum Vom-Blatt-Singen erzogen“ werden sollten (siehe die musikalische Breitenarbeit und Projekte wie Prima Canta). Auch Carl Gottlieb Hering (1766–1853) entwickelte 1820 schulischen Gesangsund Klaviergruppenunterricht sowie Gruppenunterricht mit der Kombination von Klavier- und Violinspielern. Es gab also hier schon neben altersheterogenen auch instrumentenheterogene Gruppen. Damals wie heute wurden spezielle, nach Schülerfortschritt kombinierbare Unterrichtsmaterialien entwickelt: zum Beispiel schrieb Logier neben Hering und anderen selbst vier Bände Etüden für den Gruppenunterricht. Ebenso unterrichteten Friedrich Wieck (1785–1873) und Franz Liszt (1811–1886) ihre Schüler teilweise in Gruppen.
Zeit der Reformpädagogik
Die Zeit der Reformpädagogik, allen voran Fritz Jöde (1887–1970), griff den Gedanken des Gruppenunterrichts wieder auf. Margit Varró (1881–1978) behandelte das Thema 1929 mit denselben Argumenten in „Der lebendige Klavierunterricht“ und bezeichnete den Gruppenunterricht als „die günstige Form der Unterweisung von Anfängern“. 1933 erschienen als Neuheit unter den Unterrichtsmaterialien „The Victor Method of Class Instruction“. Im weitesten Sinne sind auch die 1937 von Paul Hindemith (1895–1963) als Freizeit veranstalteten Plöner Musiktage eine Form des Klassenmusizierens. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde schon 1949 etwa von Walter Roehr, Willi Hillemann und anderen das Thema Klaviergruppenunterricht wieder aufgegriffen. 1975 untersuchte der Kongress „Instrumentaler und vokaler Gruppenunterricht in Musikschulen“ das Thema auf Bundesebene, und Klaus Runze, Peter Heilbut, Lili Kroe-ber-Asche und Guido Waldmann, um nur einige zu nennen, bauten es aus. Seit den 90er-Jahren etablierte sich Gruppenunterricht im Instrumentalunterricht (auch kombiniert mit Einzelunterricht) für jedes Alter, verschiedene Gruppenstärken und alle Instrumente – auch gemischt. Beim Klassenmusizieren an den Schulen haben sich meist Monokulturen wie Bläser-, Streicher-, Gitarren-, Percussion-, Akkordeon-, Mundharmonika-, Blockflöten-, Monochord-, Klavier-, Sing-, Tanz- und Bewegungs-Klassen, aber auch Klassen mit ganz offenen instrumentalen und vokalen Besetzungen entwickelt, teilweise auch mit einem instrumentalen Gruppen- oder Einzelunterricht kombiniert. Der Widerstand in den Köpfen ist anscheinend geblieben, und eine Vernetzung von Instrumentalpädagogik und Schulmusik wird gefordert.
Verschiedene Bildungsoffensiven initiierten in den letzten Jahren unterschiedliche auf Gruppenunterricht ausgelegte Projekte: 2007 startete JeKi „Jedem Kind sein Instrument“ und in Analogie JeKiss „Jedem Kind seine Stimme“. Außerdem gibt es Prima Canta, Mukis „Musikbetonte Grundschule“, MoMo „Monheimer Modell“, „Musikland Niedersachsen“ und viele weitere. Alle setzen in der Grundschule an und wählen als Unterrichtsform Gruppenunterricht. Zusätzlich gibt es schon seit langem die Projekte, die Kinder im Vorschulalter versorgen. Musikgarten als Gruppenunterrichtsmodell für Kinder von null bis vier Jahren steht inzwischen für viele unterschiedliche Konzepte mit ähnlichem Namen, die das Eltern-Kind-Musizieren betreffen, besonders seit das Kleinkind zur Marketingzielgruppe wurde und viele Eltern das Singen und Musizieren verlernten. Ziel der Projekte ist, allen Kindern schon zeitig ein musikalisches und instrumentales Bildungsangebot zu bieten. Der auf die Gegebenheiten vor Ort abgestimmte individuelle Weg ist dabei der erfolgreichste.
Organisatorisch sind diese Angebote mit dem regulären Musikunterricht verknüpft und setzen auf eine intensive Zusammenarbeit von Instrumental- und Schulmusiklehrern. Sie wollen bei jedem Kind sowohl eine elementare, ganzheitliche Musikalisierung erreichen, als auch musikalische Kompetenzen und Transferfähigkeit aufbauen, die einen lebenslangen Zugang zu Musik eröffnen sollen. Es bleibt offen, inwieweit alle diese Konzepte künstlerische Aspekte und das Musizieren als Eigenzweck mit berücksichtigen und ob dieses und die Qualität nicht hinter allen kognitiven und Transfereffekten sowie dem reinen Aktionismus zurückbleiben. Die Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte und eine vielseitige Auswahl von Unterrichtsmaterialien müssen bereits fertig entwickelt vorliegen, bevor der Unterricht stattfindet, sonst handelt es sich um Versuchsreihen mit Kindern, dem sensibelsten Teil unserer Gesellschaft, mit unabsehbaren Folgen. Da stellt sich die Frage, ob nicht hier schon aus ethischen Gründen eine Art Zulassungsverfahren für solche Unterrichtskonzepte überlegt werden sollte.
Besonnenes pädagogisches Handeln der Verantwortlichen ohne Kreativitätsbremse von Bedenkenträgern muss hier vor öffentlichkeitswirksamem Aktionismus stehen. Sind Gruppenunterricht und Klassenmusizieren nun Methoden oder Unterrichtsformen? Nehmen wir Gruppenunterricht als Unterrichtsform, dann handelt es sich um eine nicht festgelegte Mehrzahl von Schülern mit Lehrer(n), die mit individuell angemessenen Methoden Lerninhalte vermitteln. „Gruppe“ können wir als „unbestimmte Anzahl von Menschen, die in persönlichem Kontakt stehen, gemeinsame Normen und verbindende Symbole besitzen“, definieren, und „Klasse“ im allgemeinen Sinne als „Gruppe“. Folglich ist Klassenmusizieren auch eine Form von Gruppenunterricht, genauer könnte wegen der Klassengröße „Großgruppenunterricht“ gesagt werden. Es bleibt noch Gruppenarbeit im Zusammenhang mit Gruppenunterricht zu klären: Gruppenarbeit ist keine Unterrichtsform, sondern eine Methode, die vornehmlich bei Großgruppen zum Einsatz kommt. Dasselbe gilt für Partnerarbeit, hier lösen Schülerpaare bestimmte Aufgaben.
Vor- und Nachteile sowie Probleme des Gruppenunterrichts sind meist projektorientiert, werden aber wie vor 200 Jahren mehr emotional als konstruktiv diskutiert. Statt Desinteresse und Angst vor Kompetenzmangel sollte die ständig wachsende Fülle der Methoden sowie der didaktischen und pädagogischen Mittel gerade heute durch Neugier und Interesse den Pädagogen auf den Weg locken, um dies mit Freude zu erkunden: Es gilt, nur die situativen Vorteile der Unterrichtsformen Einzelunterricht und Gruppenunterricht abzuwägen und nicht, sie gegeneinander auszuspielen. Desgleichen sollte zu jeder Zeit neu entschieden werden, welche Form für jeden Schüler die momentan richtige ist. Dies muss Teil des Konzepts sein, und es darf keine Festlegungen auf Instrumente wider die erst zu erkundenden eigenen Klang-/Instrumentenvorlieben der Schüler stattfinden. Solche Nachteile können durch eine saubere Projektplanung ausgeschlossen werden.
Nur wenn wir ausschließen, dass Gruppenunterricht als Entertainmentveranstaltung, als Versuch, die Schüler mit Lieblingssongs zu bedienen, verstanden, als blinder Aktionismus missbraucht, auf beiden Seiten als lustloses Muss empfunden oder als Sparmaßnahme begriffen wird, dann lassen sich lustvolle, kontinuierliche Musikalisierungsprozesse bei allen Schülern in Gang setzen. Kreativität, das so oft gepriesene Kind im Lehrer, entwicklungspsychologische Kenntnisse, sensibles Einfühlungsvermögen und eben die Vielfalt der Methoden und didaktischen Mittel lassen den Lehrenden und die Schüler jede Stunde mit Freude erleben. Gehen wir davon aus, dass die Unterrichtsformen Einzelunterricht und Gruppenunterricht jede für sich und auch in Kombination die grundlegenden Unterrichtsformen des Instrumental-/Vokalunterrichts sind, dann müssen die diesen Unterrichtsformen eigenen Methoden und didaktischen Mittel in die jeweiligen Projektkonzepte mit den jeweilig unterschiedlichen Gruppenunterrichtsformen und dann in die jeweiligen individuellen Situationen der Unterrichtsstunden eingearbeitet werden.
Gruppe und Methodenwahl
Erfolgreiche Projekte haben immer gut ausgearbeitete, individuelle und vor allem auf die Bedingungen vor Ort abgestimmte Konzepte, sind also nie 1:1 übertragbar. Immer dann, wenn Lerninhalte individuell, nach sozialen Aspekten, mit verschiedenen Schwierigkeitsgraden oder Ähnlichem vermittelt werden sollen, gilt: je größer die Gruppe ist, desto mehr kann durch geschickte Aufgabenverteilung und durch Anwendung der Methoden Gruppen- und Partnerarbeit individuelle Vermittlung von Lehrstoff und individuelle Arbeit mit dem einzelnen Schüler ermöglicht werden. Dem Schüler werden hierbei gleichzeitig Selbstständigkeit und Interaktion abverlangt – Aufgaben, die die Motivation erhöhen. So sind zum Beispiel drohende Probleme durch Konkurrenz und unterschiedliche Begabungen oder Gruppenlernrhythmus versus individuellem Lernrhythmus keine Probleme des Gruppenunterrichts, sondern Probleme der Methodenwahl und der didaktischen Mittel.
Qualität von Gruppenunterricht hängt also nicht vom Talent des Lehrers ab, sondern von seiner Methoden- und Sozialkompetenz sowie von Größe und Inhalt seines didaktisch-pädagogischen Handwerkskastens, ganz besonders aber von seiner Fähigkeit, diesen sowie sein Wissen und seine Fähigkeiten kreativ und in den unterschiedlichsten Situationen im Gruppenunterricht einzusetzen. Ausgezeichnete Unterrichtsplanung – also Vor- und Nachbereitung – führt hier zum Erfolg und gibt Sicherheit auch für situativ spontane Lösungen. Ferner spielen bestimmte Fähigkeiten des Lehrenden, wie etwa Vorbildlichkeit beim Musizieren und im Umgang mit Anderen, Motivation zum Musizieren auf hohem Niveau, gute Beobachtungsgabe, Konsequenz im Handeln, Umgang mit Konflikten und Frustration, Toleranz und Empathie, Kooperationsfähigkeit und nicht zuletzt die persönliche Einstellung eine entscheidende Rolle.
Handlungs- und schülerorientiert muss zusätzlich zu den uns allen bekannten instrumentenspezifischen Techniken, künstlerischen Ausdrucksformen und den musiktheoretischen, musikgeschichtlichen und analytischen Lehrinhalten unter anderem auch dies gefördert werden: die Entwicklung schöpferischer Potentiale, das Verstehen musikalischer Strukturen, eine entsprechende Klangvorstellung, die Erzeugung musikalischen Denkens, soziales Lernen sowie Persönlichkeitsentwicklung und -stärkung. Guter Gruppenunterricht hängt allerdings auch von den Kollegen und ihren Vernetzungsmöglichkeiten vor Ort, von guten räumlichen Gegebenheiten und Unterrichtsausstattungen ab. Ein motivierter Kollege mit der Fähigkeit, aus dem „einfach nur Musikmachen-Wollen“ die Lust und damit die Motivation zu nachhaltigem Musizieren auf hohem Niveau erwachsen zu lassen, sowie viele Kinder oder eine Klasse machen noch keinen guten Gruppenunterricht. Musikschulen/Schulen müssen selbst erst das Umfeld, die Infrastruktur, aber auch die nötige organisatorische Unterstützung schaffen, in dem dann die oben beschriebenen Lehrer erfolgreich guten Gruppenunterricht leisten können.
Auch von den Hochschulen kann hier Unterstützung kommen: Eine Vernetzung der Studiengänge Instrumental-/Vokal- und Schulmusik, zumindest in den gruppenunterrichtsrelevanten Fächern, also in den Methodiken der Instrumental- und Vokalfächer sowie der Chor- und Ensembleleitung, brächte Vorteile. Zugleich sollten Lehrangebote mit den Inhalten Gehörbildung und Klangvorstellung, Arrangieren, Improvisieren, Komponieren, Musiktheorie und Musikgeschichte die methodischen und didaktischen Aspekte der Vermittlung stärker berücksichtigen. Ebenso sollte verstärkt ein fächerübergreifendes Lehrangebot zum Studium von Unterrichtsmaterialien, zur Sensibilisierung der Kommunikation Lehrer-Schüler, zu sozialem Lernen und entwicklungspsychologischen Aspekten im Gruppenunterricht sowie zur Methodenvielfalt angeboten werden. All dies und eine politisch unterstützte Wertschätzung des Musikpädagogen – statt der Selbstverständlichkeit seines Tuns – helfen ihm, durch Musikunterricht ein gutes Fundament zu legen. Musikalische Bildung ist nicht nur Menschenrecht. Vielmehr bereitet sie in der lebenslangen Vernetzung mit Schule, Beruf und Freizeit den Boden auch für die nächsten Generationen. Gruppenunterricht kann hier einen wichtigen Beitrag leisten.