Jasmin Eickholt schreibt mit ihren Patienten Lieder. Sie ist nicht die einzige und erste Musiktherapeutin, die über Therapeutisches Songwriting versucht, Depressionen zu lindern und über Lebenskrisen hinwegzuhelfen. Doch allzu oft wird diese Methode noch nicht angewandt. Ganz neu ist die Verknüpfung von Therapeutischem Songwriting mit Positiver Psychologie. Darüber forscht die 33-jährige Dozentin aus Würzburg aktuell an der Universität im australischen Melbourne.
In vielen Altenheimen und Betreuungsgruppen wird hierzulande mit alten Menschen gesungen. Meist Volkslieder, manchmal auch Schlager aus den Goldenen 1920er- oder aus den späten 40er-Jahren. Dass alte Menschen selbst Instrumente spielen dürfen, ist mangels Ausstattung in den Einrichtungen schon seltener.
Noch seltener kommt es vor, dass Patienten das, was sie fühlen, worauf sie hoffen, was sie fürchten, wonach sie sich sehnen und woran sie sich erfreuen, sowohl durch einen Text als auch durch Musik ausdrücken können. Dabei ist diese Kombination therapeutisch ideal. Eickholt: „Während in der Erstellung der Lyrik Themen erarbeitet werden, kann die Musik die Bedeutung und emotionale Dimension des Textes intensiviert vermitteln.“
Natürlich wird die Seniorin im Pflegeheim durch den Kontakt zur Musiktherapeutin nicht über Nacht zur Liedermacherin. Die Kunst beim Therapeutischen Songwriting besteht laut Jasmin Eickholt darin, die Patienten so zu unterstützen, dass sie auch dann ein Lied kreieren können, wenn sie wenig Wissen darüber haben, wie Lieder aufgebaut sind. Therapeutisches Songwriting funktioniert auch dann, wenn ein Mensch noch nie in seinem Leben ein Notenblatt in der Hand gehabt hat. Wenn er keine Noten lesen kann und wenn ihm Begriffe wie „Akkorde“ oder „Motive“ völlig fremd sind.
Beim Therapeutischen Songwriting geht es zunächst darum, herauszufinden, was einen Patienten bewegt. Davon soll das Lied handeln. Jasmin Eickholt kreierte beispielsweise einmal mit einer alten Dame ein Lied über den verstorbenen Hund Bridget. Mit einer Jugendlichen, die im Alter von drei Jahren die erhängte Mutter fand und in die Psychiatrie kam, weil sie nicht mehr leben wollte, schuf sie einen Song über die Mutter. Lange arbeiteten die beiden an dem Text. Erst dominierte der Schmerz. Der unüberwindbare Verlust. Die Unmöglichkeit, zu verstehen: Warum hat sie das getan?
In der letzten Strophe, die am Ende des Therapieprozesses entstand, war der Schmerz zwar nicht weg. Aber ein Reimwort verdeutlichte, dass die Jugendliche nun imstande war, den Blick von der Verzweiflung wegzulenken. Zum „Schmerz“ reimte sie nun das „Herz“, in dem ihre Mutter weiterlebt.
Jasmin Eickholts Dissertation über das in die Positive Psychologie eingebettete Therapeutische Songwriting entsteht innerhalb des deutsch-australischen „Dementia Songwriting Projekts“. Dabei kooperieren die Universität Melbourne und die Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt. Basis von Eickholts Promotion sind die Erkenntnisse der australischen Musiktherapeutin Felicity Baker über das Therapeutische Songwriting.
Der Begriff „Positive Psychologie“ wurde 1954 von dem US-amerikanischen Psychologen Abraham Maslow eingeführt. Allerdings geriet er bald wieder in Vergessenheit. Martin Seligman, der davon überzeugt ist, dass sich Optimismus lernen lässt, brachte ihn vor zwanzig Jahren neuerlich auf. Von Seligman stammt auch die sogenannte „Perma“-Formel. Hinter den fünf englischen Worten stehen die deutschen Übersetzungen „Positive Gefühle“, „Engagement“, „Beziehungen“, „Sinn“ und „Erfolg“. Außerdem machte Martin Seligman die Übung „Three good things“ populär. Die zielt darauf ab, schöne Kleinigkeiten, die der Alltag beschert, bewusst wahrzunehmen.
„Es geht insgesamt darum, nicht mehr die Krankheit in den Fokus zu stellen“, betont Jasmin Eickholt. In der Therapie solle vielmehr versucht werden, Wohlgefühl bei den Patienten zu erzeugen. Fallen der an Altersdepression erkrankten Patientin nicht vielleicht doch drei gute Sachen ein, die kürzlich passiert sind? Tatsächlich, das tun sie. Die alte Dame hatte einen schönen Austausch mit der Schwägerin gehabt. Der Sohn kam, wie jeden Sonntag, zu Besuch und berichtete, was er im Laufe der Woche alles erlebt hat. Die Enkel besuchten sie und brachten sie mit dem Spruch: „Oma, du gehörst doch noch gar nicht ins Altenheim!“ zum Schmunzeln.
Eickholt ging daran, mit der alten Frau ein Lied über den wöchentlichen Besuch des Sohnes zu schaffen. Ein einfaches, aber sehr einprägsames Lied. Zur Melodie von „Die Gedanken sind frei“ sangen die beiden am Ende der Therapiestunde: „Er kommt an jedem Sonntag, um mir zu erzählen…“
Durch Therapeutisches Songwriting, das in Positive Psychologie eingebettet ist, können nach Eickholts Überzeugung Depressionen gelindert werden. Gegen Depressionen im Alter vorzugehen, sei prinzipiell sehr wichtig: „Denn sie können eine Demenz negativ beeinflussen.“ Eine Demenz wiederum löst nicht selten eine Depression aus.
Laut der Deutschen Depressionshilfe ist die Dimension des Problems „Altersdepression“ beträchtlich. Leichtere Depressionen oder Depressionen, bei denen nicht alle Symptome vorliegen, kämen bei Senioren bis zu drei Mal so häufig vor als im jüngeren Erwachsenenalter. Inwieweit ein Therapeutisches Songwriting, das auf Positiver Psychologie basiert, Depressionen im Alter abmildern oder gar verhüten kann, wird Jasmin Eickholt im kommenden Jahr in einer Pilotstudie untersuchen.