Das Unwort des Jahres 2004 hieß „Humankapital“. Eine sechsköpfige Jury aus Sprachwissenschaftlern in Frankfurt war der Auffassung, das Wort degradiere nicht nur Arbeitskräfte in Betrieben, sondern Menschen überhaupt „zu nur noch ökonomisch interessanten Größen“. Für das Unwort des Jahres 2005 möchte man als Musikjournalist schon im März das Wort „Musikvermittlung“ vorschlagen. Inflationär eingesetzt von Konzertinstitutionen, Hochschulen und selbsternannten Musikvermittlern, steht es inzwischen oft nur noch für das verzweifelte Bemühen im Überangebot mittelmäßiger Konzerte für das Eigene möglichst effektvoll zu trommeln.
Dabei existiert – unabhängig vom modischen Musikvermittlungswahn – seit Jahrzehnten ein Institut für Musikvermittlung: das Institut für Neue Musik und Musikpädagogik in Darmstadt. Vom 30. März bis zum 3. April lädt es zur 59. Arbeitstagung unter dem Thema „Musik inszeniert. Präsentation und Vermittlung zeitgenössischer Musik heute“.
Musikwissenschaftler, Musikpädagogen, Interpreten und Komponisten nähern sich von ihrer jeweiligen Warte aus der „Inszenierung“ von Musik und Konzert. Künstler wie Iva Bittova, Erwin Stache, Markus Schmickler und Thomas Lehn stellen ihre Klangwelten in Aufführungen und Gesprächen vor. Inwieweit sich Vermittlung im Zeitalter von globaler Musikvermarktung unterscheidet, erläutern Beiträge ostasiatischer Musiker.
Die 49. Arbeitstagung des Instituts für Neue Musik und Musikpädagogik löst sich von der Idee eines musikwissenschaftlichen Kongresses im strengen Sinn. Ein neu zusammengesetzter Institutsvorstand richtet in diesem Jahr das Augenmerk nicht länger nur auf hehre Musikpädagogik oder Musikwissenschaft, im Zentrum der jährlichen Arbeitstagung steht nicht länger die einzelne Partitur. Die neue Linie heißt Kontextbildung. Eine Vernetzung aller Veranstaltungen wird angestrebt. Das heißt die Diskussion gewinnt an Bedeutung gegenüber den Vorträgen, es gibt kaum noch parallele Veranstaltungen, und diese sind stärker moderiert als in früheren Tagen. An vier Tagen bilden vier unterschiedliche inhaltliche Gewichtungen die Struktur der Tagung. Tag eins beginnt mit „Prolog Stadtmusik“. An verschiedenen Orten in Darmstadt spricht die Tagung das breite Konzertpublikum an, unter anderem mit Projekten von Katja Erdmann-Rajski und der Versfabrik. Der zweite Tag ist der Theorie und der Praxis der Konzertvermittlung Neuer Musik gewidmet. Tag drei widmet sich dem Zusammenhang „Komponist – Interpret – Werk – Resonanz“ am Beispiel des Werkes von Helmut Lachenmann, der anwesend sein wird. Isabel Mundry, Jörn-Peter Hiekel und Hans-Peter Jahn nähern sich dem „Thema Lachenmann“ auf unterschiedliche Art und Weise. Der Komponist wird sowohl tagsüber als auch beim abendlichen Konzert mit eigenen Werken am Klavier zu hören sein und ist auch bei einer Diskussionsrunde dabei.
Der vierte Tag ist durch zwei sehr konträre Themen geprägt. Am Morgen untersuchen Alexander Schwan und Matthias Kugler (SWR 3) die Inszenierung und Vermarktung von Pop durch die Medien. Ab 14 Uhr bis einschließlich des Abendkonzertes steht das Werk Wolfgang Rihms im „Kontext musikalischer Tradition und des aktuellen Musiklebens“.