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Musikvermittlerinnen, fast unter sich, bei der Deutschen Orchesterkonferenz. Foto: Maren Strehlau
Musikvermittlerinnen, fast unter sich, bei der Deutschen Orchesterkonferenz. Foto: Maren Strehlau
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Da hätte was gehen können …

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Die Deutsche Orchesterkonferenz tagte in Halle zum Thema Musikvermittlung
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Es war voll in der Georg-Friedrich-Händel-Halle in Halle an der Saale: einhundert gefühlte männliche Silberrücken und die andere Hälfte des Saals vornehmlich jung und weiblich. Die meisten Frauen waren gekommen, um am Forum für Musikvermittlung teilzunehmen, während die Herren sich mit Qualitätsmanagement beschäftigten. Eine sichtlich inhaltliche Lücke klaffte im Auditorium der Deutschen Orchesterkonferenz, die zumindest für die Musikvermittlung scheinbar folgenlos verlief.

Thematisch weckte die Einladung der Deutschen Orchestervereinigung gemeinsam mit dem netzwerk junge ohren sehr großes Interesse: „Da geht noch was – Musikvermittlung und Qualitätsmanagement für Rundfunk, Orchester und Konzerthäuser“. Es strömten diesmal nicht nur Orchestermusiker zur Deutschen Orchesterkonferenz, zur Hälfte war ein Großteil der Musikvermittlerinnen aus Deutschland zu Gast, sogar Orchestermanager wagten sich in die Höhle der Orchestervereinigung.

Öffentlich-rechtlicher Rundfunk

Auf den vormittäglichen Podien ging es um die Leistung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten für Kulturelle Bildung und Musikvermittlung – es war eine Überraschung zu hören, dass ein einziger Musikvermittler, Ekkehard Vogler, das ARD-Händel-Experiment in Personalunion stemmt und dass ein weiterer musikvermittelnder Ausbau bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten nicht vorgesehen ist. Dabei plädierten alle Podienteilnehmer durchweg für einen Ausbau der Kulturvermittlung – der Schauspieler und Moderator Malte Arkona fasste zusammen, dass die Musikvermittler einfach besser unterstützt werden müssten durch die Chefetagen sowie durch eine wesentlich kooperativere Logistik. So könnten viel mehr Kinder in die Konzerthäuser kommen und würden besser erreicht werden. Alle waren sich einig, dass Musikvermittlung als Bereicherungsangebot zum bestehenden Schulmusikunterricht angeboten werden müsse, doch zugleich sahen die Diskussionsteilnehmer allesamt Nacharbeitungsbedarf im Bereich Musikvermittlung: Es herrsche ein Mangel an Geld, Personal und vor allem an Wertschätzung. Ein Desiderat nach Verbesserung der Ressourcen müsse in der Politik formuliert werden, so äußerte sich Sachen-Anhalts Staatsminister für Kultur Rainer Robra. Die Runde war sich einig, dass auch Konzepte sinnvoll seien, hinter denen die Orchestermusiker und Chorsänger engagiert stünden, so dass diese individuell eingebunden werden könnten.

Orchester und Konzerthäuser

Einer, der dies mit Herzblut tut, ist Martin Deuring vom Vorarlberger Sinfonieorchester. Mit seinem Ensemble „Die Schurken“ gibt er seit vielen Jahren schon keine Repertoire-Vorstellungen mehr für Kinder, sondern er setzt sich mit seinen Kollegen ein für hemmungslose Arrangements, auch, wenn die „Bach-Polizei“ kommt. Warum nicht Bach mit Akkordeon und Trompete spielen, warum nicht Experimente machen, um die Herzen der Menschen musikalisch zu erreichen? Beim Chefdirigent des Philharmonischen Staatsorchester Mainz, Hermann Bäumer, ist die Musikvermittlung faktisch in die DNA eingeschrieben. Es sei wichtig, die Musik mit den Menschen der Stadt zu vernetzen und Generationen mit guter Musik zu verbinden. Große Kunst begeisterte jeden, so der Dirigent, der seit jeher konzertpädagogische Programme für alle anbietet. Die Hornistin der Berliner Philharmoniker, Sarah Willis, plädierte für ein Gleichgewicht zwischen Laien und Profis in der Übersetzung von Vermittlungsprojekten in den Exzellenzbetrieb – das würden bei gezielten Programmen auch viele ihrer Musiker-Kollegen verstehen und so im Miteinander die Perfektion auf höchstem Niveau für einen Moment vergessen. Alle waren sich einig, dass es der beste Weg für die Musikvermittlung sei, beständig dabei zu bleiben.

Arbeitsbedingungen

Dass jedoch Enthusiasmus und Ausdauer allein nicht genügen, um Musikvermittlung dauerhaft am Markt der Kulturinstitutionen, der Berufsorchester, Musiktheater, in Städten und Gemeinden zu halten, dies verdeutlichen die Ergebnisse der Umfrage an Musikvermittlerinnen, die Dr. Michael Wimmer vom Institut educult Wien auswertete.

So sieht das Berufsfeld der Musikvermittlung aktuell aus (genauere Daten sind demnächst online auf der Webseite vom Netzwerk Junge Ohren zu lesen): 79 Prozent der Musikvermittler sind weiblich. Nur 2 Prozent der Musikvermittlerinnen sind bis 25 Jahre, die meisten liegen im Alter zwischen 26 und 35 Jahren. Der Jahresverdienst liegt jährlich bei 24.000 Euro brutto in Deutschland, in Österreich bei 30.000 Euro. Das Einkommen wurde in der Befragung durchweg als zu gering im Verhältnis zur erbrachten Leistung erachtet. Laut Wimmer arbeiten die meisten Musikvermittler aus einer sehr hohen intrinsischen Motivation heraus, der Deal sei: überschaubare Arbeitsbedingungen versus Leidenschaft. Aus der Umfrage lese sich, dass andere Arbeitsstrukturen erforderlich seien, man müsse langfristige Strukturen schaffen, nicht zuletzt, um auch den Forderungen der Bildungspolitik nachkommen zu können.

Dies bedeute, die Musikervmittlerinnen bräuchten kulturpolitisch gesehen einen äußerst langen Atem, um eine entsprechende Durchsetzung ihrer Inhalte/Arbeit zu erreichen. Wimmer plädierte an das Auditorium, dass es dringend notwendig sei, die Vertrags- und Arbeitsverhältnisse zu verbessern und sich über dies ein Bewusstsein für Bildungsangebote zu schaffen.

Im Workshopformat-Forum: „Hartes Brot?! Musikvermittlung als Arbeitsfeld“, ging es konstruktiv zu – leider nahmen bis auf wenige Ausnahmen nur Musikvermittlerinnen teil, die Orchestermusiker der Deutschen Orchestervereinigung sahen offensichtlich keine Veranlassung, sich weiter mit diesem Thema zu beschäftigen. An den Roundtables unter fachkundiger Anleitung von Experten trugen die Teilnehmenden folgende Arbeitsfeld-Thesen und Wünsche zusammen:

Die Musikvermittlerinnen können dauerhaft und nachhaltig nur gute Arbeit leisten, wenn die Rahmenbedingungen nicht nur wertschätzend, sondern auch langfristig in verbindlichen Strukturen organisiert würden: Planungssicherheit, vollständige künstlerische Einbindung, Budgetverantwortung, ordentliche, tarifrechtlich verankerte Honorare, menschliche Arbeitspensen, verbesserte Vertragsverhältnisse, Aufstockung von Teams, Unterstützung aus den jeweiligen Kultureinrichtungen stellen zentrale Punkte des Arbeitsfeldes Musikvermittlung dar. Diese sorgfältig erarbeiteten und in einer verifizierten Umfrage festgestellten Thesen spiegeln einige der wesentlichen Bedingungen wieder, um das Feld der Musikvermittlung langfristig auszubauen und dem Ruf nach immer mehr kultureller Bildung nachhaltig gerecht zu werden.

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Die Konklusionen aus Umfrage sowie Forum wurden durch die Geschäftsführerin des netzwerk junge ohren, Lydia Grün, an die Deutsche Orchestervereinigung und die Deutsche Orchesterkonferenz formuliert. Die verhaltene, geradezu ausbleibende Resonanz darauf wirft die Frage auf: Liegt die Zukunft der Musikvermittlung den Rundfunkanstalten, Konzerthäusern und Orchestern wirklich am Herzen? Es hätte kaum deprimierender wirken können. Oder ist es einfach nur schön, genügt es, dass man einmal öffentlich darüber gesprochen hat? Der Zustand der Musikvermittlung ist mangelhaft und unterstützenswürdig. Möglicherweise braucht es noch ein wenig, bis dieser in die Köpfe der Entscheidungsträger, in die Kulturorganisationen sowie in die Bildung- und Kulturpolitik gelangt? Musikvermittlung – quo vadis? Qui cum tibi vis in via? Mit wem gehst du?

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