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Individueller Dialog: Lars Vogt in einer Berliner Schulklasse. Foto: Boris Streubel
Individueller Dialog: Lars Vogt in einer Berliner Schulklasse. Foto: Boris Streubel
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Das auslösende Feuer muss die Emotion sein

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Der Pianist und Musikvermittler Lars Vogt im Gespräch mit nmz-Redakteurin Barbara Stiller
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Der Pianist Lars Vogt genießt als Solist, Kammermusiker und neuerdings auch als Professor für Klavier an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover internationales Renommée. Verglichen mit seinen Auftrittsorten London, Madrid oder New York mag das beschauliche Örtchen Heimbach in der Eifel weniger bedeutsam erscheinen, doch dieser Eindruck trügt. Im Rahmen des von Lars Vogt gegründeten Festivals „Spannungen“ wurde Heimbach zum Geburtsort von „Rhapsody in School“ (RiS), einem mittlerweile mehrfach ausgezeichneten Schulprojekt, bei dem es sich große Künstlerpersönlichkeiten zur Aufgabe machen, Kindern die Begeisterung für die Musik und ihre Ausdrucksmöglichkeiten zu vermitteln. Barbara Stiller hat Lars Vogt in Hannover getroffen.

neue musikzeitung: Sie sind einer der ganz wenigen Solisten, die es nicht nötig hätten, sich dem weiten Feld der Musikvermittlung zu widmen. Wie kamen Sie dennoch zu „Rhapsody in School“, hatten Sie konkrete Vorbilder dafür?

Lars Vogt: Bei Simon Rattle in Birmingham habe ich zum ersten Mal erlebt, was in Konzerten, aber auch bei Probenbesuchen alles möglich ist. Ich selbst war damals in der Begegnung mit Schülern erst noch ganz befangen, aber Simon Rattle kam herein und war so natürlich und irrsinnig komisch! Es war für die Kinder klasse zu beobachten, dass sich ein Dirigent so unmittelbar auf eine Ebene mit ihnen begibt. Simon hat einen sehr direkten Draht zu Kindern, er kann auf bezaubernde Art auf das Kind in seinem Inneren zurückgreifen. Eine Fähigkeit, die allen Erwachsenen zu wünschen ist.

nmz: Wie und wo entstand konkret Ihre Idee für „Rhapsody in School“?

Vogt: Ausschlaggebend waren Gespräche mit meinen Künstlerkollegen bei meinem Festival in Heimbach. Wir saßen abends beisammen und kamen ins Gespräch darüber, was wir als Kinder in der Schule von unserem Musikunterricht mitgenommen haben. Das war selbst bei uns Künstlern erschütternd wenig – bis hin zu abtörnend. So entstand die Idee für „Rhapsody in School“ mit dem tiefen Gefühl unter den Kollegen, sich viel stärker um die Kinder in den Schulen kümmern zu müssen. Irgendwann habe ich mich hingesetzt, ein Konzept geschrieben und kurz darauf haben wir angefangen, RiS auf zunächst ehrenamtlicher Basis aufzubauen. Sabine von Imhoff und ein kleiner Kreis Engagierter haben das Projekt vorwärts gebracht. Die Künstler sind natürlich alle unentgeltlich dabei.

nmz: Fühlen Sie sich heute noch an Ihre Schulzeit erinnert, wenn Sie eine Schulklasse betreten?

Vogt: Ich glaube, dass sich seit meiner Schulzeit einiges getan hat und meine, beobachten zu können, dass man heute beim schulischen Musikunterricht praktischer herangeht und sich viele vom verschulten, bürgerlichen Bildungsideal ein wenig verabschiedet haben. Bei meinen Schulbesuchen erlebe ich immer wieder Lehrer, die begeistern können und die spritzig sind. Man merkt sofort, dass solche Klassen ganz anders dran sind als solche von Lehrern, die emotional nicht so mitreißen. Das auslösende Feuer muss bei allem, was wir tagtäglich in unserem Beruf als Musiker tun, zunächst einmal die Emotion sein.

nmz: Was steht für Sie bei den Rhapsody-Projekten im Vordergrund? Ist es das einmalige, das für die Kinder einzigartige Erlebnis?

Vogt: Das ist schwer zu sagen; ich komme in manche Klassen und je nach Schule sind es mal mehr, mal weniger Kinder, die musikalische Vorerfahrungen mitbringen. Unabhängig davon habe ich eigentlich immer den Eindruck, dass man Kinder sehr direkt erreichen kann, wenn man emotional mit ihnen spricht. „Schaut mal, wie ein Ton leben kann, von ganz still bis äußerst intensiv und dann bis zum Ersterben. Nur ein einzelner Ton, jetzt hören wir dem einmal nach.“ Diese Faszination, dass ein einziger Ton voller Leben ist, das ist schon ganz toll!

nmz: Nach welchen Kriterien wählen Sie das Programm für ein Rhapsody-Projekt aus?

Vogt: Meine Erfahrung ist die, dass alles geht, egal ob Schönberg oder ein später Beethoven. Allein das Emotionale, das sinnliche Erleben, das Sprechen über Charaktere, über Sinnlichkeit, das ist es, was die Faszination ausmacht. Ich spreche immer über das, was in dem jeweiligen Stück steckt, angefangen bei Liebe und Zartheit bis hin zu abgrundtiefem Hass, Wut, Traurigkeit und Depression. Es ist nicht immer die schöne Welt in der Musik, aber es dauert manchmal ein wenig, bis man es toll findet, sich auch einmal mit den dunkleren Seiten der klassischen Musik und des Menschseins auseinanderzusetzen.

nmz: Wie kommen Sie mit den Kindern ins Gespräch, wenn Sie allein in einer Schulklasse zu Besuch sind?

Vogt: Bei meinem letzten Schulbesuch Anfang Februar in Heilbronn habe ich die Kadenz des c-moll-Konzertes von Beethoven gespielt. Wenn man ein Stück Musik spielt, das einem viel bedeutet, dann ist es völlig egal, ob in der Carnegie Hall oder in einer Schule in Heilbronn. Es ist allein die immense Verantwortung der Musik gegenüber, der wir gerecht werden müssen. Im Anschluss an mein Spiel habe ich den Kindern erzählt, dass ich an einem Filmprojekt teilgenommen habe, bei dem Mediziner nachgestellt haben, was Beethoven aufgrund seiner zunehmenden Taubheitserkrankung zu bestimmten Zeiten seines Lebens wohl noch gehört haben muss. Dies zu erleben, inklusive des eingebauten störenden Tinnitus, hat mich abgrundtief traurig gemacht. Zusammen mit den Kindern habe ich mich sehr ernsthaft darüber auseinandergesetzt, was es beutet, wenn einen solch vitalen Menschen ein solches Schicksal ereilt. Das hat auch die Kinder spürbar ergriffen.

nmz: Wie schaffen Sie es, Ihren prall gefüllten Konzertkalender mit den Schulbesuchen zu koordinieren?

Vogt: In Frau von Imhoff und jetzt auch Alice Heiliger haben wir Koordinatorinnen, die als Schnittstelle zu den Schulen agieren. Sie kennen unsere Pläne und stellen die Kontakte zu den Schulen her. So kann alles so gut wie möglich vorbereitet werden, und die Schulen wissen, was auf sie zukommt. Sieben bis acht Jahre gibt es RiS, und mittlerweile freuen wir uns über mehr Nachfragen, als wir anbieten können. Wir erleben auch seltene Fälle von Musiklehrern, die sagen, „Nö, vielen Dank, ich mach’ das hier schon selber“. Wenn die Künstler schon so etwas machen, dann muss es eine gute Erfahrung werden und sie müssen willkommen sein.

nmz: Können Sie mittlerweile auch Ihre Studierenden für solche Projekte gewinnen?

Vogt: Ja, eigentlich haben alle meine Studenten deutlich signalisiert, dass sie gerne mitmachen. Es ist ja auch eine großartige Erfahrung und man lernt mindestens so viel wie bei „normalen“ Auftritten. Damit es funktioniert, müssen es natürlich charismatische Charaktere sein und ungewöhnlich begabte Studenten, die offensichtlich für die Konzertkarriere infrage kommen. Wir sollten solche Initiativen wie RiS von Beginn an in die künstlerischen Studiengänge integrieren, denn diese Arbeit wird mehr und mehr unser täglich Brot werden. Ich zitiere noch einmal Simon Rattle, der in diesem Bereich Pionierarbeit geleistet hat, indem er sagte, man müsse für die Musik „um jede Seele kämpfen“. Es ging ihm dabei nicht primär darum, dass unsere Konzertsäle leerer werden, das ist eher ein Nebenschauplatz. Vielmehr geht es darum, dass Kinder einen so fantastischen Bereich für ihr weiteres Leben gar nicht adäquat angeboten bekommen. Ich teile Rattles Meinung: Das ist schlichtweg ein Skandal.

nmz: Anders als bei Ihren Konzerten wird bei Ihren Rhapsody-Projekten jedes einzelne Kind zu Ihrem Publikum, das den individuellen Dialog zu Ihnen sucht. Wie empfinden Sie das?

Vogt: Die ganze Tragweite von dem, was Musik alles bedeuten kann, ist so vielen Menschen nie dargebracht worden. Es geht nicht nur darum, dass man sich hinsetzt und sich mal entspannt. Zu wenige dürfen spüren, wie es ist, sich auf eine ganz tiefe Weise selbst erfahren zu können. Wir leben in einer Gesellschaft, in der es zu oft nur um’s Funktionieren geht. Ich appelliere regelrecht an Kinder und Studenten, sich das nicht immer einreden zu lassen. Die Kinder wachsen heute damit auf. Schon früh spüren sie den Druck, funktionieren zu müssen. Es gibt so viele Momente, in denen wir uns nur noch als Rädchen eines Uhrwerks empfinden. Wir müssen uns immer mal wieder das Recht nehmen, auch mal nicht zu funktionieren, nicht zuletzt, um uns in Ruhe fragen zu können: Will ich das eigentlich und wer bin ich eigentlich?

nmz: Haben Sie auch schon einmal Ihre Studenten mit zu einem RiS-Projekt in eine Schulklasse genommen?

Vogt: Studierende habe ich zu eigenen Schulbesuchen noch nicht mitgenommen, aber es haben schon herausragende Studenten selbst bei RiS mitgemacht. Ich finde, jeder sollte seine eigenen Erfahrungen machen, um zu sehen, was auf ihn dabei ganz persönlich zukommt. Jeder, der in eine Schulklasse geht, sollte mit dem Gefühl reingehen, damit glücklich werden zu können. Das tollste ist, das Gespräch zu öffnen und direkt in den Dialog einzutreten. Es geht ganz nah am Alltag der Kinder los, mit Fragen, ob ich Haustiere hätte, was für ein Auto ich fahre und in welchen Ländern ich überall gespielt habe. Erst danach kommt meist die Frage, was mich zur Musik gebracht hat und was mich daran so fasziniert. Oftmals muss ich dann zunächst einmal nachdenken, und so entstehen neue Gespräche, mal hochphilosophisch, mal entlang des ganz normalen Lebens. Ich komme immer ganz glücklich aus den Schulen heraus.

nmz: Existieren in Bezug auf Ihre RiS-Projekte auch Konzepte, wie Sie den vielerorts diskutierten Aspekten von Nachhaltigkeit nachkommen können?

Vogt: Oh Gott ja, dieser Nachhaltigkeitsdiskurs ist mir bestens bekannt. Ich hab schon einmal gefragt, ob es besser wäre, wenn wir es nicht machten … Natürlich wäre es toll, mit RiS zwei- oder dreimal in dieselbe Schule zu gehen. Es ist allein meine Hoffnung, dass selbst das Einmalige hängen bleibt. Die Kinder müssen sich nicht an meinen Namen erinnern, sie sollen lediglich die Möglichkeit erhalten, sich an etwas Begeisterungsfähiges zu erinnern, wenn sie irgendwann einmal ein Stück von Mozart hören. Erfolgreich sind die Genies der direkten Kontaktherstellung, die keine Grenzen überwinden müssen. Wir sind sicherlich nicht die Weltretter, aber wir haben eine künstlerische Energie, ein energetisches Potenzial und viele der Künstler haben ein enormes Charisma, deswegen stehen sie Abend für Abend auf der Bühne. Für jeden Menschen kann es eine Bereicherung sein, diese Persönlichkeiten erleben zu dürfen.

Vogt: Könnten Sie sich zukünftig auch „Rhapsody in Kitas“ vorstellen?

nmz: Ja klar, ich war schon einmal in Hamburg in einem Musikkindergarten. „Rhapsody in Kitas“ muss man sehr unterhaltsam und lustig machen. Auch Kindertagesstätten sind ein schöner Ort, wo es einmal ganz leise und ganz still werden kann. Kleine Kinder können noch so schön wegträumen, sich einfach mal so fallenlassen…

nmz: Machen sich Ihre Studierenden schon Gedanken darum, wie es mit dem traditionellen Konzertleben weitergehen könnte, wenn ab 2020/25 der große demografische Wandel den Rest unseres Bildungsbürgertums aus den Konzertsälen vertrieben hat?

Vogt: Die Studierenden weniger, aber ein bisschen ratlos sind wir ja alle, wie es mit unserem Konzertleben weitergeht. Man versteht es ja nicht, wenn man selbst so ungeheuer fasziniert davon ist, man in einer Beethovensinfonie durchgeschüttelt wird und einen die Emotionen überrollen. Wir sind so begeistert davon und wir leben so intensiv damit, dass es für uns schwer vorstellbar ist, dass die meisten Menschen dazu keinen Kontakt haben. Ich bin auch selbst überfragt und denke, wir müssen Zukunft regelrecht studieren, um den Künstler als Bürger, den „citizen artist“, zu entdecken, zu fördern und in der Gesellschaft zu verankern. „Rhapsody in School“ ist nur ein Beispiel von vielen, das mitten in der Gesellschaft steht und zum Weiterleben der Emotio-nalität beiträgt – und Musik brauchen Menschen schließlich immer.

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