Einen aufrüttelnden Akzent setzte das auf vier Jahre angelegten Projekt Netzwerk Musik Saar mit einer Tagung in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Musik Saar, der Hochschule für Künste Bremen, dem Verband Deutscher Schulmusiker Landesverband Saar sowie dem Netzwerk Neue Musik, einem Förderprojekt der Kulturstiftung des Bundes.
Neben Möglichkeiten, Fortschritten und Potenzialen in der Vermittlung Neuer Musik wurden ebenso Misserfolge und Schwachstellen thematisiert. Ein sehr gelungen konzipiertes Programm bot Vorträge, Workshops, Konzerte, Podiumsdiskussionen und eine öffentliche Probe, die verdeutlichte,
was sich im Kontext der Vermittlung neuer Musik immer mehr heraus kristallisiert: entscheidend ist die pädagogische Virtuosität und Begeisterungsfähigkeit einzelner. Unter der Leitung von Silke Egeler-Wittmann probte eine Schülergruppe des Leininger-Gymnasiums Grünstadt und des Musikgymnasiums Montabaur „face to face“ von Moritz Eggert vor Publikum. Die an die Arbeit ihrer Lehrerin und AG-Leiterin gewöhnten Schüler/-innen ließen sich souverän auf die Anforderungen der Probe ein. Sie experimentierten mit der Stimme, musizierten mit Fön, Fahrradklingel oder Rasierer. Die Perkussionisten des Musikgymnasiums Montabaur ließen sich per Applaus in den Kreis der Akteure bitten, um sich nach wenigen Augenblicken wieder kichernd und unbeholfen im Hintergrund zu verbergen. Sie zeigten ihr Können, als es wieder klare Vorgaben gab.
Neue Musik fordert und fördert von Lehrenden und Lernenden weitaus mehr als musikalische Parameter. Neue Musik stellt Musikunterricht vor neue Herausforderungen und ist nur überzeugungskräftig, überschreiten Musiklehrer/-innen bereitwillig die klassischen Grenzen. Die Tagung in Saarbrücken entfachte aus verschiedenartigen Perspektiven die Diskussion über die Voraussetzungen Neue Musik zugänglich zu vermitteln und verdeutlichte, welcher Stellenwert dieser Kunst zukommt.
Im Eröffnungsvortrag von Prof. Dr. Hendrikje Mautner-Obst über Ansätze zur Vermittlung Neuer Musik nach 1945 wurde unmissverständlich deutlich: vermittelt sich Neue Musik nur schwerlich einem Publikum, dann werden die erforderlichen Vermittlungskonzepte selbst zum Bestandteil der Werke. Zudem wurde der Qualitätsbegriff zeitgenössischer Kompositionen mehrfach hinterfragt und mündete in der provokativen Frage von Gerd Schäfer, Universitätsprofessor für Pädagogik der frühen Kindheit mit dem Schwerpunkt frühkindlicher Bildungsforschung: Was unterscheidet eine Kinderkomposition von einem Werk eines als renommiert geltenden Komponisten?
„Zum Austausch mit Jugendlichen über Neue Musik heute: Wie und wodurch steuert man die Begegnung?“, betitelte Cathy Milliken ihren Workshop und ihr Referat. In mehreren Übungseinheiten gab die Leiterin des Education Programms der Berliner Philharmoniker „Zukunft@BPhil“ Gelegenheit in Kleingruppen den Umgang mit musikalischer Freiheit zu erproben und die Ergebnisse repräsentierten die unterschiedlichen Herangehensweisen. Eine Gruppe brachte schauspielerisch aufwendig gestaltet ein rhythmisch definiertes Zusammenspiel zur Aufführung, eine andere präsentierte ihr ausgetüfteltes Taktgefüge und einige waren offenkundig zum Zeitpunkt der terminlich festgelegten Darbietung noch auf dem Weg zu einem Ergebnis.
Das Resultat einer viertägigen Workshoparbeit der Künstlergruppe „Die Redner“ mit Schüler/-innen gab ein bemerkenswertes Zeugnis, wie sich Talente wecken und bündeln lassen. Das interdisziplinäre Produkt widmete sich thematisch den Auswirkungen des Krieges in Afghanistan. Die Wertschätzung jedes individuellen Beitrages wurde deutlich. „Die Redner“ öffneten Schüler/-innen einen künstlerischen Freiraum, um eigene Ausdrucksformen zu entdecken und zu entwickeln und auf der Klaviatur vorhandener Kompetenzen entstanden beeindruckende verbale, musikalische, filmische oder tänzerische Facetten. Mitbegründer der „Redner“ ist Claas Willeke, Professor für Jazztheorie, Komposition und Improvisation. Er weiß um den Stellenwert Neuer Musik und Improvisation im Rahmen der Musikausbildung. Es fehle an Selbstverständlichkeit im Umgang mit zeitgenössischen Kunstformen.
Auch die Verlegerin Sigrid Konrad beklagt, dass Neue Musik nicht im alltäglichen Schulunterricht vorkomme, sondern zumeist als Projekt ergänzt werde und dann sei Zeitdruck oft der tonangebende Faktor, wenn es abschließend zu einer Aufführung kommen soll. Die Projektleiterin des ‚Netzwerk Saar – Strukturwandel‘ befürwortet ausdrücklich die Arbeit von Komponisten und Profi-Musikern mit Schülern, fragt jedoch mit einem unüberhörbaren Unterton der Empörung, warum es der Vermittlungsprojekte bedarf, Neue Musik in Schulen zu bringen und ergänzt die berechtigte Vermutung, dass so Kinder und Jugendliche erreicht werden, die sich freiwillig nicht mit dem gegenwärtigen Musikgeschehen beschäftigen würden. Diese gelegentlichen Angebote genügen nicht, um Heranwachsenden die Möglichkeit einzuräumen als potentieller Konzertbesucher Darbietungen in einen Kontext einzuordnen. Begeisterung für Neue Musik lässt sich besser teilen als lehren.
Die Tagung richtete sich an alle, die in Schulen, Orchestern oder Opernhäusern in die musikpädagogische Praxis eingebunden sind. Sie richtete sich an ein wissenschaftliches Fachpublikum, an Verantwortliche in Kulturinstitutionen und im Bildungsbereich sowie an Studierende, die sich für Musikvermittlung und Konzertpädagogik interessieren und es war ein ergebnisreiches Wochenende, das sich zu viele haben entgehen lassen, denn es blieb weitestgehend ein Austausch unter Experten, der die Zusammenfassung erlaubt: Es ist ein Kunststück, Neue Musik nicht nur intellektuell zu erfassen, sondern spielerisch zu erobern.