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An den Erfahrungshorizont anknüpfen

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Musik für jedes Alter: Die Konzertreihe der Komischen Oper Berlin
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Eines der beim Berliner „Runden Tisch“ vorgestellten Projekte (siehe unseren Beitrag links) war die Konzertreihe „Musik für jedes Alter“ an der Komischen Oper Berlin. Sie wurde im Winter 1995 auf Initiative des Orchesters und seines damaligen Generalmusikdirektors Yakov Kreizberg ins Leben gerufen. In den vergangenen fünf Spielzeiten hat Andreas Richter 30 Konzerte konzipiert und moderiert. Für die neue musikzeitung erläutert er sein Konzept.

Eines der beim Berliner „Runden Tisch“ vorgestellten Projekte (siehe unseren Beitrag links) war die Konzertreihe „Musik für jedes Alter“ an der Komischen Oper Berlin. Sie wurde im Winter 1995 auf Initiative des Orchesters und seines damaligen Generalmusikdirektors Yakov Kreizberg ins Leben gerufen. In den vergangenen fünf Spielzeiten hat Andreas Richter 30 Konzerte konzipiert und moderiert. Für die neue musikzeitung erläutert er sein Konzept.Die Konzerte finden Sonntagvormittags auf der Bühne statt und sind in der Regel ausverkauft. Die Kartenpreise betragen sechs Mark für Kinder und zwölf Mark für Erwachsene. Für Solistenhonorare steht ein begrenztes Budget zur Verfügung, Orchester und Dirigenten treten im Dienst auf. Wo es möglich und inhaltlich sinnvoll ist, werden Programme an das Opern- oder Konzertrepertoire angebunden, um Probenzeiten zu sparen, aber auch hier steht die kindgerechte Aufbereitung im Vordergrund. Ebenso bewährt hat sich die Zusammenarbeit mit dem Kinderchor der Komischen Oper, mit Kammermusik- und Jazzensembles und mit Solisten des Hauses. Je nach Aufwand können die technischen Möglichkeiten des Hauses mit Beleuchtung, Projektionen, Requisite oder Kostümen eingesetzt werden.

Ich bin überzeugt, dass bei vielen Opernhäusern und Symphoniekonzerten ohne weiteres Familienkonzerte unter ähnlichen Rahmenbedingungen möglich sind, wenn sie nicht schon geschehen. Ein Publikum ist in der Regel vorhanden, dass gerne auch mit Kindern Veranstaltungen besucht und auch die Medien reagieren positiv, so dass nebenbei auch eine Verbesserung des Images erzielt werden kann. Wichtig ist, dass Familienkonzerte mit Ernst und Professionalität angegangen werden und nicht nur als Abfallprodukt von sowieso stattfindenden Konzerten betrachtet werden. Zum Erfolg einer solchen Konzertreihe trägt auch eine aktive Einbindung der Orchestermusiker bei.

Für alle Programme gilt, dass das Publikum durch Fragen und aktives Musizieren am Geschehen beteiligt wird. Musikalische Fakten wie Takt, Rhythmus, Instrumente, Melodieverlauf, Form et cetera werden herausgegriffen und demonstriert, wenn es möglich ist, sie auf Inhalte zu beziehen. Grundgedanke dieser Konzerte ist die didaktische Vermittlung zwischen dem Hörer von heute und einem historischen oder zeitgenössischen Kunstwerk. Als theoretische Grundlage für die Herangehensweise an diese Vermittlungsaufgabe dient die Konzeption der didaktischen Interpretation, die basierend auf der philosophischen Hermeneutik Hans-Georg Gadamers in den letzten Jahrzehnten die musikpädagogische Diskussion bestimmt hat.

Mit Gadamers Werkbegriff – Kunstwerke seien nicht feste, unabänderliche Größen, sondern befänden sich dadurch in einem historischen Prozess der Veränderung, dass sie jeweils neu interpretiert werden – ist es nicht nur legitim sondern notwendig, nach Verstehensmöglichkeiten für ein bestimmtes Publikum, in diesem Fall für Kinder und Jugendliche, zu suchen. Das kann geschehen, indem man Anknüpfungspunkte zwischen den Werken und dem Erfahrungshorizont der Zuhörer findet und sie dann durch Moderation, Demonstration oder szenische Elemente in ein Konzert einbringt. Schon die Programmgestaltung erfordert daher eine eingehende Beschäftigung mit dem Publikum.
Die ausgewählten Werke werden dann daraufhin untersucht, was an ihnen für Kinder interessant sein könnte, wo Kinder an Bekanntes anknüpfen können und auch wo sie Neues dazulernen können. Dabei geht es nicht um Vermittlung musiktheoretischer Fakten – diese können quasi nebenbei abfallen –, sondern darum, dass die Kinder Wege kennen lernen, mit Musik etwas anzufangen und dass sie durch die Musik auch etwas über sich und ihre Welt erfahren, das ihnen vielleicht bislang verborgen geblieben ist. Natürlich ist diese Form der Vermittlung von Musik nicht nur für Kinder interessant, hier ist der Bedarf offensichtlich. Solche pädagogisch durchdachten Konzerte – ohne den pädagogischen Zeigefinger – können auch für Erwachsene reizvoll sein, sie können die zunehmende Fremdheit von historischer (und zeitgenössischer!) Musik überwinden helfen und dem bloßen Konsum entgegenwirken.
Einige Beispiele von Programmen der letzten Jahre:

Talk-Show – Musikalische Gespräche von Mozart und Beethoven:

Mozart: Ouvertüre zu „Die Zauberflöte“ (als Beispiel für eine Fuge; alle sagen das Gleiche nacheinander und gleichzeitig); Beethoven: Klavierkonzert Nr. 4, 2. Satz (Gespräch zwischen Orchester und Klavier); Mozart: Sinfonie Nr. 39 (Struktur eines Themas im Vergleich zu Sprache); Mozart: Konzert für 2 Klaviere Es-Dur, 1. Satz (Gespräch zwischen zwei Klavieren und Orchester)

Love-Story:

Ausschnitte aus Prokofieffs „Romeo und Julia“, Bellinis: „I Montecchi e i Capuleti“, Gounods „Romeo et Juliette“ und Bernsteins „West Side Story“. Anhand der Beispiele wurde die Geschichte erzählt und gleichzeitig ein Vergleich der verschiedenen Genres gezogen.

Jazz für Kids:

Unter diesem Titel gab es bisher fünf Konzerte mit einer Jazzcombo aus Mitgliedern des Orchesters und Vokalsolisten. Meist in Form von Geschichten werden Instrumente und Stile des Jazz demonstriert.

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