„Musikvermittlung ist in aller Munde. Kein Festival ohne Sitzkonzert, kein Orchester ohne Vermittlungsbeauftragten, kein Konzerthaus ohne Kids Club. Der Reigen an Angeboten und Anbietern unterschiedlichster Couleur ist mittlerweile kaum mehr zu überblicken. Doch woher kommt dieser Konsens, dass Musikvermittlung das Gebot der Stunde sei? Welche Ziele werden damit eigentlich verfolgt, welche erreicht? Ist die Konjunktur der Musikvermittlung lediglich eine Reaktion auf verschwindende Besucherzahlen? Wie können wir unterscheiden zwischen professioneller Vermittlungsarbeit und Marketing-getriebenen Verkaufsaktionen? Und welchen Stellenwert hat dabei die Partizipation? Ist sie einfach ein weiteres Modewort im Versuch einer publikumsnahen Musikvermittlung? Oder bietet Partizipation wirklich neue Perspektiven, ohne in das klassische Gefälle zwischen Sender und Rezipient zurückzufallen?“
Um diese Themen und Fragestellungen zu erörtern, lud die Zürcher Hochschule der Künste Ende März zu einer Tagung ein. Für Michael Eidenbenz, den Direktor des Departements Musik und somit einer der Gastgeber der Tagung, haben Musikhochschulen und Musikvermittler die Verantwortung, den bewussten und informierten Umgang der Gesellschaft mit Musik zu garantieren und zu fördern. Dazu müssen sie den Elfenbeinturm verlassen, ohne die adäquate Diskurshöhe preiszugeben. Er plädiert darauf, die Dinge zu benennen und nicht oberflächlich-sinnliche Wahrnehmungsmuster anzubieten. Denn nur dadurch gelangt das Publikum zu tieferer Erkenntnis und zum Verständnis komplexer musikalischer Vorgänge. Komponisten als Schöpfer komplexer Werke ließen sich ja auch nicht auf „coole Typen, die um die Ecke wohnen“ reduzieren. Und weiter: „Mahlers Sinfonien erfordern analytisches Verständnis. Die große Fuge ist kein cooles Stück. Der Clou von Coltranes ‚Giant Steps‘ erschließt sich nur harmonisch geschulten Ohren. Castingshows haben nichts mit Gesangskunst zu tun. Komplizierte Welten erzeugen komplexe Künste: Wer sich ihnen aussetzen will, darf vor Anstrengung nicht zurückschrecken. Wer sie vermitteln will, muss reinen Wein einschenken.“
Konzert als ästhetisches und soziales Ereignis
Gastreferent Martin Tröndle fragte, ob denn ein nicht-partizipatives Konzert überhaupt denkbar wäre und plädiert darauf, das Konzert zu einem ästhetischen und sozialen Ereignis werden zu lassen. Cathy Milliken, langjährige Leiterin des Educationprogrammes der Berliner Philharmoniker, demonstrierte Partizipation direkt und praxisbezogen mit den rund 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus der Schweiz, Österreich, Deutschland und den Niederlanden. Ingrid Allwardt, Geschäftsführerin des netzwerk junge ohren, zeigte an ausgewählten Best-Practice-Beispielen, dass es für das Gelingen eines Partizipationsprozesses kein Patentrezept gibt, kein Verfahren so läuft wie ein anderes und jedes Projekt wieder neue Herausforderungen in sich birgt.
Katharina Rengger, Leiterin des Studienganges Musikvermittlung, stellte das neu strukturierte Weiterbildungsstudium vor. Im Herbst 2012 startet es mit einem mehrteiligen Programmangebot und bietet einen Abschluss als CAS oder MAS. Studierende können sich ihr spezifisches, den persönlichen Bedürfnissen entsprechendes Musikvermittlungsstudium zusammenstellen. Einzig das Modul „Musikvermittlung Basic“ wird von allen Studierenden absolviert, wobei auch dieses durch andere aktuelle Weiterbildungsprogramme aus dem musikpädagogischen Bereich innerhalb der Hochschule ersetzt werden kann.
Wer sich beispielsweise als Orchestermusiker im Bereich Musikvermittlung Kompetenzen aneignen und Projekte für Orchester, Konzert- und Opernhäuser entwickeln möchte, entscheidet sich für das CAS „Musikvermittlung – im Auftrag unterwegs“. Es fokussiert einen sehr aktuellen und viel gefragten Bereich der Vermittlungsarbeit.
Ein neuer Studiengang mit persönlichem Profil
Im Zentrum steht der Auftrag einer Institution oder eines Veranstalters mit den jeweiligen Programmen und die damit verbundenen Vermittlungsformen und Formate.
Der CAS „Musikvermittlung – Integration“ richtet sich an sozial engagierte Musikschaffende, die ihre musischen Fähigkeiten im Kontext sozialer Arbeit einbringen möchten.
Der Lehrgang bietet das Rüstzeug für musikalisch-kreative Projekte in der Kinder- und Jugendarbeit, aber auch in der Behindertenhilfe, Sozial- und Seniorenarbeit. Die direkte Hinwendung von Akteuren und Kultureinrichtungen zur gesellschaftlichen Wirklichkeit und zum Alltag steht im Zentrum.
Freischaffenden Musikerinnen und Musikern auf der Suche nach neuen musikalischen Wirkungsfeldern bietet der CAS „Musikvermittlung – freie Szene“ ein breites Spektrum. Die Themenschwerpunkte reichen vom Schulworkshop, über Klanginstallation und Instrumentenbau bis zum spartenübergreifenden Großprojekt.
Der vierte Studieninhalt des neuen Lehrganges nennt sich CAS „Musikvermittlung – Web 2.0“ und befasst sich mit den Potenzialen Neuer Medien und Projekten im Bereich Social Media. Ein Weiterbildungsstudium mit hohem Partizipationsanteil also, der viele Interessierte aus dem deutschsprachigen Raum anziehen könnte.