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Der Kanon-Krimi hängt in der Endlosschleife

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Die Konrad-Adenauer-Stiftung antwortet auf die Diskussion um ihr Grundsatzpapier
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Was bisher geschah: Die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) veröffent­licht 2004 im Rahmen der Initiative „Bildung der Persönlichkeit“ ein Konzept zur „Neuorientierung des Musikunterrichts“. Darin werden in elf konsensfähigen Punkten vor allem eine Stärkung des gemeinsamen Singens und Musizierens in Kindergarten, Grundschule und Elternhaus sowie verschiedene konkrete Maßnahmen zur Aufwertung und Verbesserung der Rahmenbedingungen des Faches Musik in der Schule gefordert. Der Handlungsbedarf wird im Rahmen eines historischen Abrisses unter anderem mit der Pluralität von didaktischen Ansätzen begründet, die in den Lehrplänen zu inhaltlichen und methodischen Freiheiten geführt haben, die aus Sicht der KAS Beliebigkeit begünstigen. Die Autoren der Studie ziehen den Schluss, dass „nur durch einen festgelegten Kanon an Werken (…) diesen Gefahren begegnet werden (kann)“ und entwerfen selbigen in der Absicht, Schülerinnen und Schüler beim Erwerb ihrer kulturellen Identität sowie bei der Orientierung in der Vielfalt einer medial geprägten Musik-landschaft zu unterstützen.

Die Studie, insbesondere der angehängte Werkkanon, hat eine öffentlich geführte Diskussion ausgelöst, die in der nmz, vor allem aber in der 2006 erschienenen Publikation „Bildungsoffensive Musikunterricht? Das Grundsatzpapier der Konrad-Adenauer-Stiftung in der Diskussion“ dokumentiert ist (siehe unten stehende Literaturliste). Darin werden von Hochschullehrern und Mitgliedern des Arbeitskreises für Schulmusik (AfS) um den Musikpädagogen Hermann J. Kaiser unter anderem folgende Punkte kritisiert:

 

  • die sehr verkürzte Darstellung der historischen Entwicklung der musikdidaktischen Konzeptionen im 20. Jahrhundert sowie insgesamt argumentationslogische Schwächen bei der Begründung des Kanons,
  • der nicht zeitgemäße Rückgriff auf einen Werkkanon als Bildungsinstrument,
  • die fragwürdigen Kriterien für die Auswahl der einzelnen Werke des Kanons sowie die Abstufung nach Schulformen,
  • die abendländische Kultur als ausschließliche beziehungsweise ausschließende Norm,
  • die historisch-wissenschaftliche Akzentuierung von Musik zu Ungunsten einer ästhetisch-praktischen Erfahrung,
  • die im Widerspruch zu der von der KAS selbst formulierten Zielvorstellung der „Bildung der Persönlichkeit“ stehenden fehlenden Wertschätzung einer individuellen Aneignung von Welt,
  • die fehlende Transparenz im Hinblick auf die Autoren und Hintergründe des Grundsatzpapiers,
  • die Verfolgung parteipolitischer Interessen.

 

In sieben Aufsätzen wird das Grundsatzpapier unter Berücksichtigung verschiedenster Bezüge diskutiert. Die folgende Skizze kann den komplexen inhaltlichen und argumentativen Details kaum gerecht werden, soll aber einen kleinen Eindruck in die Vielfalt der Diskussionspunkte geben. So bemängelt Dorothee Barth vor allem die fehlende Öffnung des Kanons anderen Musikkulturen gegenüber. Frauke Heß zieht die Argumentation um einen verbindlichen Literaturkanon vergleichend hinzu und schließt anhand der Untersuchung des Basiskanons für die Hauptschule auf möglicherweise angelegte Auswahlkriterien. Hans Jünger fragt nach den Motiven und Absichten der an der Initiative beteiligten Bildungspolitiker und Lehrer und problematisiert die mit dem abgestuften Kanon einhergehende soziale Diskriminierung. Hermann J. Kaiser beleuchtet den ideologischen Hintergrund der Bildungsoffensive, kritisiert das der Studie zugrunde liegende Menschenbild sowie die daraus gezogenen Konsequenzen für die Erziehung und problematisiert den Bildungsbegriff im Kontext veränderter Bedingungen musikalischen Lernens. Christian Rolle fächert Vor- und Nachteile von input- und outputorientierten beziehungsweise materialen und formalen Bildungsplänen auf und plädiert für mehr Vertrauen in die Lehrkräfte sowie die Formulierung von Prinzipien der Unterrichtsgestaltung, die Vielfalt und Zusammenhang sichern. Jürgen Vogt fordert statt eines eindimensionalen Werkkanons die Ausarbeitung eines komplexen und theoretisch wie empirisch begründeten Kerncurriculums, während Christopher Wallbaum abschließend den dem KAS-Papier zugrunde liegenden Musikbegriff zu skizzieren versucht und kritisch diskutiert.

Kanon und Tradition

Auf diese Reflexion hat nun die Konrad-Adenauer-Stiftung unter Herausgeberschaft von Jörg-Dieter Gauger und Hermann Wilske ihrerseits mit einer Aufsatzsammlung reagiert. Diese erschien 2007 – um die Verwirrung komplett zu machen – unter dem bis auf das Fragezeichen am Ende gleichnamigen Titel wie die Diskussionsschrift von Kaiser & Co. Als prominente Vorwortschreiber konnten Anne-Sophie Mutter, Dietrich Fischer-Dieskau und Daniel Barenboim gewonnen werden. Die schließen sich den unstrittigen Forderungen nach mehr, früherer und aufbauender musikalischer Förderung in Kindergarten, Elternhäusern und Schulen selbstverständlich an. Die neue Publikation ist nicht nur als Antwort auf die Diskussionsschrift gedacht, sondern damit soll gleichzeitig die „ursprüngliche Konzeption des Jahres 2004 eine Erweiterung und Ausdifferenzierung erfahren“ (Vorwort der Hg.). Hierfür kommen neben den Herausgebern auch Vertreter des baden-württembergischen Kultusministeriums und der baden-württembergischen Medien sowie Musikermediziner, Musikwissenschaftler, Musikpädagogen und der Generalsekretär des bayerischen Musikrates zu Wort.

Im Zentrum vieler Darstellungen steht nach wie vor die Notwendigkeit der Tradierung der klassischen abendländischen Kultur. So erläutert Hermann Wilske eingangs die musikpädagogischen Strömungen nach 1968, die aus seiner Sicht zum „Niedergang des Bildungsfachs Musik zu einem voraussetzungslosen Ausgleichsfach“ (S. 30) geführt haben, während Hermann Jung die Bedeutung der Musikwissenschaft als geisteswissenschaftliche Disziplin im Kontext der Schulmusik ausführt und die Kanonproblematik nur am Rande als „Herausforderung“ und „Appell zur Produktivität“ (S. 41) anspricht. Walter Scheuer diskutiert sodann Perspektiven eines entwicklungsorientierten, aufbauenden Musikunterrichts, betont jedoch die Notwendigkeit, „Musiktraditionen der europäischen Kulturgeschichte zum zentralen Bestandteil des Musikunterrichts zu machen“ (S. 53f.) und durch historisches Denken und Wissen ein Bewusstsein für die eigene Kultur zu entwickeln, anstatt „in interdisziplinären Vernetzungen die Lösungen der Zukunft“ zu sehen (S. 56). Hermann Wilske und Walter Pfohl plädieren mit Verweis auf die erfolgreiche baden-württembergische Tradition für den Kanon. Pfohl ruft dabei ausdrücklich zu einer möglichst großen Einheitlichkeit im Denken und Handeln der Musikpädagogen auf, um das Fach weiter zu profilieren, während Wilske weiter gegen eine übertriebene Schülerorientierung polemisiert.

Hoffnungsschimmer

In der Diskussion um den Kanon finden sich aber in einigen Aufsätzen differenziertere Sichtweisen sowie mehr auf Konsens ausgelegte Argumentationen. Kai Martin legt nochmals Wert darauf, die Offenheit des Kanons zu betonen, Matthias Wurster plädiert sogar für das von Vogt vorgeschlagene Kerncurriculum. Die Musikermediziner Claudia Spahn und Bernhard Richter formulieren: „Aktives Musizieren hat ungleich größere gesundheitsfördernde Effekte als passive Musikrezeption (…) Aus Sicht des Mediziners ist es deswegen nicht so entscheidend, welche Musikwerke in einen Kanon aufgenommen werden, sondern viel wichtiger ist die strukturierte, regelmäßige und möglichst tägliche musikalische Aktivität“ (S. 138f.). Jörg Riedlbauer, Generalsekretär des bayerischen Musikrats, fordert schließlich dazu auf, nach den Schnittmengen der unterschiedlichen Positionen zu suchen und diese als Potenzial für einen zeitgemäßen Unterricht zu nutzen (S. 143). Als Beispiele nennt er die elf eingangs erwähnten Forderungen oder den Hinweis auf den Eigenwert der Musik jenseits aller Transfereffekte. Das Problem des Kanons läge „im Versuch, zu viel im Detail festlegen zu wollen (…) Sinnvoller wäre es gewesen, statt der dezidierten Werkliste größere Repertoiregruppen gebildet zu haben und dem Lehrer die Auswahl zu überlassen“ (S. 149). Weiterhin sieht Riedlbauer Christian Rolles Ansatz eines thematisch abwechslungsreichen Unterrichts als tragfähig an.

Was diese Diskussion so schwierig macht, ist die Vermischung von unstrittigen Statements mit teils polemischen, teils schwer nachvollziehbaren Thesen, Begründungen und Forderungen einer speziellen Interessensgemeinschaft. Dadurch ergeben sich vielfältige berechtigte Angriffspunkte, die der AfS kompromisslos aufgezeigt hat. Die Chance, dass sich eine einflussreiche Stiftung der Problematik des Musikunterrichts in der Schule annimmt, sollte dennoch nicht ungenutzt verstreichen. Das haben sogar die prominenten Vorwortpaten erkannt. Bleibt zu hoffen, dass die Verantwortlichen in Politik und Fachorganen die Diskussionsbeiträge aller Beteiligten kritisch rezipieren und entsprechend inhaltlich verantwortliche Entscheidungen treffen. Was aber macht einstweilen die Musiklehrerin im ganz normalen Schulalltag? Sie wird mit ihren Schülern den ein oder anderen Kanon gemeinsam singen, musizieren, analysieren oder komponieren…

Diskussionsbeiträge:

Wilske, Hermann: Richtungsweisende Bedeutung. Kommentar I zur Studie der Initiative „Bildung der Persönlichkeit“. In: neue musikzeitung 5/2005

Vogt, Jürgen: Alter Wein in alten Schläuchen. Kommentar II zur Studie der Initiative „Bildung der Persönlichkeit“. In: neue musikzeitung 5/2005

Velten, Klaus: Auf der Suche nach dem verlorenen Gleichgewicht. Lernziele des Musikunterrichts auf dem Prüfstand. In: neue musikzeitung 7/2006

Kaiser, Hermann J.: Makabrer Kanon: Retro hat Konjunktur. Eine Erwiderung auf einen Artikel von Klaus Velten in der Juli/August-Ausgabe der nmz. In: neue musikzeitung 10/2006

Fuchs, Max: Zehn Thesen und ein Fazit. Der Kanon als Leitkultur. In: neue musikzeitung 10/2006

Kaiser, Hermann J. u.a.: Bildungsoffensive Musikunterricht? Das Grundsatzpapier der Konrad-Adenauer-Stiftung in der Diskussion. Regensburg: ConBrio 2006

Gauger, Jörg-Dieter/Wilske, Hermann (Hg.): Bildungsoffensive Musikunterricht. Herausgegeben im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. Mit Geleitworten von Anne-Sophie Mutter, Dietrich Fischer-Dieskau und Daniel Barenboim. Freiburg: Rombach 2007

Siehe auch:

Steilvorlage oder Fehlpass? Misstöne um einen Kanon
Ein Grundsatzpapier der Konrad-Adenauer-Stiftung zur Neuorientierung des Musikunterrichts in der Diskussion - auch als Video-Mitschnitt der Diskussion bei nmzMedia

 

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