Im März 2009 tagten 26 Fachleute in Weimar, um die schwierige Situation von Grundschullehrern, die ohne fachliche Ausbildung Musikunterricht erteilen (müssen), zu verbessern. Denn über 80 Prozent des Musikunterrichts an Grundschulen werden fachfremd erteilt und die betreffenden Lehrerinnen und Lehrer sind in der Regel auf sich allein gestellt, wenn sie den eigenen Ansprüchen oder denen der Schule gerecht werden wollen. Dies ist vielfach ein Spagat zwischen dem Wunsch, den Kindern Freude an der Musik zu vermitteln, und einer fachlichen Überforderung. Die Tagungsteilnehmer in Weimar tauschten sich zunächst darüber aus, welche Angebote es in den verschiedenen Bundesländern für fachfremd Musik Unterrichtende gibt.
Es wurde deutlich, dass es, außer in Berlin, wo die Weiterbildung 2006 den Sparmaßnahmen zum Opfer gefallen ist, in allen auf der Tagung repräsentierten Bundesländern Weiterbildungsangebote gibt. Diese unterscheiden sich allerdings erheblich in Umfang, Teilnehmerzahlen und Verteilung der Kosten: Es gibt eine Bandbreite von 30 Stunden (Hamburg) bis zu 360 Stunden in Sachsen-Anhalt, die überdies noch kostenlos zu einer Unterrichtserlaubnis führen. An anderen Orten, wo es durchaus gute Angebote gibt, müssen die Weiterbildungswilligen die Veranstaltungen nicht nur neben ihrer Unterrichtstätigkeit absolvieren, sondern auch privat bezahlen: Beispielsweise kostet die Ausbildung in Bremen 1.150 Euro, von denen die Behörde ein Drittel erstattet, wenn die Teilnehmer mindestens 80 Prozent Anwesenheit nachweisen können. Dass dies immerhin 17 Lehrerinnen und Lehrer pro Jahr in Anspruch nehmen, zeigt, wie hoch Bedarf und Motivation sind. Die Inhalte der Weiterbildung legt jeder Veranstalter (Landesinstitute, Landesmusikakademie, Bezirksregierung, Senat – teilweise in Kooperation) selbst fest. In den meisten Fällen werden Stimmbildung, Lieder, elementares Instrumentalspiel, Musiklehre vermittelt. Fachdidaktik und Unterrichtspraxis kommen an einigen Orten hinzu, aber es gibt keine bundesweiten Standards dafür.
Eine kontinuierliche Weiterbildung fehlt
Wer sich als Lehrer weder zeitlich noch inhaltlich festlegen möchte oder kann (denn Weiterbildung ist oft mit weiten Wegen verknüpft), dem bleiben die Fortbildungsangebote der Bezirke und Verbände. In Berlin etwa gibt es fast nur noch die Fortbildungsangebote des Arbeitskreises für Schulmusik; hier ist von jährlich rund 80 Wochenendkursen etwa die Hälfte auch für fachfremd Unterrichtende geeignet. Staatliche Fortbildungsangebote gibt es nur noch dezentral und auf Anfrage. Das Problem der im Einzelfall sicherlich hilfreichen Fortbildungsveranstaltungen ist, dass sie spezielle Themen behandeln und eine kontinuierliche Weiterbildung nicht leisten können.
Wer sich mit der Situation des Musikunterrichts an der Grundschule befasst, stößt inzwischen auf eine Vielzahl von Förder-Projekten wie JeKi, die einen öffentlich beklagten – also zugegebenen! – Mangel musikalischer Bildung beheben sollen. An den Schulen ist man froh, dass überhaupt etwas geschieht und dass man den Kindern musikalische Angebote machen kann. Wer kann es Lehrern und Schulleitungen verdenken, dass sie solche Unterstützung ihrer Arbeit dankbar annehmen, ja sogar weder Arbeit noch Zeit scheuen, um ein solches Projekt an die Schule zu holen, umzusetzen, am Leben zu erhalten? Zwar wird dann denjenigen, die zu bedenken geben, dass Instrumental-Unterricht einen allgemeinen Musikunterricht nicht ersetzen kann und darf, öffentlich gerne zugestimmt, doch bleiben Konsequenzen in der Regel aus. Aus der finanziellen Not haben inzwischen viele Politiker eine Tugend gemacht: Sie fördern an Stelle eines nachhaltigen Musikunterrichts lieber Projekte mit Event-Charakter. Denn für ein Projekt müssen nur begrenzte finanzielle Mittel bewilligt werden. Dafür verteilt sich der Glanz eines erfolgreichen oder medienwirksamen Projektes auf alle, die ihm auf den Weg geholfen haben – ganz im Gegensatz zu regelmäßigem, systematisch aufgebautem und inhaltlich breit gefächertem Musikunterricht.
Das ist die Crux guten Unterrichts: Seine Qualität zeigt sich langfristig und individuell – eine Qualität, die der Politik abhanden gekommen ist. So bleibt es bei der gebetsmühlenhaft wiederholten Versicherung, Musik in der Schule sei wichtig. Tatsächlich aber weisen die institutionellen Entscheidungen, die das Schulfach betreffen, de facto in die entgegengesetzte Richtung: Es fehlt eine bedarfsdeckende oder auch nur bedarfsorientierte Ausbildung von Musiklehrern, es fehlen Referendariats-plätze, die so raren Musiklehrer werden als Klassenlehrer eingesetzt.
Nachdem in Baden-Württemberg der Fächerverbund „entdeckt“ wurde (die Zusammenlegung verschiedener Fächer zu einem), der wegen des Musiklehrer-Mangels notwendigerweise das Fach Musik unter der Hand verschwinden lässt, folgen nicht nur andere Bundesländer diesem schlechten Vorbild, sondern die Kultusministerkonferenz plant diese praktische Einrichtung sogar für die Ausbildung, worauf schon eine Reihe von Verbänden mit schärfsten Protesten reagiert haben.
Geringschätzung des Faches Musik
Die tatsächliche Geringschätzung des Faches Musik hat weit reichende Folgen: Die Zahl der Schulen ohne ausgebildete Musiklehrer steigt. Um den Bedarf an Musikunterricht und Musik-AGs zu decken, werden die Lehrerin, die privat gerne im Chor singt, oder der Lehrer, der eine Gitarre besitzt, gedrängt, die Lücke zu füllen. Wenn diese Kolleginnen und Kollegen ihre Sache gut machen wollen und ihre Hemmschwellen überwinden, werden sie früher oder später in ihrer Freizeit in Fortbildungskurse gehen (wenn es sie in erreichbarer Nähe gibt), und sie werden diese Kurse privat bezahlen. Diese Fortbildungskurse werden zu einem guten Teil ehrenamtlich organisiert (Musiklehrer-Verbände) und von Referenten für sehr niedrige Honorare erteilt. Doch nur ein Bruchteil der fachfremd Musik Unterrichtenden wird sich irgendwann zu einer fundierten und längerfristigen Weiterbildung entschließen.
AfS (Arbeitskreis für Schulmusik) und VDS (Verband Deutscher Schulmusiker) versuchen derzeit, im Rahmen der gemeinsamen Initiative „Musik in der Grundschule“ (MiGS) ein überregionales Netzwerk zu bilden, um den Musikunterricht an der Grundschule zu stärken. Der erste Schritt ist die Erstellung einer Synopse aller vorhandenen Konzepte. Auf diese Weise werden „weiße Flecken“ deutlich, und der Druck auf die verantwortlichen Behörden kann durch den Vergleich mit „hoch entwickelten“ Regionen verstärkt werden. Aus der Synopse wird ein Konzept entstehen, das in den einzelnen Regionen als Basis für die inhaltliche Gestaltung der Weiterbildung dienen soll. Die Gratwanderung besteht allerdings darin, durch die Versorgung der fachfremd Unterrichtenden nicht die Ausbildung von Musiklehrern an Universitäten und Hochschulen zu ersetzen. Deshalb ist es enorm wichtig, weiterhin für eine musikalische Ausbildung von Grundschullehrern zu kämpfen.
Die Autorin ist Musiklehrerin in Berlin, Mitglied im Bundesvorstand des AfS und Initiatorin von MiGS.