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Ein junges Arbeitsfeld mit alten Menschen

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Zum VBSM-Symposion „Musik im Alter“ an der Musikschule Ismaning
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Die Veranstaltung am 19. Februar 2011 sollte in erster Linie dazu dienen, Interesse und Bedarf an musikalischer Arbeit mit Menschen im dritten und vierten Lebensalter in Bayern auszuloten, Fragen und Abdeckungsdefizite wahrzunehmen beziehungsweise in ers­ten Diskussionen mit Lösungsvorschlägen zu reagieren. Konzipiert und kalkuliert wurde für 40 bis 60 Teilnehmer, 120 Interessierte aus den unterschiedlichsten Arbeitsbereichen wurden letztendlich zur Tagung zugelassen.

Peter Pfaff, Musikschulleiter und Bildungsreferent der Beratungsstelle für das Musikschulwesen in Bayern, erläuterte zunächst die Beweggründe, die zu dieser Kooperationsveranstaltung mit der Hochschule für Musik und Theater München und der Carl-Orff-Stiftung geführt hatten. Einerseits verlangen sich deutlich verändernde Tendenzen in der Bildungsnachfrage – bedingt durch die aktuelle demografische Entwicklung (sinkende Geburtenzahlen, Wanderungsbewegungen, steigende Lebenserwartung) – nach einem verstärkten Bildungs- und Freizeitangebot für das sogenannte „dritte Alter“ (50+). Andererseits hat die medizinische Forschung mehrfach wissenschaftliche Nachweise erbracht, dass sowohl das aktive Muszieren als auch das gemeinschaftliche Erleben von Musik für ältere Menschen eine Steigerung der Lebensqualität bedeutet und beachtliche therapeutische Wirkung erzielen kann. Musikgeragogik als künstlerisch-pädagogisches Feld fordert deshalb Forschung, Entwicklung, Kooperation und Erfahrungsaustausch in unterschiedlichen Bereichen: in der Berufsausbildung (Hochschulen, Universitäten, Berufsfachschulen für Altenpflege), bei kommunalen Bildungsträgern (Musikschulen, Volkshochschulen, Seniorenberatung), in Einrichtungen der Altenpflege, in Verbänden und bei anderen Interessensvertretern.

Es ist nie zu spät – Musizieren 50+1

Im Impulsreferat von Prof. Dr. Theo Hartogh (Universität Vechta) wurden wichtige Grundlagen und Perspektiven zur Bedeutung des Musizierens im dritten und vierten Lebensalter dargelegt. Die Unterscheidung in zwei Lebensalter der nachberuflichen Phase (3. Lebensalter: 50- bis 75-Jährige mit relativ hohem Gesundheitszustand, hoher Mobilität und Kaufkraft; 4. Lebensalter: über 75-Jährige mit abnehmender Mobilität und vermehrtem Auftreten von chronischen und dementiellen Erkrankungen) spiegelt den hohen Bedeutungsgrad dieser immer größer werdenden Bevölkerungsgruppe für die Bildungslandschaft wider. In der aktuellen wissenschaftlichen Forschung wurde in Form eines Kompetenzmodells mit starker Personenorientierung reagiert, das Kompetenz und Aktivität in den Mittelpunkt stellt, ohne Verluste, Einbußen und Grenzen des Alterns zu leugnen2. Die Bildungsnachfrage bei älteren Menschen steigt, „Kaffeefahrten“ sind weniger gefragt als Kulturreisen, „Seniorenangebote“ weichen themenbezogenen Angeboten aus unterschiedlichsten Bereichen ohne den bitteren Beigeschmack von Altenerziehung und gesellschaftlicher Abspaltung oder altersbedingter Vereinsamung. Musikangebote dienen dabei in erster Linie der Erfahrung mit Musik um ihrer selbst Willen, wobei auch anspruchsvolles Musizieren und Üben im Alter als Möglichkeit dargestellt wird. Potentiell ist Lernfähigkeit auch im Alter möglich, was Prof. Hartogh exemplarisch am SOK-Modell Artur Rubinsteins für erfolgreiches Altern erläuterte (SOK = Selektion, Optimierung, Kompensation): Ältere Menschen können und möchten nicht mehr alles lernen, sie können allerdings bewusst Selektiertes optimieren und zum Beispiel technische Mängel durch erhöhte Flexibilität in der Interpretation kompensieren. Große Vorteile der beschriebenen Zielgruppe ergeben sich nach Hartogh aus einer oftmals hohen Leistungsbereitschaft, aus einer höheren Intensität der Interpretation durch die eigene Lebenserfahrung und Erfahrung in der Rezeption von Musik, aus großer Freude an der Musik, aus dem immer größer werdenden Bewusstsein älterer Menschen, auch im Alter Leistungen erbringen zu können und nicht zuletzt aus den älteren Erwachsenen als Zielgruppe mit einem beachtlichen wirtschaftlichen Wachstumspotential.

Insuk Lee (Hochschule für Musik und Theater München) erläuterte in seinem Vortrag „Musik im Alter – singen und tanzen kann jeder“ Unterschiede zwischen EMP (Elementare Musikpädagogik) und EMG (Elementare Musikgeragogik) und unterstrich dabei die Ausführungen Prof. Hartoghs, dass in der Arbeit mit älteren Menschen nicht von (Musik-)Erziehung zu sprechen sei3. Die Begriffe Pädagogik und Erziehung seien allgemein durch die Verantwortung der Gesellschaft für die heranwachsende Generation belegt und somit für die angesprochene Zielgruppe nicht verwendbar, was aber nicht bedeute, dass ältere Menschen nicht mehr fähig seien, zu lernen.

Beide Referenten betonten vielmehr, dass Bildung im Alter möglich und in der heutigen Bildungslandschaft als immer wichtiger anzusehen sei, allerdings mit im Vergleich zu Kindern und Jugendlichen, die den größten Teil ihres Lebens noch vor sich haben, unterschiedlichen Zielvorstellungen: Ältere Menschen verbinden das aktive Musizieren mit einer gesteigerten Lebensqualität und -zufriedenheit, mit sozialen Kontakten, sie sehen individuelles Herausforderungspotential, außerdem Möglichkeiten zur Lebenssinn­erfahrung und Lebensbewältigung. Noch mehr als bei der jungen Generation stehe deshalb die Personenorientierung statt einer Konzeptorientierung im Vordergrund. Ziele, Wünsche und besonders auch die Biografie der Zielgruppe bestimmen inhaltliche und methodische Entscheidungen. Auf ein Curriculum, also auf konzeptionell aufbauenden Unterricht, kann aufgrund der starken Personenorientierung nur selten zurückgegriffen werden. Auch die sich wandelnden Musikpräferenzen müssen unbedingt beachtet werden, denn generell ist die Musik aus der Jugendzeit auch die bevorzugte Musik im Alter. Berühmte Beispiele (Tina Turner, Rolling Stones usw.) zeigen, dass die heute 60-Jährigen ebenfalls bereits häufig mit Popmusik sozialisiert wurden. Prof. Barbara Metzger (Hochschule für Musik Würzburg) erläuterte dazu: „Ich sage heute schon meinen Studierenden, was sie später, wenn ich in Rente bin, mit mir singen sollen.“

Wie vielfältig sich das Arbeitsfeld Musikgeragogik mittlerweile gestaltet, zeigten nicht nur die Referate und Workshops zu ausgewählten Themen, sondern auch eine interessante und umfangreiche Poster-Präsentation, in der Angebotsformen und ihre strukturell-organisatorischen Lösungen schriftlich und von persönlichen Beratern vorgestellt wurden: Poster zum Bereich Elementares Musizieren und Instrumentalunterricht mit Menschen des dritten und vierten Lebensalters, zu Musik mit Demenzerkrankten, zu Sterbebegleitung mit Musik, zu intergenerativem Musizieren und zu bereits erfolgreich etablierten Modellen von Angeboten in Musikschulen (z.B. Musizieren auf der Veeh-Harfe, Musiktheater mit älteren Menschen). Im Rahmen dieser Poster-Session tauchte in den Gesprächen vermehrt folgende Frage auf: Wer soll und kann dieses breite Betätigungsfeld fachqualifiziert abdecken? Welche Möglichkeiten an Aus-, Fort- und Weiterbildung gibt es?

Musikgeragogik in der Zukunft: Vernetzung gefragt

Das Diskussionsforum am Ende der rundum gelungenen Veranstaltung pointierte wichtige Perspektiven und Aufgaben für das Arbeitsfeld Musikgeragogik auf unterschiedlichen institutionellen Ebenen: Die Hochschulen und Universitäten sind dazu aufgefordert, in der Studierendenausbildung (vor allem im Bereich der Elementaren Musikpädagogik, aber auch in der Instrumental- und Gesangspädagogik) verstärkt auf fachdidaktische Spezifika der Arbeit mit älteren Menschen einzugehen und die Studierenden für die Arbeit in Alteneinrichtungen und für die Arbeit im Rahmen spezifischer Angebote von Musikschulen zu qualifizieren. Die Musikschulen hingegen müssen auf den demografischen Wandel reagieren und vermehrt Angebote für die Zielgruppe 50+ bereitstellen (Gesangs- und Instrumentalunterricht für Ältere, Gruppenmusizieren mit speziellen inhaltlichen Schwerpunkten, Konzertangebote …), aber auch bedarfsgerecht Kooperationen mit Alteneinrichtungen für Personen im vierten Lebensalter eingehen. Dass hier bereits einige Initiativen mit Vorbildcharakter existieren, zeigen vom Deutschen Musikrat preisgekrönte Projekte zu generationenübergreifenden Themen, themenspezifische Tagungen und Kongresse, ein neu entstandener Arbeitsbereich der mobilen Musikgeragogik („Musik auf Rädern“), bei dem Musiktherapeuten und Musikpädagogen mit Gruppen- und Einzelangeboten in Alteneinrichtungen, aber auch zu Privatpersonen kommen4 und anderes. Fachkräfte aus Pflege- und Alteneinrichtungen artikulierten letztendlich einen großen Bedarf an beruflicher Fort- und Weiterbildung im Bereich Musikgeragogik. Als mögliche Vorbilder wurde hier auf bereits etablierte Modelle berufsbegleitender zertifizierter Qualifizierungsmöglichkeiten für Fachkräfte aus den Arbeitsfeldern Pflege und Soziale Arbeit, aber auch für Musikpädagogen in Rendsburg, Müns­ter und Berlin5 verwiesen. Musikpädagogen sollen dabei mit speziellen Themen der Gerontologie vertraut werden, Pflegepersonal hingegen eine musikalische Fortbildung und individuelle Vertiefung musikalischer und musikpädagogischer Fähigkeiten erhalten. Die bay­erischen Musikhochschulen sind dazu aufgerufen, entsprechende Weiterbildungsmodelle in Kooperation mit dem VBSM zu entwickeln und zu etablieren. Der AEMP Bayern (Arbeitskreis für Elementare Musikpädagogik) hat sich dieser Aufgabe bereits angenommen, erste Gespräche und Strukturplanungen behandeln unter anderem auch ein finanzierbares Tandemmodell, das besonders für Pflegeeinrichtungen die Zusammenarbeit von Musikpädagogen und Pflegern ermöglichen und fokussieren soll.

Dieses Tandemmodell sieht einerseits die wöchentliche musikalisch-tänzerische Arbeit unter Leitung einer musikpädagogischen Fachkraft mit Gruppen in Alterseinrichtungen vor, andererseits die tägliche Arbeit der Pflegerinnen und Pfleger mit Musik und Tanz in den Gruppen, etwa in Form von Wiederholung und interdisziplinärer Vertiefung des mit dem Musikpädagogen erarbeiteten Materials. Dabei sollen sich die beiden unterschiedlich aus- und weitergebildeten Fachkräfte konkurrenzfrei und symbiotisch ergänzen und inspirieren. Ein Zertifikationskurs Musikgeragogik wird demnach mit Sicherheit auch in Bayern etabliert werden, in welcher Form, welchem Umfang und welcher Zielausrichtung, wird sich in den kommenden Monaten spezifizieren.

1    Dieses Schlagwort entstammt dem gleichnamigen Kongress des deutschen Musikrats in Wiesbaden 2007, bei dem Potentiale und Probleme des demografischen Wandels untersucht wurden.
2     vgl. Metz, Johanna/Pauls, Regina: Grundgedanken zur künstlerisch-musikalischen Arbeit mit Gruppen im späten Erwachsenenalter. In: Ribke, Juliane/Dartsch, Michael (Hg.): Gestaltungsprozesse erfahren, lernen, lehren. Regensburg 2004
3     vgl. Lee, Insuk: Elementare Musikpädagogik für ältere Menschen. Aspekte der musikalischen Arbeit in einem Seniorenheim. In: Ribke, Juliane/Dartsch, Michael (Hg.): Facetten Elementarer Musikpädagogik. Regensburg 2002
4     vgl. www.willkommen-zur-musik.com
5     vgl. www.musikgeragogik.de und www.kulturgeragogik.de

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