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Performative Intelligenz: Alexej Gerassimez bei seinem Auftritt im Rahmen des Hamburger TAOME-Symposiums. Foto: Claudia Höhne

Performative Intelligenz: Alexej Gerassimez bei seinem Auftritt im Rahmen des Hamburger TAOME-Symposiums. Foto: Claudia Höhne

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Ein schlampiger, unzuverlässiger Mitarbeiter

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Das Hamburger Symposium „The Art of Music Education“ beschäftigte sich mit den Potenzialen Künstlicher Intelligenz
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Was bedeutet das Dauerhoch der Künstlichen Intelligenz für die Klassikszene? Können analoge Formate überleben, wenn die digitale Konkurrenz immer stärker wird? Um solche Fragen kreiste das dreitägige Symposium „The Art of Music Education“ von Ende Februar bis Anfang März. Seit 2008 lädt die Hamburger Körber-Stiftung in Kooperation mit der – damals noch im Bau befindlichen – Elbphilharmonie zu dieser Ideenmesse im KörberForum, die bei ihrer neunten Ausgabe die Rollen von Konzerthäusern in einer technisierten Gesellschaft ins Zentrum rückte.

 

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Dass sie ihre Rollen durchaus selbstbewusst sehen und erfüllen können, belegte Elbphilharmonie-Intendant Christoph Lieben-Seutter bei einer Paneldiskussion am Eröffnungstag. Dort hatte sich der Politik- und Wirtschaftswissenschaftler Ayad Al-Ani vom Einstein Center Digital Future in Berlin skeptisch über die Zukunftsaussichten des traditionellen klassischen Konzerts geäußert. Dieser Prognose begegnete Lieben-Seutter mit einem Plädoyer für dessen analoge Qualitäten. Er benannte die Abwesenheit von digitalen Medien ausdrücklich als Vorteil. Man könne in einem Konzert für zwei Stunden offline sein, durchatmen, sich inspirieren lassen, durch die Musik ein transzendentes Erlebnis machen – oder auch einfach mal einschlafen. 

Es gebe nach wie vor ein großes Verlangen nach dem musikalischen Live-Erlebnis, betonte der Elbphilharmonie-Intendant. Und führte die geplante Tour der Popsängerin Adele nach München als Beispiel an. Dort wird Adele im kommenden Sommer zehnmal vor jeweils 80.000 Menschen auftreten; trotz der hohen Ticketpreise von mindestens 370 Euro haben sich über zwei Millionen Interessierte für den Kartenerwerb registrieren lassen. Ein Beleg dafür, welchen Stellenwert derartige Live-Veranstaltungen einnehmen.

Die unterschiedlichen digitalen Musikformate gehören für viele Menschen längst zum Alltag. Aber eben vor allem als Ergänzung, nicht als Ersatz für den Konzertbesuch. Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda bezeichnete die neuen Angebote in seinem Vortrag als „Erweiterung des Möglichkeitsraums“ – und machte sich keine Sorgen, dass die menschliche Kreativität durch die Künstliche Intelligenz eingeschränkt oder abgelöst werden könne. Brosda glaubt, im Gegenteil, dass uns der Wert von menschengemachten Dingen eher noch stärker bewusst wird.

Das Symposium trug dazu bei, die zumindest für fachfremde Menschen etwas nebulöse Aura der KI zu entmystifizieren. Auch durch die Auswahl der Referierenden, die sich nicht auf Expertinnen und Experten der Musikbranche beschränkte, sondern den Blick durch Beiträge aus der Außenperspektive weitete. So erhellte etwa der Innovationsmanager Stefan Göllner vom KI Campus im Stifterverband die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit einer informationsdichten, aber gut verständlichen Einführung in die Arbeitsweise, die Fähigkeiten und Einschränkungen der KI. Und die Datenethikerin Sandra Wachter – Professorin am Oxford Internet Institute – entzauberte das Phänomen in einer per Video gestreamten Keynote, die auch die Dummheit der Künstlichen Intelligenz beleuchtete. Eine KI sei nicht auf die Suche nach Wahrheit getrimmt, erklärte Wachter, sie könne nicht zwischen Realität und Fiktion unterscheiden und fabriziere oft – wenn es etwa um Texte geht – plausibel klingende Falschinformationen, so genannte Halluzinationen. Deshalb solle man sie am besten behandeln wie einen „schlampigen, unzuverlässigen Mitarbeiter“, dem man „immer über die Schulter schauen“ müsse. Ein griffiges Bild aus Wachters Vortrag, der die Chancen und Gefahren der KI umriss. Wachter demonstrierte die Möglichkeiten einer KI, die selbst Kunstwerke wie ein Rembrandt-Gemälde imitieren kann, verwies aber auch auf deren Risiken und Nachteile. Etwa indem sie erläuterte, dass diese Maschinen mittlerweile mehr zum Klimawandel beitrügen als der Flugverkehr, aber auch mit ihrer Kritik an der mangelnden juristischen Regulierung und schließlich mit dem Hinweis auf gravierende inhaltliche Schwächen. Nicht nur bei der Wahrheitsfindung, sondern auch bei einer seriösen Recherche.

Nach dieser kritischen Einordnung der KI, die ja letztlich vor allem angewandte Statistik ist, lenkte das klug programmierte Symposium den Blick auf deren kreatives Potenzial. Mit einer Reihe von Fallbeispielen aus der Praxis. Als Mitorganisatorin eines internationalen Musikwettbewerbs (AI Song Contest), der seit 2020 einmal pro Jahr die beste Koproduktion von Mensch und KI kürt, hat etwa die Medienforscherin Rebecca Leger vom Fraunhofer-Institut einen Überblick über aktuelle Trends. Zu denen gehört es auch, Elemente aus der traditionellen Volksmusik mithilfe der KI in moderne Klangwelten zu integrieren. Wie beim in Bangkok gebürtigen Kulturtechnologen und Komponisten Yaboi Hanoi. Er hat die Melodien der Pi Nai – ein Holzblasinstrument aus Thailand – durch ein KI-Tool auf Instrumente der westlichen Tradition übertragen. Faszinierend, zu hören und zu sehen, welche Möglichkeiten eine intelligente Nutzung der KI erschließt, und wie sie die Klangpalette der Musik erweitern kann.

Ein weiteres Beispiel für das kreative Potenzial präsentierten der Rapper Sebó und Oscar Whyman vom Jugendkunsthaus Esche in Hamburg-Altona. Whyman, ein junger Mann, der als Folge einer seltenen Muskelerkrankung im Rollstuhl sitzt und beatmet wird, artikuliert sich über einen Sprachcomputer. Im Rahmen des Workshops „Word up!“ konnte er trotz dieser Einschränkung einen eigenen Song schreiben und produzieren. Nachdem sein Coach Sebó den Text eingerappt hatte, übertrug die KI den Klang von Whymans Computerstimme in den Sprechgesang. Das Resultat klingt überzeugend, es groovt und berührt.

Wie realitätsnah die Rechenmodelle der Künstlichen Intelligenz mittlerweile den Ton bestimmter Genres kalkulieren können, verdeutlichte auch Stefan Göllner am Ende seiner bereits erwähnten Einführung. Göllner hatte ein KI-Programm mit einem Text zum Symposium und der Vorgabe „tanzbarer Song“ gefüttert – und erheiterte sein Publikum mit dem daraus generierten Titel („Sound of Education“), einem echten Ohrwurm. Dagegen klang ein vom selben Programm errechneter Titel zur Rubrik „Opernarie“ noch nach Plastik-Pathos. 

Je komplexer die Strukturen eines musikalischen Stils, desto schwerer scheint es für die KI, daraus statistische Vorhersagen abzuleiten. Was ja auch beruhigend ist. Es sieht so aus, als müsse man, Stand jetzt, noch nicht befürchten, dass die menschengemachte, „echte“ Musik sehr bald durch künstlich generierte Alternativen ersetzt werden kann.

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