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Ein Weg zwischen Scylla und Charybdis

Untertitel
Das Seminar der European Piano Teachers Association in Soest
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Der eiserne Vorhang ist unerschütterlich. Er droht die ganze Musikerschaft in zwei Lager zu spalten, obwohl er im Grunde an nur zwei Buchstaben aufgehängt ist: „E“ und „U“. Die E-Fraktion sieht in ihren Kollegen von der Opposition in der Regel Barbaren. Diese wiederum bezichtigen die sich überlegen zeigenden Fraktionsmitglieder eines intoleranten Konservatismus. Es lebe das Schubladendenken! Was aber so polemisch dargestellt werden kann, ist tief verwurzelt und beschäftigt insbesondere die Musiker, welche mit dem Problem um ernste und unterhaltende Musik unmittelbar konfrontiert sind: die Pädagogen. Die deutsche EPTA (European Piano Teachers Association) traf sich im Mai zu einem Seminar im westfälischen Soest, bei dem der Vorhang zwischen den Fronten fallen sollte: „Praktische Arbeit mit E- und U-Musik“ nach 1950, so das Motto - Workshops, Konzerte und Präsentationen neuer Unterrichtsliteratur widmeten sich dessen Umsetzung. Artgerechtes Spiel und Kreativität im Unterricht forderte der Holländer Rob Maas in seiner Keyboard-Werkstatt. Er kreidete der „klassischen Methodik“ Starrheit und einen beschränkten Umgang mit Musik an. Lehre man dort in der Regel nur Interpretation, Technik und - im Optimalfall auch - Theorie und Gehörbildung, so stellte Maas eine Liste von 20 Punkten vor, die er im Unterricht behandelt haben möchte. Vor allem das Schöpferische müsse entwickelt werden: Improvisation, Arrangement, Instrumentieren und Komposition. Nun ist es einerseits so, daß die Vorstellungen von Kreativität sehr verschieden sein können, die Popularmusik andererseits vor Gefahren einer inneren Verkrustung keineswegs sicher ist. Gerade im Unterhaltungsbereich klebt man doch seit Jahrzehnten an den immer gleichen harmonischen Mustern, die durch elektronische Effekthascherei unter dem Deckmantel der Novität verschwinden. Die Historisierung hat auch hier schon längst zu einer den ganzen Jugendszenen kraß widersprechenden Konservierung geführt. Sehr deutlich wurde dies in den gut durchdachten Improvisationskursen von Jens-Uwe Gremmel. Er zerlegte die Bluestonleiter in zwei „Tetrachorde“ und ließ die Teilnehmer, teils von der CD begleitet, über dem üblichen Blues-Schema improvisieren. Der Erfolg war gesichert. Wer hier jedoch von mehr Kreativität spricht als etwa bei der Interpretation einer Etüde von Messiaen, dem ist die Blauäugigkeit ins Gesicht geschrieben. Eine Qualitätsdiskussion führt unterdessen ohnehin am eigentlichen Problem vorbei: dem Wunsch des Schülers. Schließlich ist er es, der das Popalbum in den Unterricht mitbringt. Geht der Lehrer darauf ein, so macht er sich selbst zum Knecht, wenn nicht, dann den Schüler. Soll der Lehrer also alles daran setzen, zum panstilistischen Experten zu werden oder soll er dem Fachidiotentum frönen?- Ein Weg zwischen Scylla und Charibdys! Genau in diesem Punkt hätte man sich von engagierten Pädagogen eine ausführliche Diskussion gewünscht. Die jedoch blieb aus. Statt dessen wurden alte Rivalitäten gepflegt: Elfru Gabriel und der redselige Günter Reinhold verzettelten sich mit Vorstandsmitglied Günter Philipp über Spielbewegungen, Gregor Weichert behielt den Verstand und moderierte analytisch. Einziges Ergebnis: Wer Klavier spielt, der bewegt sich - oder wenigstens die Finger. Ein Messiaen-Kurs von Günter Reinhold und die Präsentation neuer Unterrichtsliteratur aus Tschechien, Ungarn und Polen rundete das bunte Programm der ersten beiden Tage von der traditionelleren Seite her ab. Es bleibt aber zu hoffen, daß die EPTA neben dem Aufwerfen von interessanten Diskussionsstoffen auch selbst einmal zu einem fruchtbaren Gedankenaustausch über solch präsente Themen kommt.

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