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Energiegeladenes Kollektiv

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Eindrücke vom ersten Zertifikatslehrgang Community Music an der Landesmusikakademie NRW
Vorspann / Teaser

Um Inklusion, soziale Gerechtigkeit und das Grundrecht auf kulturelle Bildung und Teilhabe nachhaltig umzusetzen, braucht es partizipative, leicht zugängliche musikalische Angebote, aber auch Gespür für die Arbeit mit heterogenen Gruppen. Um die Professionalisierung der in Deutschland noch jungen Community Music voranzutreiben, ist an der Landesmusikakademie NRW nun der erste, einjährige Zertifikatslehrgang Community Music gestartet. Eindrücke vom Einführungswochenende.

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Musizieren ist selten frei von Leis­tungsdruck. Es wird immer auf irgendein Ziel wie Klassenvorspiel, Wettbewerb oder Wertungsspiel hingearbeitet, um sich dabei im besten Licht zu präsentieren. Die Kultur des Singens und Musizierens in Deutschland mag so breit und flächendeckend aufgestellt sein, wie sie will. An vielen Menschen rauschen diese Angebote aus verschiedenen Gründen vorbei. Ähnlich die Situation in Opern- und Konzerthäusern. Der einst drohenden Übernahme durch das Publikum 50+ wurden hauseigene Education-Abteilungen entgegengesetzt, die Programme für Babys bis zu dementiell erkrankten Senior*innen schmieden. Parallel dazu gewannen neue musikpädagogische Konzepte wie etwa die Musikgeragogik an Bedeutung. Doch noch immer bieten einige existierende Konzeptionen für viele keinen Raum, in dem sie sich wertfrei angenommen fühlen und entfalten können. „Eine Instrumentalausbildung ist weitestgehend immer noch denen vorbehalten, die sich das auch leisten können oder wollen. Musikvermittlung setzt niederschwelliger an, aber auch hier gibt es gerade im institutionellen Bereich Grenzen und Hürden für viele Menschen, selbst wenn Angebote kostenfrei angeboten werden.“ So fasst Lehrgangsteilnehmerin Katharina Flaig, Konzertpädagogin bei den Bochumer Sinfonikern und Lehrkraft für Querflöte an der Musikschule Bochum, das Grundproblem zusammen.

Großer Bedarf an qualifizierten Anleiter*innen

Die Antwort auf diese gesamtgesellschaftliche Herausforderung kann nur Community Music heißen. Eine Art der Musizierpraxis, die in Deutschland selbst in Profikreisen noch erklärungsbedürftig ist. Kurz gesagt, macht das im angelsächsischen Raum entstandene Musizieren für alle in der Gruppe keinen Unterschied zwischen den einzelnen Musikformen. Ausgehandelt wird zwischen den Beteilig­ten, welche Art von Musik wie und mit welchem Ziel gemacht wird. Die Beherrschung eines Instrumentes ist dabei nicht zwingend notwendig. Der möglichst niedrigschwellige Zugang bereitet den Weg zu einer musikalisch-sozialen Aktivität. Mit den studienüblichen Kenntnissen im Bereich Ensembleleitung ist es hierbei allerdings nicht getan. Anleitende in der Community Music müssen den Blick für soziale Prozesse in der Gruppe haben und eine gewisse musikalische Vielseitigkeit mitbringen. Es geht darum, mit den Teilnehmenden Dialoge auf Augenhöhe herzustellen, Hierarchien abzubauen und die gesamte Gruppe zu involvieren. „Wir haben einen großen Bedarf an gut ausgebildeten Menschen in diesem Bereich. Es herrscht noch kein Konsens darüber, was Community Music überhaupt ist”, sagt Antje Valentin, Direktorin der Landesmusik­akademie NRW in Heek und zukünftige Generalsekretärin des Deutschen Musikrates. Rund zweieinhalb Jahre hat es gedauert, das Konzept für den Zertifikatslehrgang Community Music mit Alicia de Banffy-Hall, Professorin an der Hochschule Düsseldorf, und Marion Haak-Schulenburg von den Musicians Without Borders und Dozentin an der KU Eichstätt-Ingolstadt, inhaltlich zu entwickeln und die Finanzierung sicher zu stellen. 

Im November fand nun das Auftaktwochenende an der Landesmusikakademie NRW in Heek statt. Das Wochenende hat in vielerlei Hinsicht die Erwartungen von Antje Valentin und dem Dozententeam, bestehend aus Alicia de Bánffy-Hall, Marion Haak-Schulenburg, Wolfgang Rüdiger von der kooperierenden Robert Schumann Hochschule Düsseldorf sowie Matthew Robinson und Marleen Kiesel vom Community Music-Team des Konzerthauses Dortmund, übertroffen. Das war zum einen die Resonanz. 30 Teilnehmer*innen waren geplant, 35 aus Deutschland, Österreich und der Schweiz durften kommen und damit waren noch längst nicht alle berücksichtigt, die auf der Warteliste standen. Das zeigt die Aktualität des Themas, aber auch, dass die Kalkulation der Verantwortlichen aufgegangen ist. Neben der Vermittlung der theoretischen Grundlagen werden in den Modulen praktische Impulse für nahezu jede Lebenslage als Community Musician gesetzt. Am Ende entwickelt jede*r ein eigenes Projekt, das – und das ist ziemlich einmalig – vor Ort vom Team des Konzerthauses Dortmund unter die Lupe genommen und evaluiert wird. Zwischen den einzelnen Lehrgangsmodulen sind die Teilnehmer*innen in Kleingruppen miteinander vernetzt und absolvieren einen Teil der Ausbildung online.

Trotz sorgfältiger inhaltlicher und finanzieller Planung war das Einführungswochenende eine Gleichung mit vielen Unbekannten. Lehrgangs­teilnehmer*innen kamen aus den verschiedenen musikalischen Berufskontexten von Musikpädagogik über Musiktherapie bis zur Elementaren Musikpädagogik sowie aus der Sozialen Arbeit zusammen. Gleichzeitig wurden Studierende der Robert Schumann Hochschule und der Hochschule Düsseldorf integriert. „Das hat Experimentalcharakter. Doch wenn eine Zusammenführung von Praktiker*innen und Studierenden klappen kann, dann im Kontext Community Music“, meint Antje Valentin. Teilnehmende erfahren diesen Mix als Bereicherung und sogar persönlichen Aha-Moment. „Hier erleben wir, wie die Heterogenität der Teilnehmenden und Dozierenden als Ressource genutzt werden kann,“ sagt Teilnehmer Gaudenz Lügstenmann, Musikschulleiter im schweizerischen Rapperswil-Jona. 

Netzwerken wird im Lehrgang großgeschrieben. Allen ist klar: Hier wird gerade der Anfang zu etwas gelegt, das nachhaltig die (Musik)Welt verändern kann. „Den gesellschaftlichen Trend, Menschen in Schubladen einordnen zu wollen, beobachte ich auch stark in der Grundschule, in der ich arbeite. Da geschieht zuerst sehr viel über verbale Kommunikation. Bei Community Music Sessions habe ich bis jetzt erfahren, dass verbale Kommunikation gar keine Rolle spielt und erstmal jede*r auf Augenhöhe durch das Verhalten und die wertfreie Haltung willkommen geheißen wird. Diese Kultur des Umgangs miteinander kann meiner Meinung nach in der Gesellschaft vieles bewirken,” findet Lisanne Schröder, aktuell Masterstudentin im Bereich Empowerment Studies an der Hochschule Düsseldorf.

Kleine Interventionen, große Wirkung

Dankbar für das Angebot ist Karin E. Sauer, Professorin für Soziale Arbeit an der Dualen Hochschule Baden-Würt­temberg Villingen-Schwenningen und an der Universität Hildesheim im Mas­terstudiengang „Kulturelle Diversität in der musikalischen Bildung.“ – „Das fehlende Teil im Mosaik meiner musikalischen und hochschulischen Aktivitäten ist eine grundständige, praktische Auseinandersetzung mit Community Music,“ erklärt die Kursteilnehmerin. Perspektivisch wünscht sie sich durch den Zertifikatslehrgang, nicht nur die eigene Praxis zu optimieren, sondern auch curriculare Inhalte für die Lehre zu generieren. 

Doch wie kommt nun die Musik zurück in den Alltag der Menschen und sorgt dort für Miteinander, Teilhabe, Partizipation, Inklusion und soziale Gerechtigkeit? Zum Beispiel durch ebenso simple wie geniale Interventionen wie den gemeinsamen Rap mit Gelingensgarantie, bei dem der musikalische Kontext aus der Gruppendynamik heraus entstand. 

Das Wochenende brachte viel in Bewegung, ließ aus einem bunt gemischten Haufen ein energiegeladenes Kollektiv entstehen. Ende Januar findet die erste Lehrgangsphase mit den Musicians Without Borders statt. Der 2025er-Zertifikatslehrgang ist bereits in der Planung und das Konzerthaus Dortmund als dritter Partner eingestiegen.

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