„Trommel mit Gewürz“, „Pusterohr mit Marmelade“ oder „100 Regentropfen“ hatten neunjährige Kinder ihre Kompositionen überschrieben. Als diese und andere Beispiele jugendlichen Komponierens in Osnabrück erklangen, wurde rasch klar, dass das kreative Potential von Kindern und Jugendlichen schier unerschöpflich ist. Es muss nur entdeckt und gefördert werden, was mittlerweile an den verschiedensten Orten und unter verschiedensten Voraussetzungen in Deutschland geschieht.
Zu den ältesten Inititativen gehören die 1976 von Hans Jürgen Wenzel gegründete Komponistenklasse Halle und der Bundeswettbewerb Komposition der Jeunesses Musicales Deutschland. Letzerer feiert in diesem Jahr sein fünfundzwanzigstes Jubiläum und lud zusammen mit der Fachhochschule Osnabrück erstmalig gleichgesinnte Initativen und Sympathisanten zu einem Symposion Kompositionspädagogik ein. Unter dem griffigen Motto „Musik erfinden!“ wollte der dreitägige Kongress Modelle der Ausbildung vorstellen und Impulse für die Zukunft setzen, was den zwanzig Referenten aus der Republik gemeinsam mit den Projektleitern Philipp Vandré und Benjamin Lang auch inspirierend und mitunter fast so spielerisch wie den ins Visier genommenen Heranwachsenden gelang.
Nach allgemeiner Übereinkunft wird Kreativität mit Stichworten wie Originalität oder Sensibilität verknüpft. Nicht selten aber bleibt der kreative Prozess rätselhaft. Das ihn begleitende Geflecht von Selbstzweifeln, Zufällen und spontanen Einfällen entzieht sich der Untersuchung. Claudia Bullerjahn gliederte die Kreativität zwar in die vier Phasen Präparation, Inkubation, Illumination und Verifikation, wies jedoch darauf hin, dass Theorien des Kompositionsprozesses erst ganz am Anfang ihrer Entwicklung stehen. Angesichts des vom romantischen Geniekult eingenebelten Theorievakuums erhielten die vorgestellten Modelle aus der Praxis beim Osnabrücker Symposion das stärkste Gewicht.
Die 1999 von Matthias Kaul und Astrid Schmeling in Winsen/Luhe gestartete Kinderkompositionsklasse wurde initiiert durch Erfahrungen der Leiter mit Henzes „Pollicino“ in Montepulciano und den Winsener Besuch der Dresdener Kinderkompositionsklasse. In Winsen keimten die Stücke ganz aus dem intensiven Hören der kindlichen Umgebung. Der erste Jahrgang komponierte konsequenterweise eine „Musik für eine Stadt“, unter anderem mit einer „Straßenmusik“ für vier Musiker in fahrenden Autos oder einem „Gartenblues“ für drei Spieler mit Gartengeräten. Dem Überbau der Kompositionsgeschichte stand das offene Material gegenüber, gleich, ob C-Dur, Geräusche oder eine Kaffeemaschine ins Feld der Hörerfahrung gerieten. Ebenso spielerisch, aber gewiss illustrativer, präsentierte sich die Musik- und Kunstschule Osnabrück mit „Die lustige Welt der Hunde“. Eine dritte Grundschulklasse porträtierte mit ihr gemäßen Klängen einen Sprungfeder-, Untergrund- und Geisterhund. Und wenn an der Düsseldorfer Clara-Schumann-Musikschule unter Anleitung von David Graham gar ein komplettes Musical entstand und aufgeführt wurde, belegte die kurze filmische Dokumentation, dass alle beteiligten Kinder und Jugendlichen von dem phantasievollen Spektakel profitierten.
Entdeckerlust animierte Jugendliche des Gymnasiums Bleckede bei Lüneburg, sich von Joachim Heintz und David Borges in elektronische Klangwelten führen zu lassen, und als „Abenteuer Neue Musik“ erläuterten Silke Egeler-Wittmann und Matthias Handschick die unter anderem am Leininger Gymnasium im pfälzischen Grünstadt erprobten Ansätze, Schülergruppen an Neue Musik heranzuführen. Das Besondere an diesen vom Deutschen Musikrat unterstützten und in einer eigenen DVD-Edition dokumentierten und unter www.abenteuer-neue-musik.de einsehbaren Projekten, ist die Zusammenarbeit der Musikpädagogik mit dem Komponisten des aus der Wergo-Reihe „Edition Zeitgenössische Musik“ ausgewählten Werks. Diese funktionierte zwischen Silke Egeler-Wittmann und Markus Hechtle am Beispiel von „screen“ so gut, dass der Wunsch eines Kongressteilnehmers, Komponisten mögen mit pädagogischem Rüstzeug ausgestattet werden, müßig wird.
Entscheidender ist, wie Wolfgang Lessing zum Abschluss des Symposions resümierte, die Offenheit des Arbeitens – dem Schüler gegenüber wie seitens des Schülers. Die Offenheit einer Interaktion berührt sich dann mit der Offenheit jedes künstlerischen Prozesses. Wichtiger als die Materialfrage werden Überlegungen, wie die Bedeutung des vom Pädagogen und Komponisten Gemachten vermittelt wird. Das impliziert Prozesse, von denen nicht vorab klar ist, wie sie sich entwickeln, und – noch entscheidender – künstlerische Persönlichkeiten, sozusagen Überzeugungstäter. Markus Hechtle wurde als ein solcher vorgestellt. Die an der Universität Oldenburg lehrende Komponistin Violeta Dinescu brauchte nur einen von ihrem Büro zugänglichen Flur, um zufällig passierende Menschen für „Klänge im Raum“ zu begeistern.
Das Osnabrücker Symposion gewann nach dem eher aufs Grundsätzliche gerichteten Start an Fahrt. Das von einer Teilnehmerin vehement gewünschte „Handbuch der Kompositionspädagogik“ hätte den Erfahrungsaustausch und die Begegnungen mit dem jugendlichen Komponieren nicht ersetzen können. Leonora Schlünz (Jahrgang 2001) ließ mit ihren „100 Regentropfen“ für Violine und Vibraphon mit je einem Wasserbecher ebenso aufhorchen, wie fünf uraufgeführte Arbeiten für Mandoline und Akkordeon aus David Grahams Düsseldorfer Werkstatt – dies nicht nur, weil sie apart gearbeitet waren, sondern von dem Duo Anne Wolf (Mandoline) und Simone Krampe (Akkordeon) in feinsinnigster Weise nachgezeichnet wurden. „Jenseits des Nebels“ öffnete sich bei dem neunzehnjährigen Tamon Yashima eine geradezu märchenhafte Klangpoesie für Flöte und Schlagzeug, während Simon Hagenmayers „Rush Hour“ für Gitarre solo ein Gegenbild zu Hektik und Stress aufbaute.