Sehenden Auges sind die Kultusministerien in allen 16 Bundesländern Deutschlands in eine Mangelsituation bei der Musiklehrerversorgung im Grundschulbereich hineingeschlittert. Ohne Gegenreaktion hat man den unübersehbaren Geburtenanstieg seit 2011 hingenommen, und was die sich zeitgleich vollziehende Pensionierungswelle anbetrifft, so haben die Prognosen der Statistischen Landesämter darüber auch nicht die geringsten Zweifel gelassen. Man wollte es so.
Man tut gut daran, sich diese Prämisse vor Augen zu führen, wenn jetzt allenthalben in der gesamten Republik von Seiten- und Quereinsteigern oder aber von – wie auch immer gearteten – Nachqualifizierungen die Rede ist. In ihrer Gesamtheit stellen sie nämlich nichts Geringeres dar als die Offenbarung eines Denkens, in welchem die Notwendigkeit eines Musikunterrichts mit fachgerecht ausgebildeten Lehrkräften längst obsolet geworden ist. Und da passt es, wenn in der Konsequenz einer solchen Strategie nicht etwa über eine Ausweitung der Ausbildungskapazitäten nachgedacht wird, sondern zur Kompensation des Mangels ein 16-farbiger Flickenteppich gewebt wurde, der im Falle mancher Bundesländer kaum imstande ist, die Blöße eines Musikunterrichts zu verdecken, der perspektivisch hinter die Kestenberg-Reformen der 20er-Jahre des letzten Jahrhunderts zurückzufallen droht – schon jetzt gibt es ein Bundesland, in dem 25 Prozent aller Musiklehrer kein entsprechendes Lehramtsstudium mehr absolviert haben.
Vielerorts ist man, etwa in den Landesmusikräten, der Ansicht, sämtliche Behelfsmaßnahmen seien immer noch besser, als wenn überhaupt kein Musikunterricht mehr gegeben würde. Dieses Argument kann man gut nachvollziehen. Andererseits jedoch gibt es auch gute Gründe für eine Gegenposition. Wie viel Deprofessionalisierung und Entfachlichung kann sich Musikunterricht an Grundschulen leisten, inwieweit leistet man so einem Denken Vorschub, im Fach Musik könne es letztlich jedermann richten?
Wir haben es mit dem Musikunterricht an der Grundschule mit dem einzigen Ort zu tun, an dem alle Kinder eines Jahrgangs vertreten sind. „Nur die besten Musiklehrer in die Grundschulen“– so die unvergessene Forderung des Schweizer Musikpädagogen Josef Scheidegger. Und nicht etwa ins Gymnasium, wo es eine Schülerklientel gibt, die weitaus eher imstande ist, selbstständig erfolgreich lernen zu können. Doch davon entfernen wir uns offenbar immer mehr.
Schlimmeres könnte einstweilen verhindert werden, wenn man bei allen Fortbildungsmodellen um hohe Standards bemüht wäre. Das Land Baden-Württemberg verzichtet auf Quer- und Seiteneinsteiger. Nachqualifiziert werden bereits im Schuldienst befindliche Pädagogen mit abgeschlossenem Referendariat. Sie spielen ein Instrument und sind in aller Regel in der Amateurmusik des Landes aktiv. Es gibt eine Kernfortbildung in der Landesakademie Ochsenhausen (60 Stunden) sowie nachgelagert weitere Fortbildungsmaßnahmen und Unterrichtspraxis (90 Stunden). Pädagogisch-methodisches Vorgehen und musikalische Fachkompetenz stehen im Einklang, der Verfasser hat sich selbst mehrfach persönlich davon überzeugt.
Grundsätzlich aber obliegt es dem Bundesverband Musikunterricht (BMU) und der Deutschen Gesellschaft für Schulmusik (DGS) eine Benchmark zu formulieren, auf welche Mindestanforderungen keinesfalls verzichtet werden kann – in einem Prozess, der nur vorübergehend angelegt sein darf. Auch für Baden-Württemberg besteht der Lackmustest zur dauerhaften Befriedung der Situation in der Bereitschaft, für den Musiklehrerberuf an Grundschulen zukünftig hinreichend Ausbildungskapazitäten bereit zu stellen.
Hermann Wilske, Präsident des LMR Baden-Württemberg