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Berios Folksongs interkulturell: Salome Kammer und Mitmusiker beim Schulworkshop in Brühl. Foto: Geer
Berios Folksongs interkulturell: Salome Kammer und Mitmusiker beim Schulworkshop in Brühl. Foto: Geer
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Frontfrau auf Griffweite, ohne Saalmikro

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Ein Schulprojekt mit Berios „Folksongs“ beim Brühler Kammermusikfestival „Konturen“
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„Was machen wir jetzt?“– Schülerfragen können so gnadenlos ehrlich sein. Wie die des Backfischs mit den schwarzen Locken. Da geht der Finger in die Luft und legt sich schwuppdiwupp in die Workshop-Wunde. Für einen kurzen Moment gerät der Dialog zwischen Salome Kammer und den Schülern der Gesamtschule Brühl ins Stocken. Dabei hat der vorangegangene Auftritt der Sängerin ihr selbst wie dem Ensemble beachtliche Sympathiewerte eingebracht. Berios „Folksongs“ jedenfalls gehen glatt durch im Brühler Musikauditorium. Auf der Bühne top – der Workshop ein Flop? Was wir jetzt machen? Antwort: ein Schulprojekt.

Und zwar ein „interkulturelles“. So steht es jedenfalls auf dem Programm von „Konturen“, dem feinen, mittlerweile traditionsrei-chen Kammermusikfestival in Brühl. Erstmals ist man sich jetzt mit der städtischen Gesamtschule einig geworden, die Kluft zwischen Festival-Kultur hier und Pop-Kultur dort nicht noch größer werden zu lassen. Gesagt, getan. So sitzen an diesem Nachmittag der künstle-rische Leiter der „Konturen“, Klarinettist Ralph Manno samt Kollegen einer erwartungsvollen Schülerschaft gegenüber, wobei sich besagter „interkultureller“ Anspruch für Manno – Praktiker, der er ist („Musik ist immer schon international!“) – von ganz alleine ergibt. Hier der Sprachenmix der berioschen „Folksongs“, dort das Multi-Kulti-Spektrum seiner aus aller Herren Länder angereisten Festival-Mannschaft.

Tatsächlich sitzt der deutsch-sardische Klarinettist Manno zwischen der ganz und gar hiesigen Flötistin Annette Maiburg und dem chinesischen Bratscher Wen Xiao Zheng, hat ferner neben dem Cellisten Guido Schieffen die Harfenistin Han-An Liu Platz genommen, dieweil die Flanken besetzt sind von den Perkussionisten Carlos Tarcha und Albert Kedves. Und unten, vor ihnen, sitzen die Kims und Kevins, Bogdans und Bobs, die Meryems und Meldas. Interkultureller geht nicht. Locker erfüllt jedenfalls sind damit für Manno die Kriterien des Ministeriums, welches das festivalbegleitende Schulprojekt subventioniert.

Begegnung mit einer anderen Welt

Wie die Schulprojekt-Bilanz ausfällt? Was ihren musikalischen Anteil betrifft, positiv. Für nicht wenige der an diesem ersten wirklich sonnigen Frühlingsnachmittag abgeordneten Gesamtschüler ist das kleine Sonderkonzert des Festival-Ensembles „Konturen“ so etwas wie die Begegnung mit einer anderen Welt. Dies ist insofern zunächst nicht sonderlich schwer zu verstehen, als „Musik“ für diese Klientel mehrheitlich und wesentlich ja vor allem etwas ist, was aus Boxen kommt, aus kleinen oder großen, wobei man mit den Produzenten der „Sounds“ gleichzeitig ein zwiespältiges Verhältnis pflegt: Einerseits ist man sehr vertraut, andererseits bleibt alles recht anonym. Man „kennt“ seine Lieblinge von den Livekonzerten – allenfalls, wobei es bei diesen Gelegenheiten ja schon ein Privileg ist, sich ganz vorn, vor dem ersten Sicherheitskordon die Füße in den Leib stehen zu dürfen und die Wunderkerzen zu schwenken. Ansonsten ist es so, dass die Stars der Charts und solche, die es werden wollen, als Silhouetten auf flimmernden Projektionsflächen erscheinen, womit schon einmal ein erster, recht augenfälliger Unterschied zum Brühler Schulprojekt benannt wäre.

Dass eine Salome Kammer da so einfach, auf Griffweite gewissermaßen, vor gewöhnlichen Gesamtschülern steht, dass sie agiert unter Verzicht auf die Reglements solcher Begegnungen, überhaupt, dass sie ohne ein Saalmikro auskommt, das im weiteren Verlauf ja gern wie ein Lasso geschwungen wird, kurz: dass hier ohne Fisimatenten, ohne Show und ohne Biz Musik gemacht wird und eine schöne dazu – dies vor allem ist die Überraschung, die Entdeckung an diesem Brühler Gesamtschul-Nachmittag. Und auch wenn zunächst nicht recht klar ist, weshalb dies so ist – feststellbar ist immerhin, dass die Gesichter Maske ablegen und aufgehen. Für einen kurzen Moment sind die Pickel, die man sich allmorgendlich vor dem Spiegel auszudrücken bestrebt ist, vergessen. Auge und Ohr folgen dem höchst ungewöhnlichen Geschehen auf der allen bekannten Bühne. Ja, wie?

Ist es wegen der Musik? Wegen Berio? Wohl nicht im unmittelbaren Sinn des Wortes. Gewiss, die „Folksongs“ erfüllen einen gewissen Standard an Modernität, an Internationalität und klingen, obwohl sie so heißen, nicht unbedingt nach „Folk“, also danach, was die Eltern, was Opa und Oma sagen, wenn sie zu den „Dubliners“ oder ähnlichen Ereignissen gehen. Ferner: Auch die gesungenen Texte sind bei näherer Betrachtung eher geeignet, Distanz aufzubauen. Altfranzösisch oder die vom Komponisten eingesetzte Fantasiesprache sind weit, sehr weit weg vom Erfahrungs­horizont, der von diesem Publikum definiert wird. Und doch: Diese Art von Musik (eigentlich eine Angelegenheit fürs schwellenängstigende Schloss-, Museums- und Sinfoniekonzert) ist plötzlich ganz nah. Wie sie ausgeführt, wie sie dargeboten wird, ganz ohne pseudojugend­kultisches Getue, umschreibt nun allerdings ein wirkliches Minimalziel, eine conditio sine qua non: Authentizität der Interpreten. „Echt“, sagen Bert und Berrit dazu.

Mit einem Wort: Wie an diesem Nachmittag in der Brühler Gesamtschule Musik gemacht wird, käme so gesehen als Grund dafür in Frage, weshalb die Adressaten diese Veranstaltung augenscheinlich als Gewinn verbuchen, zumal es durchaus so etwas gibt wie eine geheime Brücke zwischen den Ausführenden um Manno und Kammer und ihrem gesamtschulischen Auditorium. Keine Frage: Dass diese Bridge betreten wird, geht zu nicht geringen Anteilen aufs Konto einer Salome Kammer, die Liedpräsentation nicht als stocksteif angewurzelte Interpretin zelebriert. Wenn sie sich vielmehr zur Bewegtheit der Musik auf dem durchaus bescheiden dimensionierten Podium bewegt, wenn sie Tanzrhythmen andeutet, den Gestus der Lieder durch ihre Körpersprache ausdrückt und wenn sie die auf dem unscheinbaren Notenständer aufgeblätterte Partitur mit den Augen nur mal eben im Vorbeigehen streift, dann ist sie in diesem Moment tatsächlich „Frontfrau“ vor der „Band“ – nur eben ganz anders und unter ganz anderen Bedingungen.

Was kommt nach der Konzerterfahrung?

Und doch: Die entscheidende Faszination, die die pubertierende Jugend in die Rockkonzerte treibt, ist in diesem Fall auch im Musiksaal der Gesamtschule Brühl präsent: Körperlichkeit. So weit, so gut. Nur eben: Was „danach“ mit einer solchen Erfahrung passiert, welche Schlüsse daraus gezogen werden oder nicht, dies steht naturgemäß auf einem anderen Blatt. Ja, schon nachher, in den Gruppen, mit den Musikern als Gesprächspartnern, scheint alles wieder im gewohnten Gleis. Seltsam, dass da noch nicht einmal nach den Reaktionen auf die soeben gehörte Musikdarbietung und ihre Besonderheiten gefragt wird. Statt die Chance beim Schopf zu ergreifen, verblubbert sich der Workshop alias „Gesprächsrunde“ in Belanglosigkeiten. Kein Wunder, dass sich da plötzlich wieder die Fragezeichen auf den Schülerstirnen kringeln: Ist der Künstler womöglich doch nur verkleideter Pädagoge? Hilflosigkeit liegt in der Luft. Beiderseits. „Was machen wir jetzt?“ Frontmann respektive Frontfrau fühlt sich ertappt und tritt die Flucht an – nur leider in die verkehrte Richtung. Geglänzt wird mit exponentiell steigenden Redeanteilen. Schule eben.

So kommt es zu guter Letzt, dass mit einem Mal der Wert einer viel beschworenen pädagogischen Kompetenz an den Tag tritt – in einem Moment, wo sie schmerzlich vermisst wird. Wie man nämlich vor so genannten „Lerngruppen“ agiert, was man wie sagt oder besser nicht, kurz: das kleine und große Einmaleins einer zweiten Ausbildungsphase – dies, so zeigt sich, ist im Künstlertum einer Salome Kammer, eines Ralph Manno nicht automatisch inbegriffen. Wie auch? Deswegen gibt es ja den Ausbildungslehrer, der einen nach ersten, holprigen Unterrichtserfahrungen beiseite nimmt, um die gerade absolvierte schweißtreibende Stunde auf ihre Schwachpunkte abzuklopfen. Will sagen: Auch dem Schulprojekt könnte es durchaus gut bekommen, wenn die Fortbildung der Fortbilder zum Thema würde. Schon wegen der „Konturen“.

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