neue musikzeitung: Was raten Sie heute Eltern, die ihr Kind an Musik heranführen möchten? Wie eh und je Klavierunterricht – oder lieber in eine gute Soundkarte investieren?
MP3s, Sequencer, Synthesizer-Computer und Internet haben längst Einzug in den musikalischen Alltag gehalten. Doch welches Potenzial bieten sie der Musikdidaktik? Ersetzen sie bald den Musiklehrer, oder hat die Technik in Unterricht und Kinderzimmer nichts verloren? Für die neue musikzeitung befragte Janko Röttgers den Musikwissenschaftler Reinhard Kopiez, der sich seit Jahren für eine Nutzung von Multimedia-Technik in der Musikerziehung einsetzt. Kopiez ist Professor für Musikpsychologie an der Hochschule für Musik und Theater Hannover. Auch in der analogen Welt liebt er außergewöhnliche Arbeitsschwerpunkte: Gemeinsam mit Guido Brink verfasste er das Buch „Fußball-Fangesänge – Eine Fanomenologie“. neue musikzeitung: Was raten Sie heute Eltern, die ihr Kind an Musik heranführen möchten? Wie eh und je Klavierunterricht – oder lieber in eine gute Soundkarte investieren? Reinhard Kopiez: (lacht) Ich würde das nicht so polarisieren. Die traditionelle Ausbildung setzt sehr viele positive Sekundäreffekte frei. Wer ein Klavierstück bis zur nächsten Woche üben muss, der lernt mit Zeit umzugehen. Der Computer verführt ja oft zum Gegenteil, denn Zeit wird komplett absorbiert. Auch musikalischen Ausdruck, Konzentrationsfähigkeit und Kooperation mit anderen, wie etwa im Orchester, kann ein Computer nicht vermitteln. Was kann die Technik denn leisten? Der Computer bietet einen Zugang zur Musik, der für viele neben dem CD-Player der einzige ist. Einige haben auch einfach kein Geld für Musikstunden, haben die Kulturtechnik des Notenlesens nie erlernt. Mit dem Computer können sie auf einer einfachen Ebene trotzdem selber Musik „machen“ und nicht nur konsumieren. Und man darf nicht darüber lachen, wenn das Mittel zum Zweck ein einfaches Programm wie etwa der Technomaker ist. Auch damit lernen sie, wie Stücke formal aufgebaut sind. Und kaufen vielleicht nicht mehr allzu primitiv gemachten Pop. Weil sie gelernt haben, hinzuhören. Gibt es interessante Software, um Jugendliche auch auf klassische Musik neugierig zu machen? Fast gar nicht. Bei vielen Produkten frage ich mich, wer das kaufen soll. Der Laie wird überfordert, für Profis gibt es bessere Lösungen. An welche Titel denken Sie? Etwas an die pluscore-Serie von Schott. Das sind Audio-CDs kombiniert mit Partitur-Fotografien zum Mitlesen am Bildschirm. Die meisten Stücke bekommen sie für weniger als zehn Mark auch als Taschenpartitur, und darin können sie auch mit dem Bleistift rummalen. Oder auch Schotts Masterpiece-Serie, eine Sammlung von MIDI-Musikdateien auf CD-ROM. Im Internet gibt es genügend Server, von denen tausende solcher MIDI-Dateien heruntergeladen werden können – kostenlos und in wenigen Minuten (zum Beispiel http://midiworld.com/cmc oder http://www.prs.net Was ist von einem Instrumentenkurs auf CD-ROM zu halten? Der autodidaktische Lehrgang war so eine Illusion der Siebziger Jahre. Damals gab es diese Schallplattenreihen zum Erlernen eines Instruments. Ich kenne keinen einzigen Fall, in dem jemand damit ein Instrument über längere Zeit erfolgreich und zu seiner eigenen Zufriedenheit gelernt hätte. Man braucht einfach das Feedback eines Lehrers. Musikunterricht ist eben immer noch eine soziale Angelegenheit. Das kostet leider Geld. Geld, das nicht jeder hat. Richtig. Auch der Zugang zu den neuen Medien ist sehr ungleich verteilt. Nach neuesten Statistiken steht nur in 10 Prozent aller Haushalte überhaupt ein Computer. Da ist es eine Aufgabe der Schule, den medialen Zugang auch Bildungsunterprivilegierten zu ermöglichen. Dazu brauchen sie die nötige Ausrüstung. Allerdings kann man nicht erwarten, dass mit dem Kauf der Geräte plötzlich die große Kreativität einsetzt. Sondern? Wir brauchen gezielte Lehrerforbildungen zu Themen wie „Multimedia im Musikunterricht“. Und in der Praxis interdisziplinäre, projektorientierte Ansätze. Also zum Beispiel ein Unterrichtsprojekt in Zusammenarbeit mit einem Informatikkurs oder der Universität des Ortes. Viele Informatiker wären froh, mal etwas anderes als Datenbanken und Verkehrsampelschaltungen zu programmieren. Wie kann so ein Projekt denn konkret aussehen? Das Ergebnis könnte beispielsweise eine multimediale Einführung in eine Mozart-Sinfonie sein. Mit Musikanalysen, mit geschichtlichen Bezügen, mit einer Einführung ins Partitur-Lesen. Denn was passiert, wenn ich die erste Seite einer Partitur aufschlage? Mich erwarten eine Menge Linien mit vielen schwarzen Punkten darauf. Und als Anfänger, der gerade mal eine Notenzeile lesen kann, fehlt mir der Durchblick.Also könnte so ein Projekt zeigen: In der Partitur gibt es Gruppierungen von Instrumenten. Ganz oben die Holzbläser, dann die Streicher, und so weiter. Dann kann man einzelne Gruppen herausgreifen und mit Klangbeispielen verbinden. Ein solches Projekt hätte einen Lerneffekt, den man in drei Jahren Oberstufenkurs sonst nicht erzielen kann.
Kann Musikunterricht auch vom Internet profitieren? Im Prinzip bietet das Netz zur Wissensvermittlung unbegrenzte Möglichkeiten. Ich kann zum Beispiel mit einer Partnerschule in Frankreich oder Italien gemeinsam ein Technostück entwickeln. Zu Beginn liefert eine Seite vielleicht die Bassline. Und fragt dann per eMail: Wohin sollen die Handclaps, wohin die Samples mit den “Ahhhs“ und “Ohhhs“? Man tauscht Vorschläge aus, schickt die Rohdateien hin und her. So kann sich ein Stück quasi evolutionär weiterentwickeln. Dabei lernen die Schüler etwas über Internettechniken, über Audioverarbeitung, Harddiskrecording und Sequencer-Programme. Dazu noch ein wenig Fremdsprachenkenntnisse.Sie bekommen ein Bündel von Kompetenzen so effektiv vermittelt, wie dies keine andere Unterrichtsform leisten könnte.
Die Homepage von Reinhard Kopiez befindet sich unter: http://musicweb.hmt-hannover.de/kopiez/