Waren vor wenigen Jahren die Standflächen der Musikverlage architektonisch noch recht großzügig angelegt, ist man bei der Musikmesse 2016 deutlich zusammengerückt, mitunter sogar sehr nah, indem man sich einen großen quadratischen Block teilt und die Regalflächen der verschiedenen Anbieter fast unbemerkt ineinander übergehen. Riesige Schneisen teilen, anders als in den Vorjahren, straßenförmig die Präsentationsflächen und ermöglichen ein legeres Verweilen an allen Ständen. Die Welt der Musikpädagogik präsentiert sich überall bunt, mitunter optisch sogar sehr bunt.
Inhaltlich wurde 2016 vieles fortgeschrieben, was sich im Vorjahr bereits anbahnte: Musik in Kindertagesstätten expandiert, deren pädagogisches Personal scheint als eigenständige Zielgruppe in den besonderen Fokus der Autorinnen und Autoren gerückt zu sein. Inhaltlich geht es dabei zwar ganz allgemein um „Musik im Tageslauf“, letztendlich ist damit aber überwiegend das Singen gemeint, teilweise kombiniert mit vermeintlich kreativer Stimmbildung und einigen bewegungsanimierenden Anregungen. Materialien, die sich der projektartigen Arbeit zu einzelnen Musikwerken annehmen, bilden positive Ausnahmen.
Ukulelen- und Gitarrenboom
Dass sich die Elementare Musikpädagogik und die Instrumentalpädagogik bezüglich ihrer Zielgruppen und Herangehensweisen an die Musik immer weiter anzunähern scheinen, hat die Szene aktuell wohl dem anhaltend großen Boom von Ukulele und Gitarre zu verdanken. Waren es früher allein die sogenannten Orff-Instrumente, gelangen bunte und kostengünstige Zupfinstrumente offensichtlich zunehmend in den Fokus des Interesses. Bestes Beispiel hierfür ist das bei Schott in drei Bänden erschienene Werk „JelGi. Jeder lernt Gitarre. Kinderleicht ohne Vorkenntnisse! Mit einem einzigen Handgriff!“. Von seinem „Erfinder“ Udo Zilkens in einer C-Dur-Gitarrenstimmung patentiert, heißt es in den Werbematerialien „ein Quergriff genügt“, um bereits Zweijährige an das Begleiten von traditionellen Volks- und Kinderliedern heranzuführen.
Ob es erstrebenswert ist, die zarten Kinderhände Zweijähriger mit Quergriffen zu bemühen, sei dahingestellt, dennoch erfreuen sich sicher viele jüngere und ältere Kinder der Materialien mit populären Songs renommierter Liedermacher. Gleich „100 Kinderlieder für Ukulele mit beliebten Melodien und Hits aus Film und TV“ sind bei Bosworth Music in The Music Sales Group erschienen. Auch wenn man nicht erfährt, wer für die Zusammenstellung verantwortlich ist, findet man hier, wie es der Titel verspricht, ein breites Spektrum an neuen und älteren Kinderliedern sowie internationalen „Gassenhauern“, die in dieser Zusammenstellung auch all jenen jungen Musikliebhabern, die nicht Ukulele spielen, gefallen werden.
Unter welchen Aspekten die Zusammenstellung neuer Liederbücher stattgefunden haben mag, bleibt dabei spekulativ. Viele bekannte Themen, thematisch orientiert am Jahreskreis, am Wetter und an Tieren, ziehen sich wie eh und je durch die Werke. Diverse Neuerscheinungen setzen jedoch unterschiedliche Schwerpunkte zwischen Liedgestaltung und Stimmbildung.
Liedvermittlung, Liedgestaltung und Stimmbildung
Das Werk „Alle Lieder sind schon da“ (Helbling) wurde vom Deutschen Chorverband herausgegeben. Es steht mit vielen bekannten älteren und neueren Kinderliedern und einer zusätzlichen Spiel- oder Stimmbildungsanregung pro Lied ganz im Zeichen singender KiTas, die eine Caruso-Plakette anstreben und dafür verbindliche Kriterien wie ein umfassendes und internationales Repertoire sowie eine gesunde Singlage zu erfüllen haben. Drei zugehörige CDs enthalten 60 eingesungene Lieder, auf das in Aussicht gestellte Handbuch für pädagogische Fachkräfte darf man gespannt sein. Bei „Stimm-Spiel-Klang“ von Amelie Erhard, Milena Hiessl und Lena Sokoll (ebenfalls Helbling) ist eine CD direkt beigefügt. Manchen mag es irritieren, dass alt bekannte und als solche geschätzte Kinderlieder hier mit neuen handlungsanweisenden Liedtexten zum Anziehen, Wickeln und Aufräumen für den KiTa-Alltag aufbereitet wurden, aber dies geschieht stimmbildnerisch behutsam und erst nach einer überblicksartig begründeten Einführung über den Sinn und Zweck verschiedener Stimmspiele mit jungen Kindern.
„Stimmgeschichten. Kreative Stimmbildung für Kinder ab vier Jahren“ von Kirsten Maxeiner (Schott) spricht die gleiche Altersgruppe an. Der thematische Schwerpunkt ist anders gesetzt, es handelt sich explizit um ein Lehrwerk zur Stimmbildung und nicht um ein Liederbuch. Ein Blick in die Beispiele der beigefügten DVD gibt Anlass zu der Vermutung, dass es sich bei dem Material um Anregungen für Unterrichtssequenzen handelt, die von einer erhöhten Konzentration geprägt sind. Das Werk prägt eine erlebnisorientierte Stimmbildung in Kombination mit gesungenen Liedern, Bewegungsempfehlungen, Hörbeispielen und Anregungen zum Malen. Wer in Bezug auf Stimmbildung ein Neuling ist, kann während der Arbeit mit den Kindern die Playbacks der CD zum Einsatz bringen.
Weniger stimmbildnerisch denn interdisziplinär ist das Lernliederbuch „LeLiBu“ (Helbling) für die Grundschule angelegt. Die Herausgeber Pfeiffer, Scheffold, Drescher und Lohrer haben es sich zur Aufgabe gemacht, junge Schulanfänger zu motivieren, indem sie ihnen den Einstieg in die Fächer Deutsch, Mathematik und Sachkunde in Kombination mit Liedern und damit korrespondierenden Spielanregungen schwungvoll vermitteln. Musikalische Kenntnisse sind für eine Arbeit mit diesem Werk, auch wenn viele Melodien bekannt sind, definitiv erforderlich. Zwei CDs und zum Ausdrucken vorgesehene Arbeitsblätter ergänzen das musikalische Geschehen bei Bedarf.
Sowohl in der KiTa als auch im Grundschulalter könnten Kinder Freude an „Die kleine Schnecke Monika Häuschen“ von Tobias Künzel und Kati Naumann haben. Dabei handelt es sich um eine Liedersammlung mit unbekannten Liedern, die thematisch zusammen gefasst zwei Mini-Musicals mit den Titeln „Sommerfest“ und „Wintertraum“ ergeben. Die bei Bosworth Music in The Music Sales Group erschienenen Materialien sind mit Zwischentexten versehen und können eins zu eins umgesetzt werden. Im Kaufpreis der Materialien sind die Aufführungsrechte bereits abgegolten, was insbesondere für KiTas sehr relevant sein kann.
Elementares Musizieren in KiTa und Grundschule
Im Bereich des Elementaren Musizierens in KiTa und Musikschule war bereits im vergangenen Messejahr auf die „Musikwichtel“ von Ruth Wörner hingewiesen worden. Bei Schott erschienen, handelt es sich bei dem Praxisbuch mit Anregungen für die Lehrperson und einem Liederbuch für die Kinder beziehungsweise deren Eltern um einen einjährigen Kurs für Kinder ab 18 Monaten. Dieser ist thematisch an den Jahreskreis angelehnt. Die Gestaltung der Unterrichtsmaterialien, die größtenteils selbst geschriebenen Lieder, weitere Spielanregungen und sprachlich vorformulierte Handlungsanweisungen lassen dieses junge Alter auch unmittelbar vermuten. Die beigefügte DVD zeigt jedoch deutlich ältere Kinder im höheren KiTa- und Vorschulalter. Jenseits des alles dominierenden Themas Singen und Stimmbildung werden „Blitzschnelle Ideen mit Rhythmus und Musik“ von Wolfgang Delnui (Ökotopia) als sogenannte Refresher, Pausenfüller und Auflockerungsübungen angepriesen, sind für KiTa und Grundschule gleichermaßen gedacht und seien explizit auch Nicht-Musikfachleuten empfohlen, die eher Spiele mit Musik suchen als explizit musikbezogene Inhalte vermitteln wollen.
Wer sich mit jungen Kindern einmal ausführlich einem großen sinfonischen Werk widmen möchte, dem sei „Die Moldau. Klassische Musik im Kindergarten“ (inkl. CD) von Karin Schuh (Schuh-Verlag) empfohlen. Die Materialien weisen eine bunte und große Vielfalt an Spielanregungen auf, welche sowohl in einer kürzeren Einheit als auch als großes Projektthema zum Einsatz kommen können. Das dazu gehörige Bilderbuch „Die Moldau“ von Karin Schuh und Sissi Katefidis wird vielen Kindern ebenso gefallen wie die Musik als solche. Während andere Verlage damit werben, dass mit ihren Materialien ein bedingungsloses Starten voraussetzungslos möglich ist, liest es sich hier besonders positiv, dass die Erzieherinnen explizit aufgefordert werden, sich selbst erst einmal in aller Gründlichkeit in das Werk zu vertiefen, bevor sie es mit den Kindern behandeln.
Eine ebenfalls interdisziplinär angelegte Durchdringung von Musik und Bildender Kunst strebt Mathias Schillmöller mit seinem Werk „MusikKunst. Kultur verstehen im Wechselspiel der Künste“ an (Helbling). Ausgehend von einer großen musikalischen Vielfalt werden hier berühmte Werke namhafter Bildender Künstler für Schülerinnen und Schüler im Mittel- und Oberstufenalter aufbereitet. Ein Buch, das auch für Musik vermittelnde Projekte mit Erwachsenen und Fortgeschrittenen geeignet scheint (eine ausführliche Betrachtung folgt in einer der nächsten Ausgaben der nmz).
Bei den zahlreichen neuen Praxismaterialien verspürt der eine oder die andere sicher das Bedürfnis nach einem vertiefenden Background. In dem von Mechtild Fuchs herausgegebenen Werk „Musikdidaktik Grundschule“ (Helbling) wird wohl jeder musikpädagogisch interessierte Mensch fündig. Auch wenn dieses umfassende und fast kompendiumartig angelegte Buch sich eigentlich an eine andere Zielgruppe richtet, kann hier auch jede Lehrperson der Elementaren Musikpädagogik und Instrumentalpädagogik für sich eine fundierte Verknüpfung von Praxisanregungen und theoretischen Grundlagen vornehmen. Ausgehend von lernpsychologischen Ansätzen über zahlreiche Beiträge mit theoretischen Abhandlungen zum Singen und Musizieren nehmen viele namhafte Autorinnen und Autoren darin fächerübergreifende Aspekte, kooperative Ansätze, interdisziplinäre Verknüpfungen, mediendidaktische Konzepte und politisch aktuelle Themen wie Inklusion und individualisierte Lehr-/Lernkonzepte in den Blick.
Kinder lieben Musik, das weiß jede und jeder, nun müssen nur noch die pädagogischen Fachkräfte in den KiTas von ihrer eigenen Liebe zur Musik überzeugt werden. Wie dies gelingen könnte, hinterfragt das Buch „Im KiTa-Alltag singen“, herausgegeben von Barbara Busch und Silvia Müller (Helbling) in Form einer empirischen Studie, welche die Qualität des Musikalisierungsprogramms „Primacanta“ in Bezug auf die daran beteiligten pädagogischen Fachkräfte in den Blick nimmt.
Auch „blitzschnelle Ideen“ brauchen ihre Zeit
In vielen Vorworten, Broschüren und Kommentaren wird die Freude am Singen und Musizieren durch vermeintlich schnelle Lernerfolge, einfache Spielweisen und angeblich bedingungslos umsetzbare wie blitzschnelle Ideen in den Mittelpunkt gerückt. Ob die Neuerscheinungen, welche das Personal von Kindertagesstätten explizit in den Blick nehmen, wirklich so „kinderleicht umsetzbar“ sind, wie es in den Prospekten der Verlage mitunter behauptet wird, sei bezweifelt. Auch „blitzschnelle Ideen“ für den Einsatz von Musik im Tageslauf wollen in Ruhe bedacht und erprobt sein, und das kostet Zeit und macht definitiv Arbeit. So leicht die Beschreibungen auch umzusetzen sein mögen, eine intensive Beschäftigung mit den Werken kann nicht ausbleiben, um einen intuitiven Zugang zur eigenen Stimme zu finden, sich ein neues Liedrepertoire aufzubauen und dieses so sicher zu beherrschen, dass ein Lieben der Musik für alle möglich wird. Viele mittlerweile selbstverständlich multimedial aufbereitete Materialien mit Mediapaketen wie Playbacks, Audio-Beispielen, Videofiles, DVDs sowie Bild- und Kopiervorlagen können hier sehr hilfreich sein, sollten jedoch nicht als einengend empfunden werden. Schön wär’s, wenn alles so einfach wäre …
Das im Bosse Verlag erschienene Lehrwerk zur Elementaren Musikpraxis „Timpano“ wird in einer der kommenden Ausgaben der nmz ausführlich rezensiert.