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Haydn hören und mit den Walen tauchen

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Das Jugendsinfonieorchester der Musikschule Bremen und seine langjährige Kinderkonzert-Reihe
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Es gibt viele gute und wichtige Gründe zur Durchführung von Konzerten für Kinder (oder auch „Familienkonzerte“ wie sie oft genannt werden). In vielen unterschiedlichen Formen und mit vielen unterschiedlichen Ideen werden diese Konzerte durchgeführt. Leider bewegen sich dabei so manche „Kinderkonzerte“ hart an der Grenze der überzogenen Unterhaltungsveranstaltungen ohne auch nur im Ansatz ihr Ziel zu erreichen. Die Kinder amüsieren sich prächtig, ziehen aber das häusliche Fernsehgerät oder sogar den Computer als Freizeitgestaltung vor (ohne auch nur im Traume daran zu denken, ein Musikinstrument zu erlernen oder in ein weiteres Konzert zu gehen).

Es gibt viele gute und wichtige Gründe zur Durchführung von Konzerten für Kinder (oder auch „Familienkonzerte“ wie sie oft genannt werden). In vielen unterschiedlichen Formen und mit vielen unterschiedlichen Ideen werden diese Konzerte durchgeführt. Leider bewegen sich dabei so manche „Kinderkonzerte“ hart an der Grenze der überzogenen Unterhaltungsveranstaltungen ohne auch nur im Ansatz ihr Ziel zu erreichen. Die Kinder amüsieren sich prächtig, ziehen aber das häusliche Fernsehgerät oder sogar den Computer als Freizeitgestaltung vor (ohne auch nur im Traume daran zu denken, ein Musikinstrument zu erlernen oder in ein weiteres Konzert zu gehen).Andererseits darf man annehmen, dass das Gros der Familienkonzerte in der Gesamtkonzeption sehr gut durchdacht ist, dass sie kindgerecht, aber nicht kindlich gestaltet werden und das Interesse der Kinder für die Musik ebenso geweckt wird wie die Motivation, ein Musikinstrument zu erlernen.

Dies waren zumindest meine Gründe, 1982 mit dem Jugendsinfonieorchester Bremen die Kinderkonzerte einzuführen. Die dahinter stehende Idee war, dass auch oder gerade ein Jugendorchester die Aufgabe und die Möglichkeit hat, die Kinder an die Musik heranzuführen. Der geringere Altersunterschied zwischen den jungen Musikerinnen und Musikern des Orchesters zum Publikum motiviert und ermutigt zum eigenen Musizieren – frei nach der Devise „Das kann ich bestimmt auch“. So schrieb der Weser-Kurier: „Vor 14 Jahren war Johannes selber Besucher der Kinderkonzerte des Jugendsinfonieorchesters Bremen: ‚Das hat mich fasziniert. Mich hat beeindruckt, wie viel Spaß die beim Spielen hatten. Da wollte ich auch in das Orchester.‘“ (Johannes schaffte es tatsächlich. Er erhielt Fagottunterricht, spielte schon bald in der Jugendsinfonietta – dem sogenannten Aufbauorchester – und dann schließlich bis zum Beginn seines Studiums mit großer Begeisterung im Jugendsinfonieorchester Bremen.)

Seit nunmehr fast zwanzig Jahren führt das Jugendsinfonieorchester Bremen der Musikschule Bremen unter meiner Leitung diese Kinderkonzerte durch. Zunächst beschränkten sie sich noch darauf, jeweils die einzelnen Instrumentengruppen eines Sinfonieorchesters vorzustellen. So wurden nacheinander die Familien der Streich-, Holz-, Blech- und Schlaginstrumente behandelt und jeweils mit kurzen Ausschnitten aus geeigneten Solokonzerten erklärt.
Um die Kinder nicht nur für die Instrumente sondern auch für die Musik zu begeistern, wurden die Konzerte ab 1984 unter ein bestimmtes Thema gestellt. Einige Beispiele: „Eine musikalische Märchenreise“ (1984), „Komponisten sehen die Welt“ (1985), „Ein Orchester tanzt“ (1988), „Ein Volksfest“ (1988), „Ein Zirkus kommt“ (1989), „Eine musikalische Seereise“ (1990), „Ein musikalischer Wetterbericht“ (1991), „Von Burgen und Schlössern“ (1992), „Ein tierisches Konzert“ (1993), „Von Hexen und Zauberern“ (1994), „Fahrkarten bitte“ (1995), „Eine musikalische Spielwiese“ (1996), „Rund um den Tannenbaum“ (1997), „Wasser marsch“ (1998), „Fiesta musica“ (2000).

Die mit dieser bunten Themenpalette verbundenen Möglichkeiten der Werkauswahl und somit der Inhalte eines Kinderkonzertes führten im weiteren Verlauf der Konzerte bis zum heutigen Tage zu einer ständig wachsenden Kreativität aller Orchestermitglieder. So war schon sehr bald die ehrwürdige Konzertkleidung „tabu“. Eine Kleidung passend zum Konzert war stattdessen „in“. Da fehlt auch nicht der Regenschirm, der Wasserball oder – um beim Wetterbericht zu bleiben – der Ski-Anorak. Die Erzählungen und gespielten Geschichten werden von Mitgliedern des Orchesters übernommen; Tänze werden von den Mitgliedern eigenständig einstudiert um sie den Kindern dann zur entsprechenden Musik und dank der Maske und der Schneiderei des Theaters auch zeit- und modegerecht vorstellen zu können. Viel Arbeit für nur einige Minuten eines Konzertes – Arbeit, die sich aber lohnt.

Auch hat sich die Bühnentechnik des Bremer Theaters im Verlauf der vielen Jahre so behilflich und engagiert gezeigt, dass selbst komplizierte Vorgänge und Umbauten möglich gemacht werden können (und das, obwohl dem Orchester nur eine Spiel-/ Technikprobe von maximal 60 Minuten vor der Vorstellung zur Verfügung steht. Vorbereitung ist alles – und alle technischen Abläufe werden vorher mit der Technik bis ins kleinste Detail besprochen.)

Ein für die Orchesterarbeit sehr wichtiger Punkt ist die Erarbeitung der unterschiedlichen Musikbeispiele. Diese Literatur muss trotz der Vorbereitungen der Konzerte und Konzertreisen in kürzester Zeit erarbeitet werden. (Und dass diese Konzerte nicht so ganz „ohne sind“ zeigt der Bericht in der Oktober-Ausgabe der nmz „Musik und Licht am Hollersee, Open-Air-Konzert der Musikschule zog 20.000 Besucher in Bann“ – ein alljährliches Konzert des Jugendsinfonieorchesters Bremen). Das kann nur in vielen intensiven Proben und Sonderproben geschehen, die die Orchestermitglieder trotz Schulstress engagiert mitmachen. Eine solche Arbeit fördert, fordert und prägt eine Orchestergemeinschaft, die ich immer wieder mit Begeisterung beobachten darf.

Doch zurück zu den eigentlichen Konzerten. Die zuvor genannte ursprüngliche Vorstellung der Instrumente erfolgt natürlich weiter und wird durchgeführt in den sogenannten „Offenen Orchesterproben“: Schulklassen dürfen sich während der Probe in das Orchester setzen und lernen die Instrumente kennen. Dieses Angebot wird mit so großem Interesse und so großer Begeisterung wahrgenommen, dass Jugendsinfonieorchester und Jugendsinfonietta – um überhaupt weiter intensiv proben zu können – dies nur noch einmal im Monat durchführen können und eine Warteliste eingerichtet werden musste, die bis ins Jahr 2002 reicht. Schade, dass sich nicht auch Berufsorchester an einem solchen regelmäßigen Projekt beteiligen.

Der grundsätzliche Aufbau der Konzerte bleibt konstant. Zunächst begegnen wir den Kindern in ihrer Welt. So hören sie etwa zu der Musik von Rossinis „Wilhelm Tell“ („Das Gewitter“) eine spannende Geschichte, die das Geschehen der Musik erzählt. Die Erzählung steht dabei im Vordergrund, die Musik unterstreicht – wie in einem Film – die Geschichte. Es ist dabei immer wieder beeindruckend, mit welcher Aufmerksamkeit und Spannung die fast tausend jungen Zuhörerinnen und Zuhörer einer Vorstellung bereits diesen Anfang eines Kinderkonzertes verfolgen. Im Anschluss daran aber wechseln sich viele Musikbeispiele mit kindgerechten Erklärungen, Informationen, Überraschungen, Mitmachaktionen und Liedern ab (mit eigens gesetzter Orchesterbegleitung). So wird den Kindern gezeigt, welch wichtige Aufgabe die Musik in der einleitenden Geschichte dieses Kinderkonzertes übernommen hatte. Gemeinsam mit den Kindern wird anschließend überlegt und ausprobiert, wie ein Orchester mit ganz einfachen Mitteln Regen oder vielleicht sogar ein Gewitter darstellen kann. Welches Instrument kann zum Beispiel die Blitze, den Donner, welches die Regentropfen übernehmen: die Tuba? – Nein? – Warum nicht? – bessere Vorschläge? – die dann natürlich ausprobiert werden bis das Ergebnis „die zupfenden Geigen“ dann schließlich erreicht wird. In Beethovens Pastorale etwa wird den Kindern zunächst das Gewitter vorgestellt. Im Verlauf des nachfolgenden Durchspiels müssen sie die Blitze erkennen und an den entsprechenden Stellen mit ihren Händen zeigen.
In allen weiteren Musikstücken werden die Kinder direkt in das Geschehen mit einbezogen. So zeigen sie mit Ihren Händen den Sonnenaufgang (E. Grieg, Peer Gynt Nr. 1, „Morgenstimmung“), sie klappern mit den Zähnen und stampfen leise mit den Füßen zum „Winter“ (Vivaldi, „Vier Jahreszeiten“). In anderen Kinderkonzerten müssen sie zum richtigen Zeitpunkt aufstehen, um das einziehende Königspaar würdevoll mit einer tiefen Verbeugung zu begrüßen (Tschaikowsky, „Einzug des Königspaares“ aus „Dornröschen“); sie reiten auf „dem verrückten Pferd“ (Bizet, „L’Arlésienne“) oder „tauchen“ mit den Walen (Haydn, „Die Schöpfung“). Dann aber steht die Musik und zwar nur die Musik im Vordergrund. Den Kindern wird kurz erklärt, was in der nachfolgenden Musik geschieht. Sie sollen die Augen schließen, sich die Situation vorstellen und aufmerksam zuhören. Immer wieder spannend ist dieser Moment für das Orchester. Hören die Kinder zu oder entsteht Unruhe? Und tatsächlich – weitgehend hören die Kinder mit beeindruckender Aufmerksamkeit zu. Ergänzt werden diese Konzerte durch kleine Möglichkeiten der Bühnen-und Beleuchtungstechnik („Theaterschnee“, „Nebel“, Beleuchtung und riesige Hintergrundprojektionen durch Dia, die mit einfachen Mitteln angefertigt werden).

Mit der Orchesterbegleitung werden gemeinsam neue und alte Lieder gesungen – nur schade, dass das Genehmigungsverfahren mit den Verlagen für die Aufführung neuer Lieder teuer und zeitaufwändig ist. Ein Propeller fliegt durch das Theater und sucht ein Kind, das den Klangkörper mit seinen 85 Mitgliedern im Alter von 15 bis 20 Jahren dirigieren darf. Ein teilweise schon recht schwieriges Preisrätsel ergänzt das Kinderkonzert: Den Kindern werden aus den etwa zehn Musikstücken des jeweiligen Konzertes drei vorgespielt, die Kinder müssen dann erkennen, um welche Stücke es sich dabei handelt.

Die Kinderkonzerte dauern jeweils etwa 75 Minuten – ohne Pause! Schlimm? Anscheinend nicht! Sonst würden die Kinder im Anschluss nicht noch heftig nach Zugaben rufen. Und wenn dann diese kleinen Zuhörerinnen und Zuhörer sich zu Weihnachten entsprechend unseres Vorschlages eine CD der 6. Sinfonie von Beethoven wünschen, sie bekommen und tatsächlich begeistert zuhören – dann glaube ich, haben wir unser Ziel erreicht.

Insgesamt veranstaltete das Jugendsinfonieorchester bisher 38 Kinderkonzerte im Bremer Theater am Goetheplatz (jeweils zwei fast immer ausverkaufte Doppelkonzerte pro Jahr) und erreichte damit allein in Bremen über 70.000 junge und ältere Zuhörerinnen und Zuhörer (das Orchester führte auch Kinderkonzerte in anderen Städten durch). Viele der kleinen und grösseren Zuhörerinnen und Zuhörer spielen heute ein Instrument, spielen im Jugendsinfonieorchester mit, studieren schon Musik, üben mit großer Begeisterung einen Musikberuf aus – oder besuchen mit ihren Kindern die Kinderkonzerte des Jugendsinfonieorchesters Bremen.

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