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Die Kinderoper „Bösemann“ in München: Anniek Vetter gibt dem Jungen Stimme, im Hintergrund Annette Schönmüller und Ansgar Theis. Foto: Smailovic

Die Kinderoper „Bösemann“ in München: Anniek Vetter gibt dem Jungen Stimme, im Hintergrund Annette Schönmüller und Ansgar Theis. Foto: Smailovic

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Hellsichtig tröstendes Musiktheater für Kinder

Untertitel
Deutsche Erstaufführung in München: Steingrimur Rohloff hat mit „Bösemann“ ein preisgekröntes Kinderbuch vertont
Vorspann / Teaser

Am Anfang ist alles in bester Ordnung: Der helle Nesselstoff an den Wänden eines kleinen Kubus auf der offenen Bühne des „Schwere Reiter“ bedeckt auch Fußboden, ein Tischchen und einen Sessel. Sogar die Kostüme sind aus hellem Stoff, ihre Muster nur zart gemalt (Ausstattung: Angela Loewen).

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Die heile Welt einer Kleinfamilie auf wenigen Quadratmetern ist das, abgeschirmt von der Außenwelt. Doch als der Vater sich das erste mal als „Sinna Mann“, als „Wütender Mann“ also erwiesen hat, wie das großartige, preisgekrönte Kinderbuch von Gro Dahle (Text) und Svein Nyhus (Illustrationen) aus dem Jahr 2003 im norwegischen Original heißt, wird dieser Schutzmantel wie eine Haut nach oben weggezogen und wir schauen wie unter einem Baldachin buchstäblich auf verbrannte Erde, also schwarze Asche. Der Vater trägt Handschuhe, die zur Faust geballt übergroß seine blutigen Fingerknöchel zeigen. Die eigentliche Gewaltanwendung wird nie gezeigt, nur die Scherben, die seine Frau buchstäblich unter den Teppich kehrt.

Auch als Musiktheater funktioniert das Bilderbuch beeindruckend, denn Steingrimur Rohloff komponierte 2006 ebenso einfache wie prägnante Musik auf ein Libretto von Jesper B. Karlsen, das den ausdrucksstarken, vieldeutigen Bildern des Buchs klare, prägnante Situationen auf der Bühne entgegensetzt. Eine größere Reduktion für eine „Oper“ ist kaum möglich, denn die beiden einzigen Musiker, die bei der Deutschen Erstaufführung im „Schwere Reiter“ in München links und rechts der Bühne spielen, sind eine Cellistin (Katerina Giannitsioti) und ein Schlagzeuger (Mathias Lachenmayr) vom Ensemble „der/gelbe/klang“. Sie dürfen auch ins Geschehen eingreifen; dann wird die Cellistin mit Mantel und großer Brille zur Kinderpsychologin, der Cellist stellt einmal einen Baum dar. Die Musik, die der Schlagzeuger oft an Xylophon oder Marimbaphon spielt, manchmal aber auch einfach verschiedene Geräusche an Pauken und Gongs macht, und die versprengten Töne des Cellos, die ebenso fein illustrieren wie sie das Gesungene und Gesprochene ergänzen oder betonen, gerinnen nur selten zur Melodie, sondern bleiben immer wohltuend sparsam andeutend. 

Ausdrucksstarke Puppe

Die Mutter, bei Mezzosopranistin Annette Schönmüller ist sie im Singschauspielen sichtbar gezeichnet von dem, was immer wieder passiert, und der Vater (der eigentlich ganz sanfte Bariton Ansgar Theis mit großen, staunenden Augen) singen und sprechen abwechselnd. Der Junge aber ist eine wunderschöne, ausdrucksstarke Puppe, gebaut von Tine Hagemann. Im Buch nehmen die gezeichneten Bilder, in denen der Vater immer größer und mächtiger wird, schließlich in Flammen aufgeht, die alles verzehren, einen großen Raum ein. Hier wie dort lauert „Bösemann“, wie Buch und Musiktheater auf Deutsch heißen, hinter dem Vater im Keller, nimmt Besitz von ihm und der Vater wird hilf- und willenlos, aber eben auch „wütend“.

Am Ende schreibt der Junge einen Brief an einen König, der hier mit Krone und schöner goldgelber Schleppe auftritt, gespielt von der Mutter. Sie haucht auch einem kleinen Stoff-Hund Leben ein, der zum Gefährten des Jungen wird. Der schreibt:  „Lieber… König. LIEBER KÖNIG! PAPA… schlägt. PAPA SCHLÄGT! Ist das meine… Schuld? MEINE SCHULD?“ Dieser König erweist sich als der Direktor einer Heilanstalt. In ihr steigt der Vater symbolisch tief in den Keller hinab, um seine Bösemänner zu finden, die er sprechen, die er trösten muss. Eine kleine Puppe nach der anderen zieht der König aus seinen Manteltaschen und gibt sie dem Vater. Fast kommen einem da die Tränen angesichts eines Bildes, das Kinder wie Erwachsene ganz intuitiv verstehen können.

Regisseurin Marianne Kjær Klausen hat sich mit ihrem Team auch sonst wunderbar einfache, aber sehr effektvolle Lösungen ausgedacht: So öffnen die Eltern, wenn der Junge in die Natur laufen will, den schwarzen Vorhang an der Rückseite des Raums nach links und rechts. Dann zeigt ein Video über die ganze Breite der Bühne, wie der Hund und der Junge im blauen Himmel zu schweben scheinen, wie beide in der Luft Purzelbäume schlagen können. Oder der Junge tritt aus dem Zimmer, um auf seine Schaukel zu kommen. Anniek Vetter, eine zarte, zierliche und doch selbstbewusste Frau, gibt dem Jungen als charismatische Puppenspielerin Stimme und Körper mit einer Anmut und Grazie, dass man sich an Heinrich von Kleists berühmten Essay „Über das  Marionettentheater“ erinnert fühlt. 

Regie als Vermittlung

Auch wenn der Junge durchs Wasser gleitet, sieht das täuschend echt aus. Karl heißt er in der deutschen Fassung des Kinderbuchs, einfach „Klein“ hier auf der Bühne. So wird er auch deshalb genannt, weil der Darsteller des Vaters „der Große“ in doppelter Hinsicht ist: auch als erwachsen gewordener Junge, der sich erinnert an das Geschehen, das er nur so schwer einordnen und verarbeiten kann. Das bedeutet für die Regie natürlich keine leichte Aufgabe der Vermittlung: Redet und singt gerade der erwachsen gewordene Bub, dem einst ein Flugzeug aus Papier suspekt war, das der Vater aus einer Schachtel zauberte und der die aufgedrängten Süßigkeiten ablehnt, oder der Vater? Als dieser trägt Ansgar Theis Sakko, als Junge keines – und alles ist klar.

Am Ende stehen alle Türen offen und in einem letzten, feinen Duett zwischen Mutter und Vater/Junge fliegen die Worte vom „Reden“ und „Einander Trösten“ aus den Mündern „wie Schmetterlinge und Hummeln“ und wollen gar nicht mehr aufhören zu singen.

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