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Das Ensemble TRI:UTOPIE erspielte sich den Hugo 2022 (v.l.): Magdalena Lorenz, Nina Gurol und Louis Voelkel. Die Trophäe zeigt, stilisiert, den namensgebenden Minnesänger Hugo von Montfort (1357–1423). Foto: Claudia Irle-Utsch
Das Ensemble TRI:UTOPIE erspielte sich den Hugo 2022 (v.l.): Magdalena Lorenz, Nina Gurol und Louis Voelkel. Die Trophäe zeigt, stilisiert, den namensgebenden Minnesänger Hugo von Montfort (1357–1423). Foto: Claudia Irle-Utsch
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Eindrücke vom Hugo Wettbewerb für neue Konzertformate der Montforter Zwischentöne
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Media vita in morte sumus. Mitten im Leben, vom Tode umfangen. Sind wir, bin ich. Begrenzt in der Endlichkeit, eingeschränkt in den Möglichkeiten, ein Entrinnen gibt es nicht. Was also tun: Ausweichen, kleinreden, ironisieren oder ignorieren?

Gilt nicht, sagen Nina Gurol (Orgel/Klavier), Magdalena Lorenz (Violine) und Louis Voelkel (Rezitation/Electronics). Mit ihrem Ensemble TRI:UTOPIE, angedockt an die Hochschule für Musik und Tanz Köln und die Universität Potsdam, konfrontieren sie sich und ihr Publikum mit der eigenen Vergänglichkeit. Ihr Konzertprogramm „end:licht“ stellt Fragen, die über das Hier und Jetzt hinausweisen; es verlangt nach unbedingter Ehrlichkeit. In der künstlerischen Reduktion mit der einen Geigenstimme, dem einen Sprecher, der stillen pianistischen Reflexion verdichtet sich die Impression. Diese Seelenspiegelung rührt an, sie trifft ins Mark, macht verletzlich, verletzt aber nicht, sondern birgt auch Trost: Der glimmende Docht in der begleitenden Videosequenz fängt wieder Feuer. Am Ende ist Licht!

Nach dieser starken Vorstellung einfach so zur Tagesordnung übergehen, das geht nicht – und das ging auch nicht beim Finale des Hugo 2022 im österreichischen Feldkirch. Selbst die Jury, um eine sachliche Einschätzung gefragt, konnte sich der Wirkung dieser Darstellung kaum entziehen. Frauke Bernds (Kölner Philharmonie), Anja Loosli (Schlosskonzerte Thun) und Peter Paul Kainrath (Klangforum Wien) vergaben ihre Stimmen mehrheitlich an TRI:UTOPIE. Dieser Entscheidung schloss sich das Publikum an, via App vor Ort im Montforthaus und zugeschaltet über den Livestream im Netz. Dabei brachte das Onlinevoting einen der Mitbewerber stimmenmäßig fast auf Augenhöhe: die Streicherinnen und Streicher des Ensembles inn.wien.ffm, die mit Musik von Samuel Barber (Adagio for Strings) und Richard Strauss (Metamorphosen) sowie einem mehrfachen Perspektivwechsel einen eigenen, stillen, aber intensiven Sog entfachten.

Ohnehin gewonnen habe, wer in diesem international angelegten Wettbewerb für neue Konzertformate zum entscheidenden Pitch eingeladen worden sei, unterstrich Moderatorin Andrea Thilo. Sie würdigte damit im Verbund mit den Juroren auch die Beiträge des schweizerischen Kollektivs Klangluft und des Ensembles Frideswide von der Musikhochschule Trossingen. Auch sie hatten sich der Aufgabe gestellt, ein schlüssiges Konzept zum Bespielen des Feldkircher Doms St. Nikolaus zu erarbeiten. Denn eben dort soll am 25. November das beim Finale nur angeteaserte Programm in voller, rund 70-minütiger Länge zu erleben sein. Damit fügt sich der Hugo-Preisträger ein in die Veranstaltungsreihe der Montforter Zwischentöne, die vom 1. bis 30. November das Jahresthema „Sehnsucht und Verwandlung“ in ganz unterschiedlichen Facetten ausspielen wird.

Es sei mit Spannung zu erwarten, so die Jury, welche Wirkung TRI:UTOPIE mit „end:licht“ im Feldkircher Dom selbst erziele. Ist das doch ein Raum, an dem es per se um den Tod mitten im Leben geht. Mit Christus am Kreuz und auch mit dessen Beweinung im Zentrum des berühmten Annenaltars. Mit dieser holte der Feldkircher Maler Wolf Huber das Heilsgeschehen in den Vorarlberger Raum – auch das eine Konfrontation!

Klug konzeptioniert haben die Ausführenden ihr Konzert, indem sie die Menschen aus der (dann auch brieflichen) Befragung des eigenen Ichs wieder entlassen werden: Es gibt einen Nachklang, draußen vor der Tür und mit Beteiligung des örtlichen Hospizes. Letztlich möchten Nina Gurol, die auch ehrenamtliche Sterbebegleiterin ist, Magdalena Lorenz, die Todes- und Trauerkulturen weltweit erforscht, und Louis Voelkel, der, wie er sagt, „das Leben studiert“, der „letzten Verwandlung“ den Schrecken nehmen.

Der Hugo, 2015 erstmals vergeben, ist längst zu einem der wichtigsten Nachwuchspreise für innovative Aufführungspraxis im deutschsprachigen Raum geworden – mit in diesem Jahr 50 teilnehmenden Gruppen von 26 Hochschulen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Für Hans-Joachim Gögl und Folkert Uhde, die als künstlerische Leiter der Montforter Zwischentöne auch Mentoren des Hugo sind, hat sich der Wettbewerb als Forschungs- und Entwicklungslabor bewährt. Auf Nachhaltigkeit angelegt, interdisziplinär und dank eines mehrstufigen Verfahrens mit gemeinsamem Workshop durchaus mit pädagogischem Anspruch. Damit entstünde das Moment einer Vernetzung, die „einen Teil der Energie“ ausmache, so Gögl/Uhde im Interview. Es gehe darum, einen anderen Blick auf die konzertante Umsetzung zu werfen, den Raum in die Präsentation mit einzubeziehen, neue Zugänge zur klassischen Musik zu finden. Eben das interessierte auch dieses Mal, die Jury, selbst ja intensiv mit Programmgestaltung befasst. „Wir suchen das, was wir noch nicht gesehen, noch nicht gehört haben“, so Impresario Kainrath. Es gehe nicht unbedingt darum, die Meister der Zukunft beurteilen zu müssen, aber doch um den Fokus auf das Unerhörte.

Dokumentiert ist der Hugo-Pitch 2022 im Netz; das Anschauen auf YouTube (https://youtu.be/kXf9iu2oA58) dient durchaus der Inspiration. Zu erleben ist dort, wie bei allem Ernst auch das Leben gefeiert wurde. Dafür sorgte nicht zuletzt die Brassband Frischluft vom Feldkircher Landeskonservatorium. Wurde die finale „Battle“ 2021 pandemiebedingt ausschließlich live gestreamt, scheint nun mit der hybrid präsentierten Veranstaltung ein zwar aufwendigeres, etatmäßig verdreifachtes und komplexeres, aber doch wirkungsvolles Format gefunden zu sein. Die Zugriffzahlen sprechen ihre eigene Sprache. Vieles Weitere zum Hugo und zu den Montforter Zwischentönen unter: www.montforterzwischentoene.at.

 

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