Banner Full-Size

Interaktion, Moderation und andere Kinderspiele

Untertitel
Zur Premiere des Toy-Symphony-Projektes in Berlin
Publikationsdatum
Body

Klassische Musik und Computertechnologie sind Bereiche, die nicht oft zueinander finden. Insbesondere für Kinder scheint der Zugriff auf Musik über den Computer vor allem auf den Umgang mit Popmusik beschränkt zu sein. Als ein außergewöhnlicher Ansatz ist daher das Toy-Symphony-Projekt des Media Lab am Massachusetts Institute of Technology (MIT) Boston zu betrachten, bei dem es um die Kombination computergestützter Instrumente mit traditionellen Orchesterinstrumenten geht. Unter der Leitung des Komponisten und MIT-Professors Tod Machover wurden computergesteuerte Klangerzeuger entwickelt, die von Kindern im Rahmen eines Orchesterkonzertes gespielt werden können, ohne einer jahrelangen Perfektionierung in der Spieltechnik zu bedürfen. Darüber hinaus entwickelten Graduierte des MIT eine Software, die es Kindern und musikalischen Laien erlaubt, ohne Notenkenntnisse rhythmisch-melodische Motive zu entwerfen und Musikstücke zu komponieren. Im Rahmen des internationalen Toy-Symphony-Projekts werden nun in zehn verschiedenen Ländern Konzerte durchgeführt, für die Kinder mit der Kompositionssoftware Hyperscore komponieren und in denen sie auf den neuartigen Klangerzeugern spielen.

Klassische Musik und Computertechnologie sind Bereiche, die nicht oft zueinander finden. Insbesondere für Kinder scheint der Zugriff auf Musik über den Computer vor allem auf den Umgang mit Popmusik beschränkt zu sein. Als ein außergewöhnlicher Ansatz ist daher das Toy-Symphony-Projekt des Media Lab am Massachusetts Institute of Technology (MIT) Boston zu betrachten, bei dem es um die Kombination computergestützter Instrumente mit traditionellen Orchesterinstrumenten geht. Unter der Leitung des Komponisten und MIT-Professors Tod Machover wurden computergesteuerte Klangerzeuger entwickelt, die von Kindern im Rahmen eines Orchesterkonzertes gespielt werden können, ohne einer jahrelangen Perfektionierung in der Spieltechnik zu bedürfen. Darüber hinaus entwickelten Graduierte des MIT eine Software, die es Kindern und musikalischen Laien erlaubt, ohne Notenkenntnisse rhythmisch-melodische Motive zu entwerfen und Musikstücke zu komponieren. Im Rahmen des internationalen Toy-Symphony-Projekts werden nun in zehn verschiedenen Ländern Konzerte durchgeführt, für die Kinder mit der Kompositionssoftware Hyperscore komponieren und in denen sie auf den neuartigen Klangerzeugern spielen.In Berlin wurde das Projekt zum ersten Mal realisiert. In einem Konzert des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin unter der Leitung von Kent Nagano, das am 24. Februar 2002 im Großen Sendesaal des SFB in Berlin stattfand, wurden die elektronischen Klangerzeuger von Kindern in Kombination mit den traditionellen Instrumenten der Orchestermusiker gespielt. Als Publikum hatten sich in dem ausverkauften Saal mit 1.400 Plätzen vor allem Kinder mit ihren Eltern eingefunden. Sie hatten Gelegenheit, sich vor dem Konzert einen Einblick in das besondere Instrumentarium zu verschaffen.

Das Toy-Symphony-Projekt in Berlin ging über die üblichen Formen der Bezugnahme auf kindliche Adressaten durch moderierte Konzerte, Einführungsveranstaltungen et cetera hinaus, indem es sich die aktive musikalische Beteiligung von Kindern an dem Konzertereignis selbst zum Ziel setzte. Die Einbeziehung voraussetzungslos spielbarer elektronischer Klangerzeuger diente hierbei als Mittel zum Zweck. Für Tod Machover ist das Bemühen um die Erfindung und Herstellung von Music-Toys im Rahmen des Toy-Projektes eine Etappe seines lang andauernden Interesses an Formen interaktiver Musikelektronik. In seiner Komposition „Brain Opera“ (1996) setzte er erstmalig interaktive elektronische Instrumente ein. Sein Impuls zur Verwendung dieser Instrumente ist die Überzeugung, dass die große Kluft, die zwischen der musikalischen Alltagskultur und neuer Musik besteht, mit dem Paradox zu tun hat, dass Musik fast überall und zu jeder Zeit präsent ist, obwohl sich kaum jemand Zeit nimmt, um Musik zu hören. Dies führt zu einem Wertverlust und zu der Auffassung von Musik als einem Hintergrundphänomen, das auf keinen Fall eingefleischte Hörgewohnheiten stören darf.

Mit dem Toy-Symphony-Projekt wird ein Weg beschritten, der versucht, Kinder für die Klangwelt des Sinfonieorchesters und die Klänge neuer Musik zu gewinnen, indem sie zur aktiven Teilnahme aufgefordert werden. Diese Teilnahme ist allerdings aufwändig. Dem Konzert, das am Ende einer jeden Projektrealisation stehen soll, geht eine sorgfältige Vorbereitung voraus.

In Berlin waren es zwei Stücke, in denen elektronische Klangerzeuger von Kindern gespielt wurden: „Nerve“ von Gili Weinberg und „Nature Suite“ von Jean Pascal Beintus. In „Nerve“, einem Stück für sechs Kinder und zwei Schlagzeuger, kamen ausschließlich „Beatbugs“ zum Einsatz, die der Komponist gemeinsam mit Roberto Aimi und anderen am MIT entwickelt hat. Es sind straußeneigroße Perkussionsinstrumente, denen durch das Daraufschlagen mit der flachen Hand Rhythmen eingegeben werden, die dann nach einem computergesteuerten Zufallsverfahren an die anderen Spieler weitergegeben werden. Den acht Spielern sind sowohl die rhythmischen Motive als auch die Reihenfolge der Einsätze vorgegeben. Lediglich die Variierung der weitergeschickten rhythmischen Motive mithilfe der Metallzungen ist den spontanen Entscheidungen der Spieler überlassen. Die Kinder lernten im Verlauf der Vorbereitung die achttaktigen Einheiten nach Gefühl auszuführen, wodurch der interaktive Charakter des Zusammenspiels gewahrt blieb.

In „Nature Suite“ für Orchester und vier Kinder spielen die Kinder auf Music Shapers. Die Shapers sind pampelmusengroße, weiche Bälle, denen durch Drücken Klänge entlockt werden. Welche Klänge aus ihnen herauskommen ist davon abhängig, in welchem Stück sie eingesetzt werden. In „Nature Suite“ sind die Klänge in jedem der vier Sätze anders und wechseln zwischen der naturalistischen Wiedergabe von Naturgeräuschen und melodischen Motiven im Synthesizerklang. Einsatz und Spieldauer der Shapers sind durch den Komponisten vorgegeben. Eine gewisse Variationsmöglichkeit besteht für die Spieler darin, dass sie die Dynamik und Dichte der Wettergeräusche und Tierlaute bestimmen können.

Die Kinder mussten auf ihre Aufgaben in dem Konzert vorbereitet werden. Zum einen allgemein, indem sie sich im Zusammenspiel und der musikalischen Interaktion aufeinander einzustellen lernten, zum anderen, indem sie in den Gebrauch der Instrumente eingeführt werden und ihren Part innerhalb der Stücke lernen mussten. Bereits vier Wochen bevor das MIT mit den Instrumenten vor Ort war, trafen sich die Kindergruppen einmal wöchentlich für eineinhalb Stunden zu rhythmischen und klangsensibilisierenden Übungen und Improvisationen. In der Woche vor dem Konzert wurde dann mit den Beatbugs und Shapers jeden Tag anderthalb Stunden gearbeitet. Eine außergewöhnliche Aufgabe hatten auch die vierzehn Kinder, die sich mit der Kompositionssoftware Hyperscore beschäftigten und an ihren Kompositionen arbeiteten. Für sie galt es, mit ihren jeweils dreiminütigen Stücken zwei Tage vor dem Konzert fertig zu sein, damit die Stücke, die aufgeführt werden sollten, ausgewählt, in Notenschrift übertragen und vom Orchester geprobt werden konnten.

So war das Konzert für die an der Aufführung beteiligten Kinder Höhepunkt und Abschluss des Projektes in einem. Sie waren nicht nur bei einem Konzert dabei und hatten neuartige Klang- und Spielmöglichkeiten erfahren, sondern sie waren auch in einen kreativen Gestaltungs- und Gruppenprozess einbezogen und haben lernen können, was es heißt, sich auf ein Konzert vorzubereiten.

Wer aber übernimmt die Vorbereitung von 32 Kindern aus unterschiedlichen Stadtteilen und Schulen, die für dieses Projekt exklusiv zusammenkommen? Eher zufällig als geplant ergaben sich Kontakte zwischen dem Deutschen Symphonie-Orchester und der Universität der Künste Berlin. Im Rahmen eines musikpädagogischen Seminars wurde das Projekt vorbereitet und Musikstudentinnen mit der Anleitung der Kinder betraut. Für die Studentinnen bot das Projekt eine einzigartige Möglichkei, Erfahrungen in einem Praxisfeld zu sammeln, das ihnen hinsichtlich des Erfolgzwangs ein hohes Maß an Professionalität abverlangte. Für die Planer des MIT und des DSO war der Einsatz der Musikstudentinnen sicher ein Glücksfall. Glücklich war auch der Umstand, dass sich die Carl-Orff-Grundschule bereit fand, ihren Computerraum und ihre Musikräume zur Verfügung zu stellen.

Es bleibt zu fragen, welche Qualitäten das Konzert als Kinderkonzert zu entfalten vermochte. Nicht nur die mitspielenden Kinder waren ja Adressaten dieses Projektes, sondern auch die Kinder, die als Publikum in das Konzert kamen. Auch an sie war in der Vorbereitung des Konzertes gedacht worden. Sie hatten in dem „open house“ vor dem Konzert Gelegenheit, sich aktiv mit den Instrumenten, Klangerzeugern und der Kompositionssoftware zu beschäftigen. Im Konzert selbst allerdings gab es keine Einbeziehung des Kinderpublikums. Das Programm war ohne Pause und dauerte ungefähr 75 Minuten. Der Moderator Wilhelm Matejka stellte die Instrumente vor und erklärte einiges zu dem Projektverlauf, jedoch blieb es bei Erläuterungen und wurde nicht zu einem Dialog mit den anwesenden Kindern.

Welche Wirkung hatte das Konzert und seine Form auf die beteiligten Kinder und auf die, die sich als Zweitbesetzung auf das Konzert vorbereitet hatten? Daraufhin befragt, kritisierten sie die Inszenierung der Instrumente, die sie als Hauptsache des Konzerts betrachteten Es fehlte ihnen an einer durchdachten, eindrucksvollen Lichtregie. Sie bemängelten die Aufstellung und Beleuchtung bei der „Nature Suite“, weil sie fanden, dass auch hier die besonderen Instrumente nicht richtig zur Geltung kamen. Außerdem kritisierten sie, dass die Music Shapers zu leise waren und auch der später auftretende Kinderchor des Canisius-Kollegs kaum zu hören war. Auch die Raumwirkung der Elektronik bei den Stücken Machovers fanden sie nicht deutlich genug. Nicht eine didaktisierte Konzertform vermissten sie, sondern Klarheit und Qualität in der Darbietungsform, in der ihnen das Konzert begegnete.

Doch ungeachtet der Kritik an dem Konzert, waren sich die beteiligten Kinder einig darüber, dass es ein aufregendes Abenteuer war, vor so vielen Menschen zu spielen, und dass es sich gelohnt hat, auf Instrumenten zu üben, die sie nicht mit nach Hause nehmen konnten. Was sollten sie auch mit einem Beatbug zu Hause, da sie doch, um damit zu spielen, die anderen Beatbugs und Spieler dazu brauchten, stellte ein Kind fest.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!